Gedanken zur Nacht … wie noch gut schlafen?
Eigentlich hatte Gastautorin Carla-Susanne Kleinjohann vor, zusammen mit Anne Stosch einen Artikel über das Thema „So kann ich gut schlafen“ zu schreiben. Anne ist Physiotherapeutin und Mediatorin, in ihren Trainings beschäftigt sie sich mit Stressbewältigung. Beide haben sich zum Thema „Erholsamer Schlaf“ unterschiedlich weitergebildet. Klar ist beiden: Schlaf ist für Körper und Geist sehr wichtig, um ausgeglichen und voller Energie in einen neuen, „ohfamoosen“ Tag zu starten.
Doch je mehr die zwei begannen darüber zu reden, desto mehr entdeckten sie, wie lapidar ihnen das Thema angesichts der aktuellen Ereignisse erschien. Einfach nur „Tipps für eine gute Nacht“ geben? Unmöglich. So entstanden Carla’s Gedanken zur guten Nacht… Und: Bald gibt es auch Zoom-Workshops genau zu diesem Thema, Titel: „Mehr Balance im Leben“. Alle Termine findest Du unter diesem Artikel.
„Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht…“
So schrieb es einst Heinrich Heine in seinem berühmten Gedicht „Nachtgedanken“. Vor allem die Sorge, seine Mutter, Freunde und Verwandten, die er in der Heimat zurückgelassen hatte und von denen er glaubte, sie niemals wiederzusehen, machte dem ins Pariser Exil geflohenen Dichter zu schaffen, als er dort 1843/44 diese Zeilen verfasste. Vermutlich hat Heine ähnlich schlecht, zumindest nicht gut geschlafen; so wie viele seiner Landsleute in Deutschland heute …
Gut schlafen – wer kann das heute schon?
Die aktuelle Situation lässt in der Tat viele Menschen hierzulande nicht sonderlich gut schlafen. Niemanden lässt es kalt, wenn man in den Abendnachrichten Bomben auf Kiew oder Mariopol fallen sieht und sich angesichts der Not der Flüchtenden vorstellen muss, dass es uns durchaus auch so gehen könnte. Niemanden lässt es kalt, erschöpfte Frauen aus Bussen und Zügen aussteigen zu sehen – wie sie mit ihrem wenigen Hab und Gut und Kindern, die sich an Teddybären klammern, in einem fremden Land ankommen. Ja, sie sind dann zwar sicher und erleichtert, aber weit weg von ihren Lieben, die zuhause Freiheit und Heimat verteidigen. All das erleben wir täglich, im Fernsehen oder auch direkt vor Ort – an Bahnhöfen, in Flüchtlingsunterkünften oder auch in Familien, die Flüchtlinge aufnehmen.
Solche Bilder machen etwas mit uns. Sie begleiten uns am Tag und wandern mit uns in die Nacht, wollen verarbeitet werden – während wir uns selbst vielleicht immer noch mit leicht mulmigem Gefühl einreden, dass wir in Sicherheit sind. Zumindest wollen wir das glauben.
Wie, bitteschön, kann man von „erholsamen Schlaf“ reden, wenn unser Leben gerade schier aus den Fugen zu geraten scheint?
Lange sind wir davon ausgegangen, dass unser Leben in Europa eine gewisse Stabilität und Sicherheit bietet. Abgesehen von alltäglichen Dingen, über die man sich hie und da meinte aufregen zu müssen oder die uns vor Herausforderungen gestellt haben, war zumindest davon auszugehen, dass alles in einer gewissen Weise seinen „Gang geht“. Man geht seiner Arbeit nach, unternimmt etwas mit Freunden oder der Familie, plant einen Urlaub, kümmert und engagiert sich etc. Friede, Freiheit, sauberes Wasser, frische Luft …- einfach da, selbstverständlich. Doch schon die Pandemie hat Vieles verändert, Risse sichtbar gemacht: Sorgen, Nöte, Ängste und Zweifel – Strukturen, die nicht tragfähig sind, vielleicht nie waren. Selbst Leistungsfähigkeit und Disziplin – vielgerühmte, deutsche Tugenden scheinen betroffen… – alles zu viel – einfach nur zu viel!
Was ist sicher? Was haben wir wirklich „im Griff“?
Das Leben mit Corona hat Menschen weltweit einiges abverlangt. Vor allem aber hat es uns klar gemacht, dass von einem Tag auf den anderen alles anders sein kann. Unser Sicherheitsgefühl, oder sagen wir besser unser vermeintliches Sicherheitsgefühl, hat in dieser Zeit einen Dämpfer abbekommen. Einen, der bei vielen Menschen geradezu einen Gedanken-Tsunami entfacht und gleichzeitig bisherige Gedanken-Konstrukte zu Fall gebracht hat. Inzwischen dürfen wir uns angesichts unseres ausgeprägten Sicherheits- und Kontrollbedürfnisses eingestehen: Die verzweifelten Versuche, uns gegen alles absichern zu wollen, unterliegen einem fatalen Glauben an eine Kontinuität.
Spätestens mit der Pandemie dürfte deutlich geworden sein: 1. Das Leben auf diesem Planeten unterliegt natürlichen Gesetzen, und wir haben es, auch wenn wir uns noch so sehr anstrengen, nicht wirklich „im Griff“. 2. das Gleichgewicht auf der Erde ist fragil und 3. unser Leben ist endlich und alles andere als sicher.
Worauf ist überhaupt Verlass? Und was bedeutet das für jeden Einzelnen, für unser Miteinander?
Zugegeben – solche Gedanken können verunsichern, vorausgesetzt man lässt zu, sie überhaupt zu denken. Verdrängen ist ein Mechanismus, den die meisten von uns nur zu gut kennen, wenn wir etwas nicht wahr haben wollen oder nicht ertragen können. Manchmal kann das durchaus hilfreich sein. Doch wie umgehen mit einer Bedrohung, die omnipräsent ist, die wir nicht unter den Teppich kehren können? Wie umgehen mit etwas, von dem wir dachten, es sei vorbei – wenn schon die nächste Herausforderung auf uns wartet? Was ist übrig geblieben von unserer Hoffnung, der 3. Corona Sommer soll endlich wieder normal(er) werden, wenn Putin mit seinen Truppen wenige Kilometer vor der polnischen Grenze steht und sein Handeln kaum mehr einzuschätzen ist?
Der Krieg ist in uns – der Frieden auch
Lange war der Krieg weit weg. Er fand im Jemen statt, in Syrien oder Afghanistan. Nun haben wir Krieg mitten in Europa, einen Steinwurf von Deutschland entfernt. Fassungslos sehen wir auf unser Leben. Wir fühlen uns betroffen und versuchen, die täglich auf uns einprasselnden Informationen zu sortieren und einzuordnen.
Wir möchten uns ein halbwegs klares Bild machen. Und doch haben wir das Gefühl, aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Einem Gleichgewicht, von dem wir zu gerne glaubten, es existiere, weil unsere Sicht, wie wir auf die Welt schauten, es uns so weismachte. Längst schon können wir nicht mehr darüber hinwegsehen, dass es wohl um eine tiefere Wahrheit geht, wenn wir von Balance sprechen: Um einen Wandel in der Tiefe unseres Herzens, der von uns eines fordert: Den eigenen inneren Krieg zu beenden und im Frieden mit dem zu sein, was ist. Uns vom gegenwärtigen Moment berühren zu lassen – und mit dem, was ist, sein zu können, ohne es „weghaben“ oder „wegmachen“ zu wollen.
Was entscheidet darüber, ob wir nachts gut schlafen?
Zu allen Zeiten sehen sich Menschen vor Herausforderungen, die ihnen alles abverlangen, und sie damit gleichzeitig zu einem Umdenken, zum Loslassen alter Konzepte, Gewohnheiten und Glaubenssätze veranlassen. Die aktuelle Situation zwingt uns geradezu hinzusehen, hineinzuspüren und ehrlich mit uns zu sein. Sie hilft uns, empathisch und mitfühlend zu sein. Mit uns und anderen.
Indem wir die Vergeblichkeit unserer eigenen Schritte erkennen, lernen wir gleichzeitig, großzügiger gegenüber anderen und mit uns selbst zu werden. Lernen wir, das zuzulassen, nehmen wir genau das vom Tag mit in die Nacht.
Wie wir uns am Tag fühlen, entscheidet auch darüber, wie wir nachts gut schlafen.
So wie wir leben, sterben wir. Beides bedingt einander – auch wenn wir Menschen immer noch oft glauben, wir könnten uns über natürliche Gesetzmäßigkeiten und Rhythmen hinwegsetzen, ohne dafür einen Preis zu bezahlen, dieses fein aufeinander abgestimmte System aus dem Takt zu bringen.
Ehrlich mit uns selbst sein und nicht schnell eine Schlafpille einwerfen
Vielleicht hilft uns gerade diese aktuelle Situation in Europa anzuerkennen, wie sehr wir uns erhoben haben über den natürlichen Rhythmus, der das Leben auf diesem Planeten steuert. Vielleicht sehen wir, dass es nicht damit getan ist, sich z.B. bei Schlafproblemen einfach ein Mittelchen in der Apotheke zu besorgen, sondern dem nachzugehen, was der eigentliche Grund für die nicht erholsame Nachtruhe sein könnte. Dieser Wahrheit ins Gesicht zu sehen, mag manchmal nicht einfach sein. Zu sehr haben wir uns an die Mechanismen gewöhnt, uns nicht mit unseren Angstmonstern beschäftigen zu wollen, um uns vor unliebsamen Wahrheiten zu schützen.
Das Geschenk, das auf uns wartet, wenn wir eigenverantwortlich handeln, ist freilich so groß, dass es jeder Anstrengung wert ist. In Frieden zu sein, lässt uns nicht nur gut schlafen. Es lehrt uns auch jeden Tag aufs Neue, uns auf das Wohl aller auszurichten:
Je achtsamer und präsenter wir sind, um so mehr gelingt es uns, für andere von wahrem Nutzen zu sein.
Und jetzt dürft Ihr, liebe Leser*innen, mitmachen:
Anne Stosch und Carla-Susanne Kleinjohann stellen folgende Fragen zur Reflexion:
- Was ist für mich wichtig in einer schlimmen Situation / worst case scenario – welchen Gedanken möchte ich da denken können? Von welchen Gedanken darf ich mich verabschieden? Welche Krise habe ich schon in meinem Leben durchgestanden. Was hat mir dabei geholfen?
- Welche „Minikriege“ führe ich in mir ? Wo in meinem Körper spüre ich die? Wie kann ich damit Frieden schließen?
- Wie will ich auf die Welt schauen? / Was soll in meinem Leben eine Rolle spielen? Welche Qualitäten will ich erleben?
Praktisch werden die Themen in vier Z o o m – M e e t i n g s „Mehr Balance im Leben“ behandelt: Am 21. & 28.4. sowie 5.5.& 12.5. laden Carla & Anne Euch ein, tiefer auf die Reflexionsfragen einzugehen und das Thema Self-Care besser kennenzulernen.
Gastautorin Carla-Susanne Kleinjohann begleitet Menschen auf ihrem Weg, ihre wahre Kraft und innere Schönheit zu entdecken und sie zum Wohle aller einzusetzen. Ihre Verbundenheit mit allem, was ist und die Freude darüber weiterzugeben, treibt sie an, um Menschen an die Kostbarkeit ihres Daseins auf Erden zu erinnern. Sie macht vor allem das Thema Vergänglichkeit bewusst und zeigt auf, wieso darin der Schlüssel für ein erfülltes Leben und mehr Mitmenschlichkeit liegt. Sie ist Coach und Mediator, gibt traditionelles Shiatsu und arbeitet kinesiologisch u.a. mit ätherischen Essenzen. Was sie in der „Welt der Stille“ berührt, stellt sie ihren Klienten mit „The Art of Caring“ zur Verfügung. www.carla-kleinjohann.com
Foto: privat; Illustration: Eva Gotthardt
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Nachtgedanken
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.
Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn,
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.
Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext.
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!
Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh ich, wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.
Die Mutter liegt mir stets im Sinn.
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen.
Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land!
Mit seinen Eichen, seinen Linden
Werd ich es immer wiederfinden.
Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.
Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt – wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.
Und zählen muß ich – Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual,
Mir ist, als wälzten sich die Leichen
Auf meine Brust – Gottlob! sie weichen!
Gottlob! durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.
Heinrich Heine (1797-1856)
Liebe Carla! Ja auch ich fühle mich seit langem um den gesunden Schlaf gebracht. Noch vor Corona fing es an. Wie und was kann ich zu Frieden und Freude beitragen? Denn nur dafür sind wir auf Erden. Aber irgendwann haben wir eine falsche Abbiegung genommen und die Trauer darüber bringt uns um den Schlaf und um den Verstand. Trotzdem hoffnungsvoll blicke ich nach vorn, von Nacht zu Nacht.
Liebe Silke, ja, das ist in der Tat nicht so einfach, vor allem in Zeiten wie diesen, wo wir mit neuen Nachrichten und Bildern fast minütlich versorgt bzw. vielleicht sollte ich sagen „bombardiert“ werden. Man mag kaum glauben, dass all das „wirklich“ stattfindet…und doch fordert es uns heraus, genauer in uns zu horchen, wie es um unseren eigenen inneren Frieden oder Unfrieden steht. Nicht immer ein Spaziergang, ich weiss..;-) aber durchaus erhellend, wenn wir – wie man bei uns im Ruhrgebiet sagt- mal die Hose runterlassen. Im übrigen fällt mir bei Dir einiges ein, wie Du zu Friede & Freude beiträgst…;-) Auch das will „gesehen“ werden, liebe Silke. Macht Freude und Frieden!
Sehr schöner Artikel, mit dem jeder was anfangen kann. Gedanken verändern Gefühle, verändern Verhalten…..
Liebe Marita, ich freue mich, dass Dir der Artikel gefällt und hoffe, dass meine Zeilen auch dazu einladen, mit einem „anderen Blick“ auf Situationen, Dinge oder Begegnungen zu schauen, die einem vermeintlich „widerfahren“. So kann jeder seinen Beitrag zum Frieden leisten. Peace of mind – Ich finde das wunderbar.