Die Politik lässt die Säbel rasseln

Wenn ich die Zeitung aufschlage oder Twitter lese, wird mir schlecht. Hatten wir nicht genug Panik während der letzten zwei Jahre, die uns jeden Tag schlechte Nachrichten von Kranken und Toten beschaffte? Jetzt rasseln der amerikanische Präsident Joe Biden und die Nato-Staaten mit den Säbeln. Deshalb empfehle ich allen, die die Konflikte besser einordnen möchten, das Buch von Gabriele Krone-Schmalz „Russland verstehen“.

Noch während der Olympischen Spiele spitzt sich der Russland-Ukraine-Konflikt weiter zu. Russlands Präsident Putin zieht Truppen an der ukrainischen Grenze zusammen, während die USA, unter Berufung auf Geheimdienstinformationen, warnen, dass ein Angriff auf die ehemalige Sowjetrepublik unmittelbar bevorstehe. Daraufhin verstärken die Nato-Staaten ihre Militärpräsenz in Osteuropa.

„Things could go crazy quickly“, sagt US-Präsident Joe Biden.

Die Situation ruft ein regelrechtes Wetteifern in den Medien hervor. Täglich werden neue Einzelheiten, Gerüchte und Warnungen veröffentlicht: Sollte Russland einen Krieg mit der Ukraine starten, könne Kiew in zwei Tagen fallen und 50.000 Zivilisten würden ihr Leben verlieren oder schwere Verwundungen erleiden, heißt es. Und auch wenn Russland jüngst mitgeteilt hat, nach Manövern nun mit dem Abzug von Truppen begonnen zu haben, bleibt die Situation  angespannt, zumindest unübersichtlich, und das selbst für Expert*innen.

Was ist dran an der Panikmache?

Die derzeitige Lage ist vielschichtig und der historische und geopolitische Zusammenhang nicht unerheblich. Es gibt mehrere Gründe für die Spannungen zwischen Russland und dem Westen.

  1. Der Maidan Aufstand

Putin erklärte 2014 nach dem „Maidan Aufstand“ das Budapester Memorandum für ungültig und annektierte die Halbinsel Krim. Die ukrainische Bevölkerung ist gespalten. Es gibt einen westlich orientierten sowie stark nationalistischen und einen pro-russischen Teil. Seit dem Maidan Aufstand kommt es auch immer wieder zu Kriegshandlungen im Osten der Ukraine. Russland rüstet pro-russische Separatisten militärisch aus. Und eine klare Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim befürwortet den Anschluss an Russland.

Säbel rasseln

  1. Bodenschätze

Laut aktuellen Medienberichten behauptet Russland, die ukrainische Regierung plane eine Militäroffensive im Donbas. Die Region ist ein großes Steinkohle- und Industriegebiet an der Grenze zu Russland. Russland betrachtet den Donbas als autonome Region, in der vor allem Russen leben. Die Ukraine beansprucht dieses wirtschaftlich sehr bedeutsame Gebiet jedoch weiterhin für sich.

  1. Die Nato

Putin ist es wichtig, einen Puffer zwischen sich und den NATO-Staaten zu schaffen. Bislang liegen nur die Ukraine und Belarus zwischen Russland und den NATO-Ländern. Putin aber will die NATO dazu verpflichten, keine weiteren osteuropäischen Staaten aufzunehmen, sich also nicht weiter nach Osten auszudehnen. Die USA unterstreicht jedoch, die Ukraine habe als souveräner Staat das Recht, ihre Bündnisse frei zu wählen.

  1. Nordstream 2

Deutschland ist extrem abhängig von russischen Gaslieferungen, die rund 55 Prozent des Verbrauchs in Deutschland abdecken. Bleiben diese Lieferungen aus, explodieren die Energiepreise in Deutschland noch weiter! Präsident Biden erwartet aber von Deutschland, dass Nord Stream 2 bei einem russischen Angriff auf die Ukraine gestoppt wird.

Ist es nur Säbelgerassel oder ist es ernst?

In Sandra Maischbergers Talkshow kamen genau zu dem Thema zwei Politiker*innen zu Wort.

Sarah Wagenknecht erklärt in der ARD-Show: Das, was Russland jetzt im Ukraine-Konflikt mache, sei das Ergebnis einer längeren Entwicklung. Der Westen habe die russischen Sicherheitsinteressen über Jahre immer wieder ignoriert, die Nato nach Osteuropa ausgedehnt und nicht auf Kooperation gesetzt, erklärte Wagenknecht in der ARD-Runde. Sie bemerkte: „Ich möchte mal erleben, wie die USA reagieren würden, wenn ein mittelamerikanisches Land, Venezuela, Kuba oder gar Mexiko, sich einem Militärbündnis anschließen würde, das von China oder Russland angeführt wird, und das dort Truppen und Raketenbasen stationieren würde.“ Wagenknecht verwies auf das Beispiel der Kuba-Krise 1962, die „fast einen dritten Weltkrieg“ ausgelöst hätte.

Bei Ex-Bundesinnenminister Gerhard Baum stößt ihre Aussage auf Widerstand: „In Wahrheit sei Russland wirtschaftlich ein Zwerg und Putin angeschlagen. Er habe „Angst vor seinem eigenen Volk“, deswegen versuche er nun außenpolitisch Prestige zu gewinnen. „Wir dürfen diesem Mann nicht durchgehen lassen, dass er das Recht bricht, die Demokratie in seinem Land zerstört und dass er uns unter einen Druck setzt, den wir nicht ausüben“.

Man scheint sich nicht einig. So lese ich in Gabor Steingarts täglichem Morning Briefing, dass der israelische Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari im aktuellen „Economist“ daran erinnert, der klassische Krieg habe seine Funktion, die Ausweitung von Macht und Wohlstand, in der Moderne weitgehend eingebüßt. Deshalb sei der Krieg zwischen den großen Mächten auch de facto ausgestorben. Er will aber nicht ausschließen, dass „eine einzige falsche Entscheidung eines irrational handelnden Menschen auch heute noch zu Krieg führen kann.“

Wo liegt eine Lösung?

Säbel rasselnGabor Steingart verweist in seinem Briefing auch auf Gabriele Krone-Schmalz, die frühere ARD-Russland-Korrespondentin, die schon 2015 in ihrem Bestseller schreibt: „Es liegt im ureigenen Interesse der EU, Russland als Partner zu haben. Wer diese Chance vertut, riskiert, dass Europa im Machtkampf künftiger Großmächte zerrieben wird.“

 

Ich habe das Buch schon 2015 rezensiert und empfehle es heute als dringende Lektüre, wenn man dem Säbelrasseln weniger Gehör schenken möchte und versucht, Russland etwas besser zu verstehen.

 

 

Fotos: Canva, Amazon

Dieser Beitrag wurde erstmals am 16. Februar 2022 veröffentlicht
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Die Kommentare zu “Die Politik lässt die Säbel rasseln”
  • Rupert

    I spent quite some time dealing with former Soviet states back across the noughties and early teens, which included living within the states.

    In the West we do not have the veneration of our political leaders that is present within the populations east of the Elbe.

    In the West we do not have the high-profile fascist groups who are followed by many citizens east of the Elbe.

    What the West has successfully exported to east of the Elbe is consumerism, which is not to be confused with political democracy.

    I recoiled when I saw WW2 souvenirs, including Nazi memorabilia, on a street market in the centre of Kiev, but I was alone in my revulsion.

    Only in Moscow have I woken up and walked around early morning and witnessed the serried ranks of empty beer bottles lined up on the kerbs for collection, not one was smashed!

    Religion plays a great role throughout society, a contrast to the secular nature of the West, excluding USA!

    Anybody who has read Tolstoy will be aware of the reverence there is for Kiev from further east.

    So, what is my take, the West totally misinterprets the psyche east of the Elbe, and I don’t see that changing in my lifetime!

  • Dieter

    Die Empfehlung, das Buch „Russland verstehen“ von Krone Schmalz zu lesen, kann ich nur nachdrücklich unterstützen. Ich habe die sehr gut recherchierten und mit Originalquellen belegten Ausführungen darin mit großem Interesse und viel Zustimmung geradezu verschlungen, als es herauskam. Ich war oft in Russland, hatte dort über mehrere Jahre auch ein Büro mit russischen Mitarbeiterinnen und einen sehr offenen und tiefen Gedankenaustausch mit ihnen und vielen anderen Russen… und kann nur auch dafür werben, die bei uns im Westen dominierende (und polarisierende) US- und NATO-Brille (der meisten Medien) mal auszublenden und die Fakten selbst zu analysieren. Dann ändert sich vielleicht die sehr subjektive und von außen geprägte Sicht auf Russland, die Krim und die Ukraine.


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