Zugstolz – öfter mit der Bahn!
Klimaschutz, CO2-Steuer, ÖPVN, Elektromobilität – Themen, die in allen Leitmedien heftig diskutiert werden. Leider gibt es dazu im Moment mehr Fragen als Antworten. Das deutsche Verkehrssystems hat Probleme: Es gibt zu viele fossil-betriebene Autos, die PKW-Maut wurde als diskriminierend abgelehnt, Fluggesellschaften bezahlen keine Kerosinsteuer, aber die Bahn muss eine Stromsteuer bezahlen? Viele Baustellen und keine Ergebnisse, die unsere Zukunft klimafreundlicher gestaltet. Dazu haben wir Thomas Rietig, der einen Blog mit Nachrichten zur Verkehrspolitik betreibt, befragt.
Ich bin ganz ehrlich, ich bin das Fliegen redlich leid. Der Weg zum Flughafen, die Kontrollen, Handgepäckbestimmungen, Verspätungen, Check-In und dann die labbrigen Sandwiches und der Tomatensaft. Schön ist anders. Darum habe ich vor einem Jahr entschieden, die Bahn mehr zu nutzen. Bahnfahren ist entspannender, man hat einen reservierten Platz, kann sich die Beine jederzeit vertreten und bekommt auch in der zweiten Klasse den Kaffee am Platz serviert, wenn man es vorzieht ihn nicht im Speisewagen oder dem Bordbistro zu trinken.
Aber auch Bahnfahren hat seine Tücken. Ein Beispiel: Mein Freund will in 3 Wochen von Gießen nach Wien zu einem wichtigen Termin. Gerne mit der Bahn an einem Montag. Er hat die BahnApp und sucht sich eine schnelle Verbindung heraus. Wunderbar: Gießen – Wien in 7 Stunden 23 Minuten, nur einmal umsteigen. Prima, diese Zugverbindung möchte er haben. Bahnkarte 25 mit Ökostrom hat er, ihm fehlt nur noch die Sitzplatzreservierung. Tja, und da gibt es ein Problem: eine sehr hohe Auslastung verhindert das Reservieren des Sitzplatzes. Wie kann das sein? Auch mein Freund möchte weniger fliegen und lieber umweltfreundlich und entspannt mit der Bahn reisen. Er ärgert sich: „Was ist denn so schwer daran, warum hängt die Bahn denn nicht einfach noch einen Waggon dran? In einem Flugzeug ist das nicht möglich, aber auf der Schiene?“ Fazit: er fliegt.
Warum ist es so schwierig Menschen für die Bahn zu begeistern?
Mobilität und Klimaschutz sind in aller Munde: Elke berichtete über Flugscham und Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat in der Debatte Klimaschutz höhere Abgaben auf Flugreisen ins Gespräch gebracht. Frei nach dem Vorbild Frankreich, das ab 2020 eine Umweltsteuer auf Flugtickets einführen will. Aber irgendwie hakt es im System.
Wir fragen Thomas Rietig, der den Blog ‚Schiene Strasse Luft‘ betreibt.
Stimmt es, dass die Trassenpreise, die sogenannte Schienen-Maut, den Wettbewerb im Zugverkehr verhindern?
Nein. Der Wettbewerb auf der Schiene im Personenverkehr ist möglich und funktioniert ja auch im Nahverkehr. Dasselbe gilt für den Güterverkehr. Der Wettbewerb im Fernverkehr findet so gut wie nicht statt (Ausnahme: Flixtrain), weil es wahnsinnig teuer ist, ein vernetztes System mit schnellen Zügen einzurichten. Hieße die Frage: „… die Konkurrenzfähigkeit des Schienenfernverkehrs verhindern?“, kämen wir dem „Ja“ schon näher, denn die fehlende Pkw-Maut bewirkt, dass Autofahren je nach Rechenmethode günstiger ist als Bahnfahren, z.B. wenn ich zu dritt im Auto von Berlin nach Süddeutschland fahre. Bei innerdeutschen Flügen gibt es z.B. keine Kerosinsteuer. Neulich hatte ich einen Termin in Karlsruhe. Vier Tage vorher gebucht. Flug hin: 119 Euro, Zug zurück: 192 Euro (allerdings 1. Klasse).
Das Gehalt von Fluglotsen wird vom Staat bezahlt. Warum?
Der Satz stimmt so nicht. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) ist formal eine GmbH, ihr Gehalt wird von den Einnahmen bezahlt, die sie mit An-/Abflug- und Streckenkontrollgebühren sowie verwandten Dienstleistungen erzielt. Die Beteiligung privater Investoren an der DFS wäre wohl verfassungswidrig. Dieses Modell ist nach der Wende versucht worden, scheiterte aber am Einspruch des Bundespräsidenten. Dennoch gab es eine Grundgesetzänderung, damit sie ab 1993 privatwirtschaftlich organisiert werden konnte. Begründung für die nach wie vor staatliche Flugsicherung (die ich teile): Die Aufsicht über den deutschen Luftraum ist eine hoheitliche Aufgabe.
Wir haben gelesen, dass die Bahn sich mit strengeren Regelungen als die Luftfahrt auseinandersetzen muss. Warum?
Schwer zu beantworten. Je nach Perspektive sieht sich auch der Luftverkehr mit sehr strengen Regelungen konfrontiert. National können sich die Airlines aber häufig einen schlanken Fuß machen, indem sie auf den globalen Wettbewerb verweisen, in dem sie nicht durch allzu strenge EU- oder Bundesregelungen benachteiligt werden wollen. Da hat etwa eine arabische Flug-„Gesellschaft“ deutliche Vorteile, indem sie von ihren Eigentümern quasi unbegrenzten Kredit bekommt und mit billigem Benzin und billigen Arbeitskräften in der Wüste fliegen kann, wann sie will, so oft sie will. Das ist jetzt etwas überspitzt formuliert, zeigt aber die Richtung auf. Die Deutsche Bahn operiert dagegen auf einem Markt, in dem es starke Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und tief ausdifferenzierte Regeln, Vorschriften, Richtlinien und Gesetze gibt, die etwa eine Neubaustrecke (Beispiel: Rosenheim-Kufstein), aber auch Bau und Betrieb eines Flughafens (ich nenne jetzt kein Beispiel!) nahezu unmöglich macht. Nicht dass ich das immer schlecht finde, aber man muss es benennen. Ein früherer Siemens-Chef hat mal gesagt: „In der Zeit, in der die Chinesen eine Magnetbahn bauen, haben wir gerade mal die Frösche umgesiedelt.“ Recht hat er. Was er nicht gesagt hat: In derselben Zeit haben die Chinesen auch etliche Todes- und andere Urteile gefällt und vollstreckt, die sich hier keine wünschen würde.
Wo könnte man schnell punkten, um Menschen das Bahnfahren schmackhaft zu machen?
Es fahren immer mehr Menschen Bahn! Aktuelle Zahl von heute: Im ersten Halbjahr 71,8 Millionen, ein Plus von 1,3 Prozent im Fernverkehr. Die Bahn muss das angekündigte Programm „Starke Schiene“ so umsetzen, dass der Kunde es merkt. Dazu gehören auch mehr Lokführer und Züge bzw. Waggons. „Einfach dranhängen“ geht, wenn überhaupt möglich, auf Kosten der Schnelligkeit. Kleinkram wie Park-and-Ride muss gefördert werden, auch für Radfahrer. Fliegen muss teurer werden, zumindest innerdeutsch, aber auch interkontinental. Als Student stand ich vor der Wahl: Sparst du auf einen Gebrauchtwagen oder fliegst du nach Amerika? Ich bin nach Kanada geflogen, mit Studentenrabatt. Für 1700 DM! Das ist heute billiger, sogar ohne Studentenrabatt. Es muss eine EuGH- und verfassungsfeste Pkw-Maut geben, meinetwegen auch eine CO2-Abgabe. Und „die Leute“ sollten auch mal über die Frage nachdenken, wie artgerecht es ist, für 19,99 Euro in einem Flieger nach Malle zu sitzen. Fliegen ist doch, wie du eingangs festgestellt hast, oft nicht mehr schmackhaft.
Ich würde die ungewollte Popularität des Wortes „Flugscham“ ausnutzen und ihm positiv den „Zugstolz“ zur Seite stellen, wenn ich Marketingmensch bei der Bahn wäre.
Thomas Rietig, betreibt den Blog Schiene Straße Luft, in dem es im wesentlichen um Verkehr, Logistik und Verkehrspolitik geht. Es verfolgt keinerlei kommerzielle Zwecke und versteht sich als unabhängig und überparteilich, aber mobilitätsaffin. Thomas ist auch Dozent an der Berliner Journalistenschule und schreibt als Gastautor für ohfamoos.
Fotos: Pixabay, Privat