Nicht nur Väter trinken auf die Familie am Vatertag
Vatertag – das weckt Erinnerungen an das präpandemische Ritual der Ausflüge mit Kumpels, einem Bollerwagen und reichlich Durstlöschern durch den jeweiligen Kiez. Zuletzt habe ich das erlebt, als meine Söhne in das Alter kamen, in dem sie glaubten, sich ihrer Männlichkeit durch meist übermäßigen Alkoholgenuss versichern zu müssen, also ein paar Jahre nach Erreichen der Volljährigkeit. Na denn Prost, sagt ohfamoos-Gastautor Thomas Rietig aus Berlin.
Ich kenne mich damit aus, habe ich es doch in diesem Alter ähnlich gehalten. Ehrlich gesagt, gab es Zeiten, da haben wir auch am Muttertag schon mal den Vatertag vorweggenommen, wenn auch ohne Bollerwagen. Dafür mit Auto. Das wäre heute undenkbar, jedenfalls für meine Kinder und uns Eltern. Einige von uns haben gehörig Lehrgeld in dieser Sache gezahlt, und die Lehren haben wir unseren Kindern nachdrücklich mitgegeben. Damals war eine Auto-Evolution hilfreich: die Fortentwicklung des VW-Käfers vom 1300 zum 1302. Letzterer war zwar mit 12 bis 15 Litern auf 100 km ziemlich durstig, genau wie seine Insassen am Vatertag. Aber das Gute war, dass vorn in den Kofferraum erstmals Bierkästen passten.
Meine Söhne trinken heute noch null Alkohol, wenn sie nach irgendwelchen Feiern Auto fahren.
Wir sind ja jetzt mit dem Kindererziehen durch. Das Wichtigste ist erledigt. Daher kann man den Vatertag etwas lockerer angehen. Mir hat die Erinnerung an die eigene – schöne – Kindheit und Jugend immer geholfen bei der Gratwanderung zwischen Erlauben und Verbieten oder – später – Missbilligen, Ignorieren, Anfeuern, Loben oder Befürworten. Es gab übrigens nicht wenige Situationen, in denen ich als Kind mehr Freiheiten in einer gefährlicheren Umgebung hatte als meine Nachfahren. Das habe ich ihnen freilich nicht immer erzählt.
Vatertag mit Bollerwagen
Als mein Sohn L. im Alter von 23 Jahren uns erzählte, was er am Vatertag macht, nämlich mit dem Bollerwagen durch den Kiez ziehen, erinnerten wir uns gemeinsam an einen Vatertag in Oelinghoven. In diesem Dorf, verwaltungsmäßig ein Stadtteil von Königswinter, wohnten wir damals. L. war sieben Jahre alt. Es war der 13. Mai 1999. Das Datum ist mir im Gedächtnis geblieben, weil ich während der Feierlichkeiten per Telefon davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der damalige Außenminister Joschka Fischer auf einem Grünen-Parteitag von einem Farbbeutel getroffen wurde – in Bielefeld! Wo auch sonst?, kann ich als Mindener nur sagen.
Bei uns waren die Feierlichkeiten dagegen sehr Vatertags-typisch: Ein Vater aus L.s Klasse war Landwirt und hatte einen Bollerwagen. Nicht so einen zum Hinterherziehen wie auf dem Bild, sondern einen großen, vor den man Pferde spannen konnte. Oder einen Trecker. Das tat der Vater des Klassenkameraden. Damit tuckerten wir durchs frühlingshafte Siebengebirge. Auf dem Bollerwagen war ein langer Tisch, flankiert von zwei Bänken, auf denen gut zehn Personen Platz fanden. Mehrere Familien mit Kindern, die abwechselnd auf den Beifahrersitzen des Treckers fahren durften. Es folgte ein Picknick auf der Wiese. Alkohol gab es nur für die Großen. Und die Einbeziehung der ganzen Familie trug Früchte: „Das ist eines der wenigen Ereignisse aus Oelinghoven, an die ich mich noch erinnern kann“, sagt L. Er ist übrigens heute 29 und noch kein Vater. Könnte aber noch werden.
Gastautor Thomas Rietig ist Journalist in Berlin. Zunächst arbeitete er als Lokalredakteur in Frankfurt am Main, dann in Bonn und Berlin fast 30 Jahre als Korrespondent, Reporter, Hauptstadtbüroleiter und stellvertretender Chefredakteur für den Deutschen Dienst der Nachrichtenagenturen Associated Press und der dapd. Seit die 2012 pleite ging, ist der Vater zweier erwachsener Söhne freier Journalist und Autor. Eines seiner Spezialgebiete ist Verkehrspolitik.
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