Grüß Gott, idealisiertes Gestern!
Wann hast Du Dich das letzte Mal maximal empört? Aufgeregt, geärgert, heftig den Kopf geschüttelt vor Entrüstung? Wir haben einmal tief in die Empörungskiste gegriffen, so dass Elke nun eine Kolumne präsentiert, aus der die Empörung nur so raustropft. Und am Ende fragt (sie) sich: Wen nur wählen bei all der Empörung?
Empörung Nr. 1
Immer, wenn besonders viele Menschen die Bahn nutzen, zu Urlaubszeiten beispielsweise, möchte man den Reisenden zurufen: Hoffentlich klappt’s. Nicht dass ihr wieder strandet, das scheint doch bei den Bahn-Verantwortlichen so eine Masche zu sein. Immer beklagen sie sich über zu wenig Unterstützung vom Staat, kriegen aber noch nicht mal im Sommer, wenn es weder schneit noch hagelt, die Kuh vom Eis.
Empörung Nr. 2 + 3
Wobei die Eispreise ja, gutes Aufreger-Thema, zum Schreien sind: Geht’s noch? Soll der Bub von nebenan fast 10 Euro für seinen Eisbecher zahlen, für den er vorher auch noch so lange hat anstehen müssen? Denn auch diese Frage muss doch erlaubt sein: Wo ist eigentlich das ganze Personal? Beim Bäcker steht man schon frühmorgens, der Frisör hat erst in 2 Wochen einen Termin frei (der Haaransatz grüßt grau) und die Träger der Flaschenpost lassen auch immer öfter auf sich warten. Sollen die Leute etwa ihre Bierkästen selbst in die 2. oder 3. Etage schleppen, oder höher gar? Dafür gibt es doch solche Träger, nicht?
Empörung Nr. 4 + 5
Klar ist auch: Wer zur Miete wohnt und sich einen Gemeinschaftsgarten teilt, der hat Anspruch darauf, dass der Gärtner endlich mal seinen Bereich in den Griff kriegt. Also Rasen schneiden, aber zack zack. Kann er auch gleich die Hecken mitschneiden – nach dem gruseligen „Sommer“ hat der viele Regen ja überall dazu geführt, dass alles nur noch wuchert. Von wegen Dürreperioden! Jetzt haben die Klimakleber doch überall ihr Wasser, die Bäume werden es ihnen danken, wir sind von diesen Gießaktionen entlastet (die so manche Nachbarn initiiert haben) und haben vor allem wieder: Freie Fahrt.
Empörung Nr. 6
Denn das ist ja auch so ein Aufreger-Thema: Das Tempolimit. Nur weil alle Länder um uns rum das Tempo begrenzt haben, sollen die Deutschen etwa auch? So ein Kokolores. Was soll so falsch daran sein, sich gerne an früher zu erinnern? Schon mal das Wort „Retrotopia“ gehört? Das hat ein Soziologe geprägt, um die Vergangenheitssehnsucht vieler Deutschen zu kennzeichnen. Und schon schreibt DIE Presse verächtlich, es ginge „längst nicht mehr um ein besseres Morgen, sondern um ein idealisiertes Gestern“. Ja, und?
Hoffentlich ist bis hierhin klar geworden: In Deutschland maximal empört zu sein, ist eine bewegende Sache. Und sie wird professionell geschürt, schon bei Kleinigkeiten.
Empörung Nr. 7
Da werden Zusammenhänge hergestellt, dass es kracht. Oder Einstellungen ungeprüft übernommen. Fake News blühen selbst da, wo sie keiner vermutet. Und sind etwa nicht die größten Rowdies die Radfahrer? Die, die sich entweder ohne Klingeln ranschleichen und versuchen vorbeizuhuschen, oder sich mit Getöse nähern und eben den Lauten machen? Furchtbar ist das, warum gibt es nicht endlich mehr Fahrradwege, kein Mensch möchte sich doch mit diesen Rasern den Gehweg teilen.
Empörung Nr. 8
Aber teilen ist ja ohnehin so eine Sache. Wird nicht gerade das gerne geteilt, was ohnehin über ist? Wegwerfgesellschaft – nicht mit uns! Wir kriegen unsere Klamotten schon noch irgendwo unter, ob das gewollt ist oder nicht. Wir sind schließlich die Verteiler. Wie jetzt, Ihr Kind hat schon genug Hosen? Na, die eine kann der Bub doch sicher noch auftragen, vor allem dann, wenn das teure Eis mal wieder auf derselben gelandet ist. Und ehrlich, was soll man sich bemühen, dafür einen richtigen Kleidercontainer zu finden?
Das macht doch alles viel zu viel Mühe.
Reicht es nicht, wenn wir alle vier Jahre unseren Allerwertesten zum Wählen in irgendeine abgewrackte Schule (Aufreger-Thema!!) bemühen und dort unser Kreuzchen setzen?
Maximal empört und nun: Wen wählen??
Die Frage ist nur: Wen wählen? Kürzlich poppte ja die Piratenpartei wieder auf – eine Partei, die längst im Meer der weiten Politik untergangen zu sein schien. Aber nein, die hat der Bundespiratenkanzler doch gerade wieder salonfähig gemacht. Selbst große Unternehmen haben das begierig aufgegriffen, sich darüber lustig gemacht. So präsentierte IKEA einen Teppichvorleger, auf den sich sanfter fallen ließe…
Ganz ehrlich jetzt, bei all den Aufreger-Themen, sich in etwas Weiches zu betten – bei allem schlimmen Übel, dem wir tagein tagaus ausgesetzt sind, das wäre wirklich etwas ohoo Feines. Um dann loszulegen, aber mit was? Oder anders gefragt:
Empörst Du Dich noch oder bist Du doch schon einen Schritt weiter?
Hier noch ein Artikel zum ähnlichen Thema, hier geht es ums Meckern.