Wenn leere Herzen Politik machen
Gerade durfte ich in Köln-Widdersdorf erleben, was engagierte Menschen bewegen können. Über 80 Menschen treffen sich und überlegen, wie die Zukunft ihres Dorfes aussehen soll. Engagierte Menschen, die sich Gedanken über ihr Zusammenleben machen. Was passiert, wenn man sich nicht mehr engagiert, erzählt Juli Zeh in ihrem Thriller ‚Leere Herzen‘. Ein wichtiges, aktuelles und hochpolitisches Buch, das ich gerade vor der bevorstehenden Europawahl sehr empfehle.
Leere Herzen ist ein verstörender Thriller, der in der sehr nahen Zukunft spielt und geradezu erschreckend realistisch wirkt. Angela Merkel verliert die Wahlen in Deutschland und die „Bewegung Besorgter Bürger“ übernimmt die Regierung. Die populistische Bewegung infiltriert nach und nach sämtliche demokratischen Bereiche und verschlankt den Staat auf ein Minimum. Die Grundrechte werden zurückgefahren und die Demokratie abgebaut. Jedoch merken die meisten Bürger dies nicht, weil sie zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sind. Das bedingungslose Grundeinkommen ist da und garantiert einen ausreichenden Lebensstandard, die Terrororganisation Daesh sinkt in die Bedeutungslosigkeit und die Terrorangst ist weitgehend vergessen. Selbst der Krieg in Syrien ist beendet – und sogar Israel und Palästina haben sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung geeinigt.
Und dennoch braut sich etwas zusammen in diesem Deutschland im Jahr 2025.
Die Menschen haben keinerlei Prinzipien mehr und sind eigentlich nur noch zynisch. Politisch desillusioniert und lethargisch kümmert sich jeder nur noch um sich selbst. Das Gemeinwohl interessiert immer weniger Menschen: Man hat sich angepasst!
Diese Situation nützen Britta Söldner und ihr irakischer Geschäftspartner Babak Hamwi. Sie betreiben „Die Brücke“. Eine als „Heilpraxis für Life-Coaching, Self-Managing und Ego-Polishing“ getarnte Agentur, die Selbstmordkandidaten mit radikalen Gruppen vernetzt. Mit Hilfe diverser Analysen aus Web und Darknet suchen Britta und Babak gezielt nach suizidgefährdeten Personen, die dann einen 12-Stufen Plan durchlaufen und auf ihre Eignung für gezielte Attentate geprüft werden. Doch das Geschäftsmodell bekommt Konkurrenz.
Juli Zeh portraitiert eine Zukunft, die erschreckend realistisch wirkt und mich sofort gefesselt hat.
Was ist das für eine Welt, in der Menschen lieber eine Waschmaschine besitzen wollen als wählen zu gehen? Ganz ohfamoos schildert Juli Zeh den Konsumdrang, die Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit der Bürger. Provokant zeichnet sie Parallelen zu heute.
Ich empfehle dieses Buch jedem, der darüber nachdenkt ob es sich lohnt, sich für das Gemeinwohl und #volldasguteleben zu engagieren!
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, studierte Jura in Passau und Leipzig.Schon ihr Debütroman „Adler und Engel“ (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Ihr Gesellschaftsroman „Unterleuten“ (2016) stand über ein Jahr auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013), dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015), dem Preis der Stiftung Else Mayer (2016), dem Literaturpreis der Stahlstiftung Eisenhüttenstadt (2017), dem Samuel-Bogumił-Linde-Literaturpreis (2017), dem Bruno-Kreisky-Preis (2017), dem Nobler Literaturpreis der Mayerschen Buchhandlung (2018), dem Ernst-Johann-Literaturpreis (2018) sowie dem Bundesverdienstkreuz (2018).2018 wurde sie zur ehrenamtlichen Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt. Quelle: www.juli-zeh.de
Fotos: Franziska Kind, Sonja Ohly