Von der Straße ins Schloss Bellevue?
Wer ist Prof. Dr. Gerhard Trabert? Ein Mann, der sich seit fast 30 Jahren um Wohnungslose kümmert, fordert nun den amtierenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier heraus. Von der Straße ins Schloss Bellevue? Wohl kaum, aber Gerhard Trabert kandidiert auch nicht, weil er sich wirklich eine realistische Chance ausrechnet. Und doch ist dieser Mann kein schlichter Zählkandidat, sondern ein nicht nur für ohfamoos überaus spannender und imposanter Mensch.
Ich beschäftige mich zum 1. Mal richtig mit Gerhard Trabert, als ich in so sympathisch und bescheiden im Deutschlandfunk-Interview höre. „Sehr, sehr, sehr gering“ sei seine Chance, Bundespräsident zu werden, gibt er da unumwunden zu – und vermittelt den Zuhörer*innen mit lächelnder Stimme: Macht aber nix, denn mir geht es nicht um Ämter, sondern um Themen. Um das Leben, vor allem um das Leben derer, die weniger zu lachen haben als wir, die zum Beispiel ohfamoos lesen. Und er antwortet stets so gelassen und überzeugend, dass ich mir sofort sein Buch bestelle.
Für mich, die sich gern sozial engagiert, stehen in diesem Buch keine Riesenüberraschungen. Aber so wie sich Gerhard Trabert seit Jahrzehnten einsetzt, so machen das dann doch wieder nur wenige. Und ich nehme ihm die ersten beiden Sätze seines Buches ab. Sie lauten:
„Ich stehe als sogenannter Obdachlosen- oder Armenarzt immer wieder im Mittelpunkt der öffentlichen Berichterstattung. Aber nicht ich sollte im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, sondern die von Armut- und Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen.“
Deshalb empfehle ich dieses Buch besonders denen, die wenig Kontakt mit Menschen haben, denen es wirtschaftlich schlechter geht.
Und die sich eine realistische Einschätzung davon machen möchten, wie es um das Thema Armut in unserem so reichen Land bestellt ist. Denn Gerhard Traberts Sozialarbeit ist facettenreich und er stellt seine Begegnungen nicht nur sehr offen, sondern auch voller Respekt vor den Betroffenen dar.
Wie Gerhard Trabert zu Johannes B. Kerner steht
Richtig verärgert hat mich seine Erinnerung an seine Erfahrungen mit der Redaktion von Johannes B. Kerner, den viele als gut gelaunten Fernsehmoderator kennen. Was Trabert mit Kerners Team erlebt hat, empört mich. So hatte die Redaktion Gerhard Trabert gebeten, wohnungslose Menschen für eine Sendung zu gewinnen – um genau diese später wieder auszuladen. Wollte man ihnen etwa keine Bühne geben?
Trabert erzählt, wie vorsichtig er ist, wohnungslose Menschen anzusprechen, wenn es darum geht, sie vor die Kamera zu holen. Denn sie hätten schon so viele Enttäuschungen erlebt. Er wollte nicht, dass sie in einer Fernsehsendung wieder enttäuscht würden. Dazu kam es aber erst gar nicht, denn: 14 Tage vor dem Sendetermin wurden sie wieder ausgeladen. Dabei waren die Verträge für die Sendung bereits geschlossen. Plus: Die Sendung war da mit den entsprechenden Gästen in diversen Programmzeitschriften angekündigt.
Das kann man alles detailliert in Traberts Buch nachlesen. Natürlich akzeptiert er die Tatsache, dass ein Sender Gäste nicht einlädt. Wenn sie aber gefragt würden, Vorgespräche stattfanden und sie dann trotz Zusage wieder ausgeladen würden – einen solch unwürdigen Umgang mit ohnehin von Armut betroffenen Menschen lässt Gerhard Trabert nicht gelten.
Das alles erfährt der Leser aus seinem Brief an Johannes B. Kerner, den Gerhard Trabert abbildet. Grotesk aber offenbar wahr: Er hat noch nicht einmal eine Antwort auf seine (gut formulierte) Beschwerde an die Redaktion erhalten!
Armut macht krank. Und krank macht arm.
Wer sich Traberts Website anschaut, kommt nicht umhin, sich mit einer seiner zentralen Botschaften auseinanderzusetzen. „Armut macht krank. Krankheit macht arm.“ Genau das hörte ich auch, als ich zuletzt über das Thema geschrieben habe. Neben den Themen Armut und Gesundheit ist es zudem das Thema Ungerechtigkeit, das als zentral bezeichnet wird. Sowohl von Menschen, die sich engagieren, als auch von den Betroffenen selbst.
So sagte mir Jutta Eggeling, die in der Kölner Südstadt die Begegnungsstätte Vringstreff e.V. leitet, in einem Interview mit dem Kölner Nachrichtenportal „Meine Südstadt“: „Faktisch konkurrieren Familien, Studierende, Flüchtlinge und Wohnungslose zunehmend um dieselben Wohnungen und Hilfsangebote.“ Dies beschleunige das Gefühl von Ungerechtigkeit bei allen Ratsuchenden enorm.
Oder wie es Gerhard Trabert bei der Vorstellung seiner Kandidatur, die DIE LINKE ermöglicht hat, vor Journalisten ausdrückt: Er habe das Gefühl, soziale Ungerechtigkeit werde immer größer. Und „ganz fatal“ werde es, „wenn Armut gegen Armut ausgespielt wird“. Das dürfe nicht sein!
Sozialrassismus ist das Problem der Stunde
Zurück zum Buch. In seinem Fazit zieht der Autor, 1956 geboren und Träger des Bundesverdienstkreuzes, folgendes Plädoyer: In unserer Gesellschaft mache sich wieder Rassismus breit. Und eine besondere Form davon sei „Sozialrassismus“. Der immer dann aufleuchte, wenn sich finanziell potente Gesellschaftsmitglieder mehr wert fühlten und gegenüber materiell Armen auf Privilegien pochten. Dazu hat Gerhard Trabert eine dezidierte Meinung:
„Wir dürfen uns von der Ignoranz, dem Wegschauen und dem Stigmatisieren gegenüber denjenigen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, nicht anstecken lassen. Wir können, nein, wir müssen etwas tun.“
Das Buch von Gerhard Trabert passt genau zu dem Ansatz von ohfamoos: Immer haben wir s e l b s t die Chance, etwas zu verändern. Lasst uns handeln in unserem eigenen Kosmos – es muss ja nicht jede*r gleich Bundespräsident*in werden 🙂
Foto von ET: Tanja Deuß / Knusperfarben Fotografie & Grafikdesign / Foto von Trabert: Christof Mattes
*In der der Sendung sollte es u.a. um ein Kochbuch gehen, das Trabert mit deutschen Spitzenköch*innen herausgegeben hat. Im Buch werden verschiedene Essengerichte bis 5€ für zwei Personen präsentiert. U.a. beteiligten sich auch die Köche Wiener und Lafer.
PS: Sonja hat vor Jahren bereits versucht, sich für 3 Euro am Tag gesund zu ernähren. Hier lest Ihr mehr über ihr Experiment.