Corona Dinner mit Aussicht
Kann man in diesen Tagen in einer Gruppe von 13 Menschen – die meisten davon kennen sich nicht – unbeschwert ein Vier-Gänge-Menü essen? Ja, das geht! Bei einem sogenannten ‚Corona Dinner mit Aussicht‘. Ende April haben es vier Familien im Kölner Westen ausprobiert und waren nicht nur wegen der Speisen und Getränke begeistert. Gastautor Sven-Erik Tornow, der ohnehin leidenschaftlich gern kocht, hat nicht nur ein sagenhaftes Dessert gezaubert, sondern auch diesen ohfamoosen Text!
Es ist Freitagabend. Ich stehe in der Küche und bereite das Dessert für eines der ungewöhnlichsten Dinner vor, an denen ich je teilgenommen habe.
Es gibt ein Vier-Gänge-Menü. Jeder Gang wird von einer der teilnehmenden Familien zubereitet. Schon das allein ist ja mehr als gewöhnlich, aber noch nicht wirklich besonders. Es gibt ja mittlerweile immer mehr Partys, zu denen die Gäste Salate, Snacks und andere Leckereien als Gastgeschenk mitbringen. Nein, das Besondere ist, dass wir gar nicht an einem Tisch miteinander essen, sondern an vier Tischen.
Es gilt das Kontaktverbot. Mehr als eine weitere „familienfremde“ Person pro Haushalt ist da nicht möglich. Sich gegenseitig das zubereitete Essen vor die Haustür zu bringen und dann gemeinsam via Gruppen-Video-Chat zu speisen schon. Allein die Idee klingt absurd, trotzdem haben sich gleich drei weitere Familien gemeldet, als Elke sie ins Netz stellte. Eine davon waren wir.
Das Corona Dinner
Samstagabend, es ist kurz vor acht. Gerade komme ich von der Essensauslieferung zurück und habe das Video-Meeting gestartet, da begrüßen uns schon Teresa, Jens und ihre beiden Söhne. Sie haben schon mit der Vorspeise angefangen: geeister Lachs mit frischer Limetten-Minz-Marinade und Baguette, dazu ein leckerer Roséwein. Ein fröhliches „Hallo“ tönt uns aus dem Laptop entgegen, „Ich bin Teresa.“ Winken, das Bild wackelt, Jens will auch mit ins Bild.
Sofort startet das Gespräch. Es geht um Themen, die uns aktuell alle beschäftigen. Wie klappt das mit dem Homeoffice und den Kindern? Wie kann das alles weitergehen und was erwartet uns als Nächstes? – Während ich die von Teresa selbstgemachten Cavatelli, die sogar mit Kochanleitung versehen waren, ins sprudelnde Wasser gebe und die Soße mit Salsiccia und Brokkoli in der Pfanne erwärme, kommen Elke, Christoph und ihr Sohn dazu ins Meeting. Gleich geht es mit dem Gespräch weiter, jeder stellt sich kurz vor und berichtet, wie sein Alltag so aussieht. – Denn von den insgesamt acht Erwachsenen und fünf Kindern kenne ich eigentlich „nur“ Elke, die gern Energien bündelt.
Dinner mit Aussicht
Während die Nudeln mit der intensiven italienischen Soße und dem selbstgemachten Käse aus Apulien auf unseren Tellern duften, kommen auch noch Jörg, Gisela und ihre beiden Töchter dazu. Jetzt sind wir komplett bei unserem Dinner mit Aussicht.
An vier unterschiedlichen Tischen, mal drinnen, mal draußen sitzen 13 Menschen und trotzen dieser Epidemie so viel Gemeinschaft und Nähe ab, wie man sich kaum vorstellen kann.
Jörg erzählt von seinem New York-Marathon, und wir genießen das von seiner Familie beigesteuerte Kartoffel-Hähnchen-Curry mit Joghurt-Minze-Soße. Immer wieder zwischen dem euphorischen Erzählen wird es für einen Moment still, wir schauen uns durch unsere Kameras an. Dann stellt jemand eine Frage und das Gespräch nimmt wieder Fahrt auf. Es geht um Gott und die Welt, denen wir mit Primitivo gefüllten Gläsern zuprosten.
Entspannt hören wir einander zu, genießen dabei Panna Cotta mit Mandel-Rosmarin-Krokant und frischem Saure-Sahne-Limetten-Eis als Nachtisch. Dann verschwindet plötzlich das Bild von Jörg und seinen Lieben. Kurze Zeit später sind sie wieder da, das Handyakku ging zur Neige und ein Stromkabel musste angeschlossen werden. Es ist schon dunkel, die Lampen über unseren Tischen werfen ihr Licht auf unsere Kameragesichter.
Es liegt eine besondere Stimmung im Raum, in vier Räumen. Das Miteinander war anders, schon allein aufgrund der Video-Schalte. Aber es war auch anders als sonst. Intensiver. Durch das Video-Tool haben wir viel weniger durcheinandergeredet, uns mehr zugehört, mehr aufeinander gehört. Jeder von uns war aufmerksamer.
Als wir uns voneinander verabschieden, endet nicht nur ein außergewöhnlicher Abend, sondern auch ein gewagtes Experiment.
Keiner von uns wusste wirklich, worauf er oder sie sich da einlassen würde.
Es war ein bisschen wie dieser Satz „Machen ist wie Wollen, nur krasser!“ Statt darauf zu warten, bis Gemeinschaft wie „früher“ wieder möglich ist, haben wir einfach ein ganz anderes, neues Miteinander ausprobiert. Und alle, die dabei waren, wollen es gern wiederholen – dieses Dinner mit Aussicht.
Gastautor Sven-Erik Tornow ist nicht „nur“ Baufachjournalist, Mitglied im DJV und im Arbeitskreis Baufachpresse, sondern auch ein hervoragender Bildjournalist. Auf seiner Website Bildworte zeigt er wunderschöne Fotos seiner Arbeiten, sehr ohfamoos!
Fotos: privat; Foto Lago Maggiore: Sven-Erik Tornow
Hallo Ihr ohfamoosen Köpfe und Hände,
Was für eine schöne Idee!! Und großartig, dass Ihr einfach mal aktiv geworden seid. Welch ein Schatz Gemeinschaft ist und wie sehr wir uns brauchen, merken wir vermutlich erst jetzt, wo uns dieser Sozial-Kitt verwehrt wird.Scheinbar…
Habe gestern gesehen, wie sich zwei Familien zu einem Distanz-Piknik im Privat-Garten getroffen haben. Oder: in unserer Gemeinde wurde nach dem Online-Gottesdienst der Kirchenkaffe am PC eingenommen.
Wäre schön, wenn wir für die Zukunft etwas davon behalten können, nämlich etwas von dem Mut, Begrenzungen als kreative Herausforderung zu nutzen.
Diese Motivation und Inspiration nehme ich für heute mit und lasse das bestimmt in meinen Dienst einfließen.
Danke!
Liebe Grüße
Elisabeth
Sehr schön geschrieben: Bravo!
Ein tolles Experiment, auf ganzer Linie ein Erfolg!
Danke für diesen inspirierenden Beitrag :o)