Pflegende Kräfte
Im Krankenhaus oder Pflegeheim zu sein – schon in „normalen“ Zeit für viele kein Zuckerschlecken. Und in Pandemie-Zeiten? Diese drei Pflegekräfte sind eindeutig, und wir von ohfamoos gehen mit: Unser Gesundheitssystem ist längst am Anschlag, wir wussten es alle seit langem. Überrascht sein kann niemand, aber was tun? Über die Kraft pflegender Kräfte.
Die erste, die mich aufrüttelt, ist Nina Magdalena Böhmer. Bis ins ZDF hat sie es geschafft. Glasklar trägt sie vor, was sie seit Jahren beklagt. Eine junge Frau, die nach eigenen Angaben manchmal die einzige Fachkraft mit noch einem Pflegeschüler sei, um sich „dann zusammen um 40 Patienten zu kümmern. Und der Druck, alles zu dokumentieren, ist auch gewachsen.“
Aber wollen wir das, was Nina nach 16 Jahren Arbeit in der Pflege zu sagen hat, wirklich hören? Wir, die vermeintlich (noch) nicht betroffen sind? Und die, die in Regierungen am Hebel sitzen?
Selbst bei Blitzeis sind unsere Krankenhäuser überfordert
Die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin sagt:
„Krankenhäuser sind für richtig große Naturkatastrophen nicht ausgerüstet.“ (Nina)
Und sie fügt ironisch hinzu: „Selbst bei Blitzeis sind sie schon überfordert, wie ich es Anfang 2014 selbst in Berlin erlebt habe. Verletzte mussten in der Notaufnahme übernachten. Am nächsten Morgen wurden andere Patienten entlassen, um Betten frei zu kriegen. Und das in einem Krankenhaus der Maximalversorgung!“ Welches Krankenhaus in der Bundeshauptstadt sie meint, bleibt offen – schließlich könne ihr Arbeitgeber für dieses Gesundheitssystem nichts.
Nina Magdalena Böhmer hat nicht mit ohfamoos gesprochen, aber mit dem Berliner Tagesspiegel. Schon im März druckte die Zeitung ihre Appelle. Man müsse endlich handeln, um uns Leid zu ersparen. Viel ist bisher passiert, vieles wurde ausprobiert und vieles weiter vertagt. Wir werden einander viel verzeihen müssen – auch das Zitat unseres Bundesgesundheitsministers ist bekannt und ich finde: Es wird immer aktueller, auch und gerade jetzt kurz vor den Festtagen.
Ich habe deshalb mit Viola Roth gesprochen: Eine liebevoll agierende Frau, die uns seit zwei Jahren bekannt ist. Sie arbeitet noch länger als Nina in der Pflege (über 20 Jahre) und sie hat viele Menschen gerade in ihren letzten Tagen begleitet. Viola Roth arbeitet heute v.a. als freiberufliche Dozentin, um Pflegekräfte besser auf ihre anspruchsvolle Arbeit vorzubereiten.
Viola unterstützt Nina: „Wir müssen die Menschen endlich wachrütteln! Es geht nicht darum, Menschen mit Klatschen am Fenster zu belohnen. Es geht auch nicht prioritär um Geld. Auch, ja. Aber was wir zuallererst brauchen, ist, gehört zu werden! Uns sind die Hände gebunden. Wir können nicht streiken, wir sind schon so wenige und wir müssen und wollen unsere Patienten versorgen.“
Wo aber ist die Lobby der Pflegekräfte?
Und so erinnert sich Viola zurück: „Pflegekräfte müssen von A nach B hetzen und es bleibt keine Zeit, mal mit den Menschen durchzuatmen.“ Plus: Kranken- und Pflegekassen zahlten vorbeugende Maßnahmen nur zum Teil oder gar nicht.
„Einrichtungen werden immer mehr zu Maschinen, denen die Menschlichkeit fehlt. Das ist würdelos.“ (Viola)
Und Viola betont in der längst fälligen Debatte über unser Gesundheitssystem das: „Lasst uns nicht nur über Krankenhäuser und Intensivbetten sprechen. Wir müssen endlich auch über die Pflege insgesamt reden! Das fällt sonst komplett nach hinten runter. Altenheime zum Beispiel sind seit Jahren überlastet und es kann zudem jeden Tag passieren, dass ein junger, gesunder Mensch betroffen ist – ein schlimmer Unfall reicht.“
Doch hilft das noch, das Reden?
Meine 2. Gesprächspartnerin, nennen wir sie Petra, ist da nicht optimistisch. Die 61jährige Pflegefachassistentin möchte lieber anonym bleiben und ist ebenfalls klar in ihrem Urteil:
„Das System ist krank und zerredet! Mir kann auch keiner mehr erzählen, man meine es gut mit den Senioren.“ (Petra)
Und mit Sicherheit kann Petra auf Klatschen und theoretisches Mitleid verzichten. „Das macht nur sauer und wütend. Seit Jahren setzte ich mich mit der Seniorenpflege und Hospiz-Kollegen auseinander (im positiven Sinne). Wir schaffen es nicht eine Lobby für Pflegende auf die Beine zu stellen.“
Es grenzt an „moderne Sklaverei“
Ich frage Petra, was aus ihrer Sicht das Wichtigste sei, Pflegekräfte gerade in der Coronazeit zu stärken. Ihre Antwort ist vernichtend:
„Das Wichtigste ist, endlich mal wirklich ernst genommen zu werden. Nicht nur in der Coronazeit, sondern immer. Jeder Handwerker verdient mehr und hat nicht die Verantwortung für pflegebedürftige Menschen. Handwerker müssen auch keine 3-er Schichten absolvieren und werden auch nicht kurz nach der Schicht wieder gerufen, weil die übrigen Pflegekräfte Kolleg*innen am Ende und/oder krank geworden sind. Klatschen und ein halbherziges Dankeschön „mit Schweigemonate“ der Politiker*innen, mit der Aussicht auf einen angemessenen Lohn, der dann aber wieder vom Tisch gewischt wird, ist eine Erniedrigung und grenzt an moderne Sklaverei.“
Aus dem Klatschen hätte ein Donner werden müssen
Was also ist uns die Arbeit von Nina, Viola und Petra wirklich wert? Was bekommen Menschen, die andere Menschen behüten, umsorgen und das Beste für sie herausholen?
Ich habe mich gefragt, ob mein Klatschen im Frühjahr beschämend war. Ich glaube, der Ansatz war gar nicht falsch, aber es hätte ein Donner draus werden müssen. Wenn Interviewpartnerinnen so gerührt sind, dass ihnen Tränen kommen, nur weil sie mal gefragt werden, zeigt das nicht eindeutig, an welchem Rand unsere Gesellschaft steht?
Ich möchte mit etwas schließen, was mir eine Kölner Autorin kürzlich zu lesen gegeben hat. Es hat keinen direkten Bezug zum Gesundheitssystem. Es ist jedoch für mich so etwas wie eine Weihnachtsbotschaft. Denn der chilenische Dichter und Schriftsteller Pablo Neruda, der sich vor allem gegen den Faschismus in seinem Heimatland und in Spanien einsetzte und 1971 den Nobelpreis für Literatur erhielt, hat einmal diese Frage gestellt:
„Mit welchen Sternen reden und reden die Flüsse, die niemals münden?“ (Pablo Neruda)
Und Petra Harzheim, die für mich eine unermüdliche Quelle wohl gewählter Worte ist, hat geantwortet:
„Sie reden mit denen, die mit seidenen Fäden ans Himmelszelt geknüpft sind. Es sind die Kleinen, die Blinkenden, die Hoffnungsträger, die Zitternden am Firmament. Und immer dann, wenn ein Schrei die Stille zerbricht, löst sich ein Sternlein vom Himmel unserer Welt und fällt mit leuchtender Spur in das Herz, in dem der Glaube zittert.“ (Petra Harzheim)
Was können wir tun, dieses Umdenken, das Corona ja nur offenlegt, endlich zu beflügeln? Ehrlich gesagt, haben Sonja und ich da auch keinen konkreten Lösungsvorschlag.
Fotos: via Unsplash
Ich bin dankbar und froh, dass es Menschen gibt, die uns, die Pflegekräfte, unterstützen, indem sie uns eine Stimme in der Öffentlichkeit geben. Danke, liebe Elke, für diesen wunderbar auf den Punkt getroffenen Artikel- Auch für das Veröffentlichen in Eurem Blog.
Ich wünsche uns allen ein Wachwerden, welches uns in der nächsten Zeit gelingt, damit sich die Situationen verändern können.
Nun wünsche ich allen ein besinnliches Weihnachtsfest und gute Gesundheit
Einen guten Rutsch ins Neue Jahr 2021
Dieser Beitrag, liebe Elke, hat mich erschüttert und wütend gemacht. Und nichts wird sich ändern fuer diese wunderbaren Menschen…. leere Worte der Politiker, sie verlieren sich … lächerliche Einmalzahlungen….. dürftige ‚Erhöhung‘ von lächerlichen Gehältern. Bestürzend!
Danke für diesen Kommentar. Ja, mir ging es jahrelang so, das ich im Ohnmachts – und Wutgefühl war. So bin ich heute dankbar, das dieses Thema endlich wirklich an die Öffentlichkeit kommt und die Realität zeigt. Der erste Schritt zur Veränderung ist das erkennen und Wahrnehmen was wirklich ist. Danach kann der zweite Schritt folgen und das ist das Umdenken, das es so nicht weitergehen kann! Wie wollen wir in Zukunft leben? Wer soll für Hilfebedürftige da sein und wie soll das aussehen? Ein abwickeln wie am Fließband oder ein wirkliches Menschenwürdiges Arbeiten wo Zeit und Zuwendung bezahlt wird und als selbstverständlich gilt. Hier ist die Politik gefragt aber auch die Pflegekräfte an der Basis! Sie müssen NEIN sagen und nicht alles mitmachen nur weil niemand da ist auser sie selbst.
Das NEIN Sagen ist die schwierigste Aufgabe jeder Pflegekraft und erst dann kann sich was verändern. So sehe ich diese Misere inzwischen. Danke an die Anteilnahme und das es endlich in der Offentlickeit Gehör findet. Und je mehr Menschen diesen Missstand wahrnehmen desto größer die Chance, das Veränderung stattfinden. Liebe Grüße und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2021 mögen viele Menschen erwachen.