Unser Nachwuchs – nicht so wie früher…
Wer sind „diese“ jungen Menschen, die derzeit freitags auf der Straße statt in der Schule hocken? Unsere heutige ohfamoose Gastautorin Anja Carolina Siebel hat mit einigen gesprochen und findet ihre Gedanken „so gar nicht schlicht“. Ein Beitrag über unseren Nachwuchs, der erhellt, welche Persönlichkeiten diese Jugendlichen sind, die manche ja genau meinen zu kennen… Wirklich?
Undifferenziert, aalglatt, zuweilen einfach strukturiert, eben nicht so „wie wir früher“. All das habe ich schon gehört über „unseren Nachwuchs“. Auch von Müttern. Gemeint sind eben jene, die noch nicht erwachsen sind, die noch morgens mit dem SUV zur Schule… ach nein, Vorurteile sind hier fehl am Platz.
Zumal ich in diesen Tagen ganz andere Attribute an jenen Menschen kennengelernt habe, die gemeinhin mal unsere Zukunft werden sollen. Es waren verantwortungsbewusste junge Menschen, die sich Gedanken machen. Und zwar sehr differenziert, individuell, so gar nicht schlicht.
Eine von ihnen ist Sabrina (11). Sabrina lerne ich an einem trüben Mittwochnachmittag kennen. Sie kommt in Begleitung ihrer Mutter; braucht die Erwachsene aber nicht, um an meinem Schreibtisch in der Redaktion selbstbewusst und klar vorzutragen, was ihr Anliegen ist:
„Ich möchte mit meinen Freunden eine Freitags-Demo für den Klimaschutz veranstalten“, berichtet sie mir.
Ich bin sofort völlig beeindruckt. Nicht nur davon, dass sie sich den vielen Jugendlichen anschließen möchte, die in diesen Tagen freitags auf die Straße gehen und dem Beispiel der Schwedin Greta Thunberg folgen.
Sabrina hat wache braune Augen und eine noch recht kindliche, aber entschlossene Stimme. „Ich finde es wichtig, ein Zeichen zu setzen“, sagt sie mir.
„Wenn wir auch als Kinder nicht so viel ausrichten können wie vielleicht Erwachsene. Aber wir können zumindest zeigen, dass wir uns Gedanken machen.“
An Sabrina beeindruckt mich vor allem, dass sie eine der Jüngsten an ihrem Gymnasium ist, die jetzt öffentlich zum Demonstrieren aufruft. Sabrina ist noch klein, von der Physiognomie ein Kind. Und doch im Geiste so groß, willensstark. Ihre Mutter, eine gebürtige Brasilianerin, erzählt mir, dass Sabrina schon als Fünfjährige an einem brasilianischen Strand Müll sammelte. „Sie hat das einfach gemacht, niemand hat sie dazu aufgefordert oder sie darum gebeten. Sie ist selbst darauf gekommen“, erinnert sich ihre Mutter. Sabrina achte inzwischen im Alltag darauf, dass nicht zu viel Plastik im familiären Haushalt entstehe, gehe mit ihrer Mutter oft zu Fuß.
Ein wenig enttäuscht ist Sabrina über die Reaktion in ihrer Schule: „Wir wollten Flyer auf dem Schulhof verteilen, durften das aber nicht. Unsere Klassenlehrerin findet das, was wir tun, großartig. Aber eben nicht alle Lehrer unserer Schule – und auch nicht alle Schüler.“ Sabrina kann das nicht verstehen. Sie hat mit ihren Freunden zusammen einen Kompromiss geschlossen: kein Unterrichtsausfall, sondern Demo nach der Schule. „Obwohl das ja dann eigentlich keine richtige Demo ist“, weiß die Elfjährige. Und auch von ihren älteren Mitschülern hätte sich Sabrina mehr Unterstützung gewünscht. „Ich hoffe, dass das in den nächsten Wochen noch kommt“, sagt sie.
Die erste Demo ihres Lebens
Sabrinas Freunde stehen ihr bei der Aktion bei. Ich lade sie später auch zu mir ein, um mit ihnen zusammen ein bisschen Werbung für die Demo zu machen, die erste Demo ihres Lebens. Daniel (10) beispielsweise sinniert bei unserem Gespräch, dass er später nicht von seinen Enkeln den Satz hören wolle: „Opa, was ist ein Schneemann?“ Und Luna (11) findet, dass auch beim Essen Nachhaltigkeit eine Rolle spielen sollte.
Lächelnd muss ich während des Gesprächs an meine eigene erste Demo denken. Schwach erinnerte ich mich, wie wir in der neunten Klasse mit lilafarbenen Baseballjacken und zerrissenen Hosen „gegen den Irakkrieg“ demonstriert hatten. Unser Leitmotiv war eindeutig Angst. Angst, dass sich etwas verändert in unserer Lebenswelt, die doch eigentlich so harmonisch und heil war, hier, in unserer Kleinstadt.
Möglicherweise ist das auch ein Motiv, das Sabrina und ihre Freunde antreibt. Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Auf jeden Fall zeigen sie Haltung, setzen sich mit aktuellen Themen aktiv und kritisch auseinander und haben schließlich mit ihrer kleinen Demo auch ein großes Zeichen gesetzt. „Wir wollen auf jeden Fall weitermachen, wollen jetzt aber erstmal warten, ob auch noch ein paar Ältere mitmachen“, plant die Schülerin. Beispielhaft, liebe Sabrina. Du bist meine Frau des Monats.
Text und Fotos: Anja Carolina Siebel
Anja Carolina Siebel, Jahrgang 1976 und Zeitungsredakteurin aus Leidenschaft, wollte schon im zarten Alter von zehn Jahren Journalistin werden – und hat es nicht bereut. Ansonsten genießt sie ihr Leben und ist im besten Wortsinn „auf der Reise“.
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