Offener Brief an WDR und SZ-Magazin in Sachen #heimatland

Unser heutiger Impuls ist etwas länger und: Bereits von vielen Menschen unterzeichnet. Denn wir und sie wehren uns gegen eine aktuelle Berichterstattung, die aus unserer Sicht gefährliche Nebenwirkungen haben kann. So wurde aus einem wichtigen Thema (Heimat) am Beispiel eines „Dorfes“ am Rande von Köln eine große Auseinandersetzung. Wir finden: Das sollten, ja müssen, die Verantwortlichen wissen. Deshalb haben wir den folgenden OFFENEN BRIEF an WDR und SZ-Magazin geschrieben. Wir hoffen auf ihr Handeln. Denn (noch?) gibt es diese Gräben nicht! Wenn Ihr mitmachen möchtet: Gerne. Einfach die Kommentarfunktion unter diesem Beitrag nutzen und Eure Namen und Wohnort hinterlassen, danke.

Heimat – Wo hört das Alte auf und fängt das Neue an? Eine wichtige Debatte, die derzeit nicht nur in Deutschland geführt wird. Der Ansatz der Journalisten, Heimat in der Fernsehdoku (ARD-Beitrag v. 25. Februar 2019) und in einem Zeitungsbeitrag (SZ-Magazin Nr. 9 v. 1. März 2019) zu hinterfragen, ist deshalb spannend wie gesellschaftspolitischwertvoll. Die den Film auszeichnenden Statements von Wissenschaftlern und Politikern runden dieses Thema ab.

Fragen dazu am Beispiel des vom Wandel geprägten Stadtteils Widdersdorf zu klären, ist jedoch ein schwieriges Unterfangen. Die Filmemacher versuchten es durch das Mittel der Polarisierung zwischen Alt- und Neu-Widdersdorf zu lösen. Vielen hier lebenden Menschen ist dieser Versuch aufgestoßen. Die Berichterstattung wird als einseitig empfunden.

Kurz: Wir in Widdersdorf sind seit der Ausstrahlung von #heimatland und dem folgenden Artikel im SZ-Magazin bestürzt und bewegt.

Dabei hatten wir keine PR-Story zu unserem „Dorf“ erwartet, noch würden wir diese für richtig erachten. Es gibt Probleme. Wir nennen sie Herausforderungen, halten sie jedoch nach so kurzer Zeit in einem so großen Neubaugebiet für normal.

Hinzu kommt: Wenn viele Nationen und Kulturen zusammen wohnen, beleuchten Medien gern die problematischen Seiten. Hier aber klappt das Miteinander auf einem Niveau, das in kurzer Zeit gute Nachbarschaften und eine großflächige Gemeinschaft ermöglichte. Gräben, gar eine Spaltung, wie das SZ-Magazin bereits auf der Titelseite schreibt, sehen wir mitnichten.

Deshalb möchten wir Ihnen unsere Sicht des Lebens in Widdersdorf mitteilen. Ebenfalls subjektiv, aber als notwendiges Gegengewicht zur journalistisch aufbereiteten Darstellung.

  • Viele von uns sind hier beheimatet, ohne klassisch verwurzelt zu sein. Je nach Persönlichkeit sind wir im Alten und im Neuen Widdersdorf unterschiedlich vernetzt und integriert.
  • Daraus eine „Lager“-Theorie zu entwickeln, halten wir für konstruiert, mit gefährlichen Nebenwirkungen.
Man kann dieselbe Straße so zeigen, voller Menschen und Autos…
… oder so, fast leer. Es ist jedoch auf beiden Fotos die Straße in Köln-Widdersdorf, Unter Linden. Lediglich die Perspektive ist eine andere.

 

Dies geschieht, indem man – offenbar mit großer Mühe – meist leere, saubere, seelenlose Straßen und einsame Gärten zeigt. Auch die Auswahl der Fotos im SZ-Magazin spricht eine deutliche Sprache. Flankiert mit Aussagen wie: „Die kennen ihre Nachbarn zwei Häuser weiter nicht.“ Diese werden wider besserer, weil weitreichender Recherche veröffentlicht.

Die Realität hier sieht anders aus. Die Leute feiern Straßenfeste, stehen füreinander ein und Familien müssen, nun unsererseits zugespitzt, ihre Kinder zuhause „anbinden“, weil sie auf die Straßen zum Spielen drängen. Ältere Menschen treffen sich neben der Kita zum Boule-Spiel. Nicht nur morgens rollern und laufen Kinder in Alt- wie Neu-Widdersdorf durchs Leben. Wir überwachen uns hier nicht, sondern wir achten aufeinander, was zu guter Nachbarschaft dazugehört.

Ja, es fehlen Kneipen und Restaurants. Dieser Trend ist deutschlandweit zu beobachten. Auch der Jakobsplatz ist verbesserungswürdig – immer wieder stehen Geschäfte leer, dabei ist er dafür geschaffen, mit Leben gefüllt zu werden. Auch hier bleiben Fragen: Warum wurde die Inhaberin des hiesigen Event-Cafés nicht interviewt? Warum nicht die Besitzerin des ansässigen Fitness-Studios, die eine Sportler-Community aus beiden Teilen Widdersdorfs gefördert hat, die über den Sport hinaus vernetzt ist? Warum kommen jene Menschen, die sich bewusst positiv äußerten, nicht zu Wort, weder im Film noch im Magazin? Wie erklären Sie, dass die Widdersdorfer Quartiersmanagerin so reagiert?

(s. https://unser-quartier.de/koeln-widdersdorf/2019/03/reaktion-des-quartiersbueros-zum-ard-beitrag-heimatland/?fbclid=IwAR2bgKx1D3J9fL9b3I1XYr7H36uPmILw08f-tEGTIpQIGpNQcA0XLt5qBRk)

Wir sind nicht weltfremd. Es ist nicht Auftrag öffentlich-rechtlicher Medien und großer Tageszeitungen, Dinge zu beschönigen. Selbstverständlich gibt es städtebauliche Unterschiede zwischen altem und neuem Wohngebiet – hier künstlich Gräben zu konstruieren, halten wir aber für riskant. Eine Gemeinde, die zusammen wächst, braucht Zeit.

Wir in Widdersdorf fühlen uns in ein Schema hineingepresst mit dem Ziel, gesellschaftspolitische Thesen mit Bildern und Statements zu untermalen.

Wie Julia Friedrichs nach Ausstrahlung der Sendung einer Widdersdorfer Bloggerin versicherte, stimmen die Statements (s. https://www.ohfamoos.com/2019/03/interview-julia-friedrichs-heimatland/) Allerdings wurden sie professionell so zusammen geschnitten, dass sie nicht mehr die Realität der Menschen abbilden, die tagelang interviewt wurden und die, nicht mediengeschult, anderes ausdrücken wollten.

Die Aufregung schweißt die Widdersdorfer zusammen, alt wie neu. Das ist das Gute an einer Berichterstattung, die viele ratlos und empört zurücklässt. Es hat sich eine Initiative gebildet, die am 10. Mai 2019 eine Veranstaltung am Jakobsplatz durchführen wird, um Maßnahmen zu erörtern und zu ergreifen, die diesen Platz beleben.

Wir bitten die Verantwortlichen des WDR und des SZ-Magazins, unsere Perspektive zu beachten. In Widdersdorf herrscht keine heile Welt, aber es ist WEIT von dem entfernt, was #heimatland oder „DIE ALTEN UND DIE NEUEN“ zeigen. Eine objektive Berichterstattung sollte die Perspektive der hier lebenden Menschen in einem weiteren Beitrag einfließen lassen. Wir stehen für konstruktive Gespräche bereit.

Fotos: Elke Tonscheidt und: Jason Rosewell on Unsplash

Zu den Erstunterzeichnern/innen dieses Offenen Briefes gehören:

Sonja Ohly, 59, Lich

Cornelia Lütge, 52, Drage

Elke Tonscheidt, 51, Köln-Widdersdorf

Nicole Reimer, 51, Köln-Widdersdorf

Janneke Grosz, 51, Köln-Widdersdorf

Antje Voß, 40, Köln-Widdersdorf

Uwe Alschner, 53, Osnabrück & Berlin

Oliver Gnad, 50, Frankfurt

Wolf Koch, Köln-Widdersdorf 

Ilka Stitz, 58, Köln-Widdersdorf

Rotger Wesener, Berlin

Tanja Laufer, 44, Köln-Widdersdorf

Aja Appel, Köln-Braunsfeld

Aysen Ritzauer, Köln-Widdersdorf

Jennifer Lauter, 40, Köln-Widdersdorf

Stefan Laufer, 44, Köln-Widdersdorf

Zoé Fanselau, 20, Köln-Widdersdorf

Simone Fanselau, 48, Köln-Widdersdorf

Jeannette Verwaal, 71, Wuppertal

Jörg Theis, 49, Köln-Widdersdorf

Adrian Mardak, 43, Köln-Widdersdorf

Anna Junker, 43, Köln-Widdersdorf

Marlene Stotko, 63, Köln-Ossendorf

Andrea Rabenhorst, 40, Pulheim-Stommeln

Diese Unterzeichner haben sich gemeldet, nachdem der Brief am 15. März 2019 an den WDR und das SZ-Magazin versandt wurden:

Christoph Schachtner, 55, Köln-Widdersdorf

Michèle Halder, 58, Düsseldorf

Babette de Fries, 54, Düsseldorf

Dieser Beitrag wurde erstmals am 18. März 2019 veröffentlicht
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