Im Süden der Türkei
Hier liest du den dritten Teil des Reisetagebuchs „Einmal Indien und Retour“. Die Abenteurer besuchen die Städte Kas, Side, Aspendos, Antalya, Alanya und Anamur im Süden der Türkei.
Sarigerme, 12. Oktober 2004
Die Nacht verbringen wir bei Grillengezirpe und Pinienduft. Nach dem Aufstehen werden wir von Schulkindern bestaunt, die in ihren blau-weißen Uniformen in Schulbussen an uns vorbeifahren.
Anschließend geht es über zwei 1000-m-Pässe durch herbstliche Landschaft in den Stadtpark von Mugla, ein neu angelegtes Erholungsgebiet, wo wir ein Stündchen spazieren gehen und zahlreiche Eidechsen bemerken. Auf der Weiterfahrt sehen wir eine Straußenfarm und machen dann einen Abstecher nach Köcegiz, das an einem herrlichen See liegt, der Fritz an den Lake Dal bei Srinagar, Hauptstadt des indischen Kashmir, erinnert.
Wenig später beginnt die steile Abfahrt hinunter zum Meer, das – gemeinsam mit den Bergen – einen herrlichen Anblick bietet. Unten angekommen erreichen wir bald unser heutiges Tagesziel Sarigerme, wo wir von Berliner Urlaubern herzlich begrüßt werden. Sie führen uns gleich zum Strand dieser herrlichen Hotel-Anlage, die allerdings etwas Unwirklich- Retortenhaftes an sich hat, zumal die vielen, vielen Gäste fast nur aus Deutschen bestehen und das türkische Milieu touristisch inszeniert scheint. Dennoch bedeutet dieser Nachmittag für uns ein luxuriöses Intermezzo: wir baden, spielen Strand-Tennis und freuen uns über das Wiedersehen mit Freunden fern der Heimat. Abends kehren wir zurück in unsere bodenständige Karawanen-Welt …
Kas, 13. Oktober 2004
Am nächsten Morgen verfahren wir uns und stehen ganz perplex vor dem Kontrollposten des Flughafens Dalaman, Einfallstor des internationalen Pauschaltourismus. Zurück nach Ortaca und weiter – sehr mühsam wegen der zahlreichen Steigungen und Gefälle – zum „Vorzeigestrand“ von Ölüdeniz bei Fethiye. Dort bestellen wir – warum eigentlich? – ein full English breakfast und beobachten eine Stunde lang die Kunstflüge von Paraglidern, verwegenen Freizeitfliegern, die ihre luftigen Runden drehen und souverän auf einer improvisierten Landebahn – keine 20 Meter von den Sonnenanbetern – zum Stillstand kommen.
Nächste Station ist der Strand von Patara, der eine Breite von 600 m und eine Länge von 18 km hat. Einlass: 6 Millionen Lira.
Bei bewölktem Himmel, aber hohen Temperaturen geht es immer an der Küste entlang nach Kas. Nach dem Hafenbummel (bunte Schiffe unterschiedlicher Größen und Materialien, gelegentlich ein Segler aus England oder Deutschland) suchen wir auf der Halbinsel einen schönen Übernachtungsplatz, den wir im Garten eines kleinen Restaurants finden. Wir dürfen kostenlos bleiben und gehen zum Dank hier essen: es gibt frischen Fisch, den wir zum größten Teil selbst verzehren, zum kleinen Teil der wartenden Katze überlassen.
Göynük, 14. Oktober 2004
Wir setzen die Fahrt in Richtung Kekova fort. Diese Halbinsel im Süden der Türkei ist malerisch gelegen und bietet eine Vielzahl kultureller und unterhaltsamer Möglichkeiten.
Am Hafen werden wir – wie so oft – von einem jungen Strahlemann „begrüßt“ (d.h. abgefangen), der uns wort- und gestenreich seine kostenlose Parkmöglichkeit anbietet. (Wie wir später bemerken, gibt es schlappe 50 m dahinter einen öffentlichen Parkplatz – natürlich gebührenfrei).
Wie dem auch sei: wir nehmen seinen Vorschlag an, für 50 € (kein Pappenstiel) mit einem schönen Holzboot durch die herrliche Inselwelt zu schippern, sonnenüberflutetes Wasser (von türkis bis dunkelblau) zu genießen, um bald darauf die Burg und die z.T. überfluteten Sarkophage von Simena (Kaleköy) zu bestaunen. Nach kurzer Fahrt erreichen wir schräg gegenüber die antike Stadt Apollonia, die nach einem schweren Erdbeben im Wasser versank, aber in ihren Umrissen (Mauern, Straßen, Gebäude) durch das klare Wasser noch gut zu erkennen ist.
Heute ist es wieder einmal nötig, nicht nur von den interessanten Etappen unserer Reise zu sprechen, sondern auch von der Art und Weise der Fortbewegung. Unser Bus ist eben kein explosiver Kurzstrecken-Sprinter, sondern ein Dauerläufer mit den Kraftreserven eines Kamels – der lange Atem als Gütezeichen einer Karawane. Das bedeutet, dass uns praktisch jedes Fahrzeug (egal, ob Moped oder Schwerlaster) locker überholt. Weniger lustig ist die höchst unterschiedliche Straßenqualität, welche Fritz wieder zu derben Sprüchen veranlasst, die teilweise nicht mehr tagebuchfähig sind.
Jedenfalls war heute wirklich Schwerstarbeit am Steuer angesagt, denn die Küstenstraße ist entweder alt, eng und ausgefahren, oder sie ist eine kilometerlange Baustelle, die immer wieder zu Stopps, riskanten Manövern oder langsamer Fahrweise zwingt. Respektabel ist dabei die technische Leistung, das harte Felsgestein zur Verbreiterung der Straße herauszubrechen.
Weiter im Süden der Türkei
Unser nächster Kultur-Stopp ist Myra mit eindrucksvollen Felsgräbern und einem gut erhaltenen Theater. Wir setzen uns minutenlang auf die Steinterrassen und lassen den Eindruck auf uns wirken …
Nicht alle Sehenswürdigkeiten nehmen wir wahr. So lassen wir Chimära (ewiges Feuer) und Olympos links liegen und erreichen noch bei Tageslicht per Kleinbus (dolmus) Antalya, um dort durch die Altstadt zu bummeln. Die Fahrt selbst dauert 1.5 Stunden und ist im Hinblick auf den Fahrkomfort (Stoßdämpfer, Kurventechnik, Beschleunigungswerte), aber auch in Bezug auf die Streckenführung ein Erlebnis für sich. Zuerst bedient der Bus jedes Dorf, dann fährt er – vorbei an unzähligen 5-Sterne-Hotels – durch das Verkehrsgewimmel hinein in den alten Stadtkern.
Antalyas Wahrzeichen ist ein hohes Stein-Minarett (Yivli Minare) aus der Seldschukenzeit.
Side, 15. Oktober 2004
Nach dem Frühstück lehnen wir dankend das Angebot zweier Türkinnen ab, ihre Waschmaschine mitbenutzen zu dürfen. Sehen wir schon so heruntergekommen aus?!
Wir fahren nach Perge und sehen die unter den Römern entstandene berühmte Säulenstraße, ferner das Theater für 14.000 Menschen und das 250 m lange Stadion für 27.000 Zuschauer aus dem 2. Jh. v. Chr.. Schön auch die Götter-Kolonnade, das Brunnenhaus und der Akropolis-Hügel mit Resten einer byzantinischen Kirche und einer Zisterne.
Nächste Station ist Aspendos; dort steht das am besten erhaltene Theater der Antike (2. Jh. n. Chr.).
Beim Verlassen der Anlage bieten wir dem Parkwächter einen Teller geschälte Äpfel an. Er lehnt ab mit dem Hinweis auf den heute (Freitag) beginnenden Ramadan. Bis zum Sonnenuntergang fahren wir noch eine kurze Strecke am Taurus-Gebirge entlang und übernachten kurz vor Side.
Alanya, 16. Oktober 2004
Wir erreichen Side, eine alte Piratenstadt, die unter Pompeius ein völlig anderes Gesicht bekam. In byzantinischer Zeit wurde die Stadt Bischofssitz. Im antiken Theater aus dem 2. Jh. n. Chr., wo früher viele Menschen ihr Leben lassen mussten, wurde in christlicher Zeit das Abendmahl gefeiert.
Am Hafen hauptsächlich Touristen, darunter viele Deutsche. Nach Besichtigung antiker Tempelreste schieben wir uns durch die Touristenströme aus aller Welt (die Juwelenläden werden oft von Bulgaren belagert und tragen häufig kyrillische Schriftzeichen). Dabei registrieren wir zwei kleine Gespräche.
Zum einen äußert sich ein Türke (auf deutsch) abfällig über das niveaulose Kaufverhalten vieler Deutscher, die (z.B. bei Lederwaren) „krebserregenden Schrott“ erwerben. Zum anderen fragt ein wohlbeleibter Sachse, ob es einen Radiosender mit deutschen Fußball-Ergebnissen gibt. Im nahen Manavgat kaufen wir in einem großen Supermarkt mal wieder nach Herzenslust preiswert ein: Obst, dunkles Brot, Getränke, Käse, Wurst, Ayran, außerdem Gemüse, Hackfleisch und eine Flasche türkischen Wein zur Feier des Tages.
Wir besichtigen den Wasserfall, der im Hinblick willkommene „Oase“ erholungssuchende Türken in Feierlaune eindeutig die Mehrheit bilden, denn die Meeresküste ist immer noch ein einziger Touristentrubel.
Auf dem Weg nach Alanya (die Burg wollen wir morgen besteigen) gibt es an jeder roten Ampel ein kleines Schwätzchen, besonders mit Motorradfahrern.
Alanya, 17. Oktober 2004
Fast 6 Stunden waren wir unterwegs, zuerst per dolmus ins Zentrum von Alanya, dann zu Fuß hinauf auf die Burg (türkisch: kale) mit sagenhaften Ausblicken auf Land und Meer. Lange Zeit uneinnehmbar thront die Festung hoch über der Stadt, deren Hafen voller Touristenschiffe und unzähliger Restaurants ist. Sehenswert der dicke rote Turm (türkisch:kizile kule), achteckig und von Zinnen gekrönt, aus dem 13. Jh., die Stadtmauer und die etwa zur selben Zeit gebaute seldschukische Werft mit ihren fünf Einfahrten, die von Spitzbögen eingerahmt werden. (Übrigens: dort, wo der Burgblick am schönsten ist, wurden früher die zum Tode Verurteilten ins Meer gestoßen. Andere Zeiten, andere Sitten.) Beim Abstieg präsentiert sich das Meer in einem breiten Farbenspektrum, das von dunkelblau türkis reicht.
Bei der Rückkehr zum Bus messen wir eine Innentemperatur von 38,2° C. Dieser Wert wird uns spätestens dann unwirklich vorkommen, wenn wir bei der Rückfahrt (vier Monate später) in die Minusgrade abrutschen.
Anamur, 18. Oktober 2004
Wir bunkern Wasser (vergessen auch niemals den Anti-Bakterien/Virus-Zusatz) und fahren eine kurven- und aussichtsreiche Küstenstraße weiter Richtung Osten. Das Panorama ist postkartenreif; dabei ist das plötzliche Ende der touristischen Infrastruktur, besonders der kilometerlangen Hotelketten und halbfertigen Rohbauten, geradezu herzerfrischend. Keine klimatisierten Hochglanz-Reisebusse mehr, die bisher wie Elefantenherden an uns vorbeistampften; keine schrille Werbung für Lederwaren und Schmuck: hier, zwischen Alanya und Anamur, kann die Karawane so richtig eintauchen in das Alltagsleben der Türken – auf dem Lande wie in der Stadt.
Dazu kommt die Gnade der späten Jahreszeit, denn die Temperaturen sind morgens und abends „herbstlich“, d.h. nachts sinkt das Thermometer bis auf 20° C ab. Tagsüber bleibt es für Mitteleuropäer recht heiß, und so flüchten wir vor der Mittagspause in eine Bank, um einmal US-Reiseschecks einzutauschen. Dabei erleben wir einen finanziellen Reinfall, denn man berechnet uns am Ende der 1,5-stündigen Transaktion 12% Provision. Ich fürchte, dass Reiseschecks im Zeitalter der Kreditkarten ausgedient haben, so dass wir uns vornehmen, unseren Vorrat wieder mit nach Hause zu nehmen.
Gegen 15:00 erreichen wir die Marmure Kalesi, das Wahrzeichen von Anamur, eine dreimal wieder aufgebaute, daher gut erhaltene Burg direkt am Wasser mit Innenhöfen, Stallungen, Wohnturm, Badeanlagen und einer Moschee.
- Fritz und ich gleichen unsere gemeinsame Bordkasse fast täglich durch gegenseitige Zuschüsse aus. Daher entstehen kurzfristige Gläubiger- und Schuldnerverhältnisse. Heute z.B. schuldet er mir 88.000.000,00 türkische Lira.
- Zum wiederholten Male machen wir die Erfahrung, dass unsere mitgebrachten Kugelschreiber große Freude bei Kindern auslösen. Heute erhielten wir sogar Gegengeschenke (Muscheln).
Pozanti, 19. Oktober 2004
Wir verlassen unseren reizvollen Standplatz direkt an der Marmure Kalesi und fahren über eine Gebirgsstraße mit umwerfenden Ausblicken Richtung Silifke. Der Wagen wird geschunden, aber wir Menschen genießen, wie tags zuvor, ein herrliches Panorama. Überall prächtige Pinien- und Eukalyptuswälder, in den tieferen Lagen Hibiscus und auch einige Bananenplantagen mit kleinen Früchten, die etwas süß schmecken. Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel, und unser Außenthermometer verzeichnet den Rekordwert von 48° C.
Kurz hinter Silifke besichtigen wir den bekannten Ort Cennet ve Cehennem („Himmel und Hölle“). Es handelt sich um zwei gewaltige Höhlen, die dicht nebeneinander liegen. In die Hölle, ein unergründliches schwarzes Loch, schaut man von oben herab, doch (paradoxerweise) noch tiefer geht es in den Himmel: 452 Stufen führen in die feuchte und modrige Grotte, in deren Bauch sich das Rauschen eines unterirdischen Flusses vernehmen lässt. Dort steht eine Kapelle. In manche Bäume an beiden Grotten knüpfen Einheimische weiße Stoff-Fetzen (adak). Jeder Fetzen ist mit einem Wunsch verbunden.
Wenig später kommen wir zum „Mädchenschloss“ Kitzkalesi. Dorthin hatte ein besorgter Vater seine Tochter bringen lassen, um sie – in Sichtweite von seinem eigenen Schloss – bewachen und beschützen zu können. Doch es half nichts: eine Schlange, die in der täglichen Essens-Lieferung verborgen war, tötete die Tochter.
Das restliche Stück nach Osten (bei Tarsus) gerät zu einer großen Enttäuschung. Statt unberührter Natur sehen wir kilometerlang nichts als seelenlose Betonsilos. So sind wir froh, kurz hinter Mersin auf die Autobahn zu gelangen und erstmalig auf der gesamten Reise nach Norden zu fahren. Bei einer 20-km-langen
Steigung überqueren wir auch den Fluss Göksu, in dessen Fluten Kaiser Barbarossa im Sommer 1190 ums Leben kam.
Unser Standplatz: Wild, wilder, am wildesten!
Wie es weitergeht? Das erfährst Du am 6. September 2023
Hier geht es zum vorherigen Teil der Reise.
Kommentare
Im Süden der Türkei — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>