Acht bunte Sofas mitten in Köln
Am Rande der Gesellschaft leben – das trifft auf viele der wohnungslos in Deutschland lebenden Menschen zu. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, findet jährlich am 11. September der Tag der Wohnungslosen statt. Köln greift das auf und plant drei Tage später, absichtlich genau in der Woche platziert, einen Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit. Was dahinter steckt, hat Elke recherchiert.
Sich auf ein Sofa setzen und zu berichten, was man fühlt, denkt, wünscht. Zuhause vielleicht kein Problem – wenn man ein Zuhause hat und dort auch ein Sofa. Sich auf ein Sofa im öffentlichen Raum zu setzen, zum Beispiel mitten in Köln am Breslauer Platz in direkter Nähe zum Dom und am Fuße des Hauptbahnhofs, ist schon eine andere Nummer. Dennoch wollen die Träger der Wohnungslosenhilfe in Köln, wozu große wie das Diakonische Werk Köln und Region oder kleinere wie der Verein Auf Achse zählen, genau das probieren:
Im gesamten Stadtgebiet in Köln, auf insgesamt acht Plätzen, bunte Sofas platzieren und zum Dialog einladen.
Deborah Blum, Sozialarbeiterin beim Diakonischen Werk Köln und Region gGmbH, ist die Begeisterung für das Sofa-Projekt am Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit anzuhören. Am Telefon erzählt sie mir, Ziel sei es, Berührungsängste zu verringern und Wertschätzung für die verschiedenen Lebenslagen von Menschen zu zeigen. Betroffene und Mitarbeiter*innen der Wohnungslosenhilfe machten mit, wollen sich also auf die Sofas setzen und sich über den Lebensalltag unterhalten. Zum Beispiel darüber, welche Probleme es gibt und welche Perspektiven.
„Es ist ein Experiment, ob das angenommen wird“, sagt Deborah Blum auch, aber ich höre zwischen den Zeilen heraus, dass sie zuversichtlich ist. Wenn beispielsweise bekannte Streetworker*innen vor Ort sind, dann könne ein solches Gespräch mit Betroffenen doch gut auf dem Sofa stattfinden. „Man kennt sich ja.“ Sie sei gespannt, wer sich traue und berichtet, man plane Schilder an den Sofas, um die Aktion zu erklären. Es solle aber immer ein freies, nicht moderiertes Gespräch sein. Man lässt sich also bewusst auf das ein, was dann eben spontan zur Sprache kommt.
Fakten zur Wohnungslosigkeit in Köln
Allein in Köln gibt es rund 7.100 wohnungslose Menschen, Tendenz steigend. Innerhalb nur eines Jahres habe die Zahl um 1000 zugenommen, lese ich in einer Pressemitteilung, die der Sozialdienst Katholischer Frauen e.V. Köln im Auftrag der Träger der freien Wohnungslosenhilfe aktuell herausgegeben hat. Zahlen, die sich auf die Wohnungslosenstatistik des Landes NRW beziehen, die derzeit jedoch nur für das Jahr 2020 vorliegen. Das ist wichtig zu beachten, denn:
Bedingt durch die Pandemie hat sich die Situation wohnungs- und obdachloser Menschen nochmals verschlechtert.
Und: Bei all diesen Zahlen sind nur die Menschen erfasst, die untergebracht sind bzw. als Wohnungsnotfall registriert wurden. „Das Dunkelfeld der verdeckten Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist deutlich schwieriger zu erfassen“, gibt Sabine Rupp vom Vringstreff e.V. zu bedenken, einer Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Wohnung, unterschiedlicher Religionen und Kulturen mit Sitz in der Kölner Südstadt.
Wie wohnungslose Menschen unterstützen?
Zwar gibt es immer wieder Aktionen, die für wohnungslose Menschen hilfreich sind. So stellte beispielsweise das Düsseldorfer Sozialministerium in diesem Jahr erstmals 250.000 Euro zum Schutz von Menschen ohne Wohnung und Obdach in der warmen Jahreszeit zur Verfügung: für Sonnensegel, Sommerschlafsäcke, Trinkflaschen und Sonnenschutzmittel, wie es in der Presseerklärung heißt. Die Träger der Wohnungslosenhilfe könnten dies beschaffen und an Menschen auf der Straße verteilen, lese ich weiter und Sozialminister Karl-Josef Laumann weiß: „Nicht nur im Winter, sondern auch bei sommerlicher Hitze sind Menschen, die auf der Straße leben, besonders gefährdet.“
Hauptproblem Nummer 1 bleibt der Wohnraum
Das stimmt sicher und es ist gut, dass aktuell reagiert wird. Hauptproblem Nummer 1 bleibt aber, natürlich, der Wohnraum. Denn auch wenn viele der 7.100 wohnungslosen Menschen in Unterkünften oder speziellen Hotels leben, öfters auch zwischendurch bei Freunden unterkommen können, so dass man gar nicht sieht, dass sie keine eigenen vier Wände haben; die größte Herausforderung bleibt:
Wie den Alltag bewältigen ohne eigenen Rückzugsraum? Wie am sozialen Leben teilnehmen?
Dazu ist wichtig zu wissen: In Köln sind viele Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe schlicht voll. Das bedeutet, „die Aufnahmekapazitäten von Notschlaf-, Kontakt- und Beratungsstellen sind erreicht, weil der Wohnungsmarkt einfach komplett überfordert ist“. Das erklärt mir Diplom-Sozialpädagogin Andrea Lohmann, die beim Deutschen Roten Kreuz im Kreisverband Köln die Abteilung Psychiatrie leitet. Und nicht nur sie weiß, dass der ohnehin knappe Wohnraum bedingt durch den Krieg in der Ukraine und die Not der Geflohenen, die ja auch Wohnraum suchen, weiter gelitten hat.
Mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr Partizipation
Es heißt, die Stadtverwaltung habe auf die sich immer weiter verschärfende Situation wohnungsloser Menschen reagiert. Von einem „Prozess, der in Gang gesetzt wurde, um das bestehende Hilfesystem zu überprüfen und weiterzuentwickeln“, ist die Rede und ich frage Andrea Lohmann, was davon zu erwarten sei. Ihre Antwort:
„Ich erwarte hoffentlich mehr angemessenen und bezahlbaren Wohnraum für Menschen in Wohnungslosigkeit, mehr Wohnraum für Wohnangebote, mehr Partizipation. Und dies alles trotz knapper Ressourcen auf dem Wohnungsmarkt.“
Diese ganze Problematik am Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit auf Sofas diskutieren? Vielleicht kommt einiges davon zur Sprache, ja, aber wichtiger ist Andrea Lohmann, die eine der acht Sofa-Aktionen betreuen wird, „dass wir einfach mehr ins Gespräch kommen“. Es sei so wichtig zu zeigen: Wohnungslosigkeit ist ein großes Thema. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen aufgrund der steigenden Energiepreise besorgt sind und sich fragen: Wie kann ich im Winter noch meine Miete zahlen? Wie meinen Lebensunterhalt bestreiten?
Die Gespräche auf den Kölner Sofas werden zentrale Herausforderungen im Herbst 2022 spiegeln…
Was passiert am Kölner Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit?
Übrigens: Die Sofas sind ein wichtiger, aber nur EIN Teil der Aktionen, die am Aktionstag gegen Wohnungslosigekit stattfinden werden – an zwei großen Plätzen wird es zudem Theateraufführungen, Straßensingen oder auch Kunstausstellungen (z.B. zum Thema „Wohnungslose Frauen“) geben. Beratungsbusse sind ebenso am Start wie auch eine Stadtteilführung durch Köln-Kalk geplant ist. Und auch bereits vor dem Aktionstag haben die Bürger*innen die Möglichkeit, sich in mehreren Kölner Stadtbezirken über die Lebenswelten wohnungs- und obdachloser Menschen zu informieren und sich auszutauschen.
Hier findest Du mehr Infos, was alles vor und beim Kölner Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit geplant ist.
Warum gibt es den Tag der Wohnungslosen? Dieser Tag findet statt, jährlich am 11. September, um auf all die Menschen aufmerksam zu machen, die das am Rande der Gesellschaft leben. Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. besagen: Jährlich werden mehrere 100.000 Menschen in Deutschland wohnungslos. Wie kann man diesen Menschen präventiv helfen? Gerade im September finden, bedingt durch diesen Tag, bundesweit viele Aktionen statt, um Lösungswege aufzuzeigen.
Fotos: via Sozialdienst katholischer Frauen e.V. und Pixabay
D a s k ö n n t e D i c h a u c h i n t e r e s s i e r e n – das Buch von Gerhard Trabert Der Straßen-Doc (auch wenn er nicht Bundespräsident wurde… )