Wilde Gärten: Das können wir tun!
Rewilding – dieses Zauberwort schon einmal gehört? Im folgenden Artikel von Gastautorin Ramona Lichtenthäler geht es um Artenschutz auf kleinstem Raum und was jede*r von uns tun kann. So entwickeln sich, Schritt für Schritt, selbst Balkone zu Biotopen! Die Naturwissenschaftlerin und begeisterte Hobbygärtnerin berichtet darüber, wie Du in kleinen, nachvollziehbaren Schritten der Umwelt helfen kannst, denn sie ist sicher: Es ist nicht zu spät gegenzusteuern und es macht richtig Spaß, wilde Gärten anzulegen. „Kennengelernt“ hat Elke, schon lange ein Fan wilder Gärten, die Expertin übrigens über die Stiftung für Mensch und Umwelt, von der im folgenden Beitrag auch mehrfach die Rede sein wird.
Als ich diese Zahl zum ersten Mal gelesen habe, hat sie mich wirklich umgehauen: Jeden Tag sterben laut NABU aktuell im Schnitt weltweit 150 Tier- und Pflanzenarten aus – für immer. Allein in Deutschland haben wir in den letzten 30 Jahre etwa 75 % unserer Insekten verloren. Und auch 80 % der Vögel in Deutschland sind seit Beginn des 19. Jahrhunderts verschwunden. Die Ursachen für den Artenschwund sind vielfältig und reichen von Klimawandel über die zunehmende Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden bis hin zur industriellen Landwirtschaft. Und auch für uns Menschen sind die Folgen fatal, da der Verlust an Artenvielfalt am Ende auch unsere natürliche Existenzgrundlage bedroht.
Das Artensterben ist aufzuhalten – mach mit!
Vor Problemen einfach aufzugeben und zu resignieren ist aber nicht so mein Ding. Und daher habe ich mich nach dem ersten Schock auf die Suche gemacht, was ich selbst tun kann, um diese Entwicklung aufzuhalten – oder im besten Fall sogar umzukehren.
Und die gute Botschaft ist, noch können wir das tatsächlich schaffen!
Auch wenn Dreiviertel der Vögel und Insekten bei uns mittlerweile verschwunden sind, sind die meisten Arten noch da, nur eben in deutlich kleinerer Anzahl und in z. T. isoliert lebenden Populationen. Wenn wir es also hinbekommen, diesen letzten Vertretern ihrer Art möglichst schnell wieder eine bessere Lebensgrundlage zu bieten, können wir den fatalen Trend des Artensterbens immer noch umkehren.
Mehr pflanzliche Produkte konsumieren
Eine ganz einfache Möglichkeit, die weltweite Artenvielfalt zu schützen: mehr pflanzliche Produkte konsumieren. Der ganz überwiegende Anteil der landwirtschaftlichen Fläche weltweit wird nämlich nicht gebraucht, um uns Menschen direkt zu ernähren, sondern um Futtermittel für die Massentierhaltung anzubauen. Und das heißt leider u. a. auch, dass immer noch unberührte Natur in Form von Regenwäldern und anderen wertvollen Ökosystemen zerstört wird, um unseren Hunger auf Fleisch, Milch und Eier zu stillen.
Je kleiner dieser weltweite Hunger wird, umso höher die Chance, dass wir die letzten Biodiversität-Hotspots dieser Erde noch retten und auch mehr landwirtschaftliche Nutzfläche wieder an die Natur zurückgeben können. Wer nicht gleich komplett auf tierische Lebensmittel verzichten möchte, dem sei zumindest die sogenannte „Planetary Health Diet“ ans Herz gelegt. Dieser ganzheitliche Ernährungsansatz zeigt, dass wir uns gesund ernähren können, ohne die Erde zu überlasten.
Der Natur das Steuer in die Hand geben
Aber auch jede/r, der/die einen Balkon oder einen kleinen Garten hat, kann von zuhause aus mit einfachen Mitteln Großes bewirken für die Artenvielfalt. Das Zauberwort dafür heißt „Rewilding“. Im Gegensatz zum klassischen „bewahrenden“ Naturschutz geht es bei diesem noch recht jungen Ansatz darum, Kulturlandschaften wieder in Wildnis zurück zu verwandeln und dabei vor allem der Natur selbst das Steuer in die Hand zu geben – nachdem man ihr einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gegeben hat.
Und gerade die Gärten und Balkone in Deutschland bieten dafür ein riesiges Potenzial!
Schätzungen zufolge gibt es etwa 17 Millionen Gärten in Deutschland, die etwa die gleiche Fläche umfassen wie alle Naturschutzgebiete in Deutschland zusammen. Und zusätzlich dazu gibt es noch unzählige kleine und große Balkone, die sich ebenfalls wunderbar dafür eignen würden, der Natur wieder ein Zuhause zu geben. Je mehr dieser Gärten und Balkone zu Biotopen für die Artenvielfalt werden, umso mehr „Trittsteine“ entstehen, die Tieren und Pflanzen zeitweilig oder auf Dauer Nahrung und ein Zuhause anbieten und auch Wanderungen zwischen den einzelnen Stationen ermöglichen.
Bienenfreundlich: Leider keine große Hilfe
Und dass das alles nicht nur schnöde Theorie ist, sondern auch wirklich funktioniert, habe ich in den letzten 12 Monaten selbst mit Erfolg getestet. Mein Garten ist nicht groß, nur etwas 100 qm reine Gartenfläche hinter dem Haus plus mehrere kleine Beete vorne im Hof, die noch mal etwa 20 qm Fläche in Summe beisteuern. Das macht zusammen gerade mal 120 qm – ein Viertel der Fläche, die Gärten in Deutschland durchschnittlich so haben. Und auf dieser vergleichsweise winzigen Fläche ist es mir gelungen, die Anzahl der Tierarten in wenigen Monaten zu verdoppeln.
Wie habe ich das geschafft und wie könnt Ihr das nachmachen?
Der erste und entscheidende Baustein: die richtige Bepflanzung. Das häufig in Baumärkten und Gartencentern zu findende Etikett „bienenfreundlich“ oder „schmetterlingsfreundlich“ ist dabei leider keine große Hilfe. Viele unserer Insekten sind nämlich auf bestimmte heimische Pflanzen als Nahrungsquelle spezialisiert – also Pflanzen, die genau so auch wild in unserer Natur vorkommen und nicht von fernen Kontinenten importiert und/oder auf Schönheit für das menschliche Auge gezüchtet wurden.
Von den meisten der als „insektenfreundlich“ angepriesenen Arten wie z. B. Lavendel oder Hibiskus profitieren in Wirklichkeit vor allem die Generalisten unter unseren Insekten. Also Tierarten, denen es quasi egal ist, welche blühende Pflanze man ihnen vorsetzt – Hauptsache, sie bietet ein gewisses Maß an Pollen und/oder Nektar.
Neben verschiedenen Hummelarten zählt zu dieser Gruppe u. a. auch die Honigbiene, die entgegen der landläufigen Meinung aber weder eine heimische Art noch – im Gegensatz zu vielen ihrer knapp 600 „wilden Schwestern“ in Deutschland – vom Aussterben bedroht ist. Die Spezialisten unter den Wildbienen sind dagegen ausschließlich auf Pollen einer Pflanzenart oder weniger verwandter Arten angewiesen, um ihre Larven ernähren zu können: Ohne Natternkopf im Garten keine Natternkopf-Mauerbiene, ohne Glockenblume keine Glockenblumen-Sägehornbiene usw.
In kleinen Schritten zum größeren Biotop
Schritt eins der naturnahen Garten- oder Balkonumgestaltung sollte daher immer zuerst der Check sein, welche Pflanzenarten schon vorhanden sind – und welche man davon vielleicht lieber doch durch heimische Wildstauden ersetzen möchte. Wer sich nicht mehr so richtig erinnern kann, was irgendwann mal gepflanzt wurde, dem kann ich für die Pflanzenbestimmung die kostenlose App Flora Incognita empfehlen. Einfach mit dem Smartphone ein Foto vom unbekannten Pflanzobjekt machen und in der App hochladen.
Die KI im Hintergrund rechnet aus, welche Pflanze man vor der Linse hat.
Welchen Wert diese Pflanze für die heimische Natur hat, kann man sich dann im Detail auf NaturaDB oder in der entsprechenden kostenlosen App anschauen. Dort ist für jede Pflanzenart aufgelistet, wie viele Vogel- und Insektenarten davon profitieren. Sollte dabei ein sogenannter „invasiver Neophyt“ auftauchen, ist Vorsicht geboten! In diese Kategorie fallen Pflanzenarten wie die Kanadische Goldrute, die bei uns nicht heimisch ist, damit auch keine natürlichen Feinde hat und sich unkontrolliert und massenhaft in der Natur ausbreitet – zum Schaden der heimischen Pflanzen- und damit am Ende auch Tierwelt, weil sie die eigentlich dringend benötigten heimischen Pflanzen verdrängt.
Invasive Neophyten sollten daher möglichst vom eigenen Grundstück entfernt und in der Restmülltonne entsorgt, in jeden Fall aber nicht mehr neu gepflanzt werden. Nicht ganz so schädlich, aber auch nicht richtig nützlich für die heimische Natur sind Zuchtformen von Pflanzen, die z. B. eine andere Blütenfarbe oder andere Blätter haben als die Ursprungsart, erkennbar an Namenszusätzen wie „Pink Lady“ oder „White Gem“ nach dem eigentlich Pflanzennamen.
Wilde Gärten und die richtige Bepflanzung
Aus meinem eigenen Garten haben sich durch diesen Check nach und nach fast alle Pflanzen wieder verabschiedet, die ich Jahre zuvor noch gut gemeint, aber nicht wirklich sinnvoll ausgesucht hatte. Und haben dadurch Platz gemacht für über 300 Arten heimische Wildstauden und Sträucher, die in den letzten 12 Monaten neu in meinen Garten eingezogen sind.
Welche Pflanzen sich für eine solche Garten- oder Balkon-Neubepflanzung gut eignen, könnt Ihr z. B. auf den Seiten von „Tausende Gärten, Tausende Arten“, „Deutschland summt!“ oder „Naturgarten e. V.“ nachlesen. Wer mehr auf bewegte Bilder steht, lese bitte unter diesem Artikel meine Tipps!
Ihr wollt Eure neuen Pflanzen doch lieber selbst aussuchen? Dann nutzt einfach die Suchfunktion von NaturaDB. Dort könnt Ihr in der Rubrik Naturgarten z. B. den Standort Eures Beets wie „sonnig und trocken“ auswählen, in jedem Fall aber „heimisch“ und „nur Wildform“ ankreuzen und idealerweise noch Eure Postleitzahl angeben. Dann werden Euch im Suchergebnis nur Pflanzen angezeigt, die auch in Eurer Region zuhause sind. Das ist eine weitere wichtige Einschränkung, weil einer z. B. nur in den Alpen heimischen Art an der Nordsee gepflanzt „ihre“ Bestäuber fehlen. Zu den meisten Pflanzen findet Ihr auf NaturaDB auch gleich einen Link, wo Ihr diese Art bestellen könnt. Oder Ihr sucht in der Grünen Landkarte von „Tausende Gärten, Tausende Arten“ nach einer Gärtnerei mit Wildstauden in Eurer Nähe.
Wenn Ihr Euch entschieden habt, welche Pflanzen Ihr für Euren Garten haben wollt, kann ich zusätzlich auch noch die Listenfunktion von NaturaDB empfehlen. Um bei der Vielzahl an neuen Arten nicht den Überblick zu verlieren, habe ich mir dort für jedes Beet eine eigene Pflanzliste zusammengestellt. Eines meiner Beete findet Ihr als Beispiel hier.
Wildbienenhotel – eine gute Idee?
Auch wenn die richtige Bepflanzung schon die halbe Miete ist, machen erst möglichst vielfältige Unterschlupf- und Wohnmöglichkeiten Euren Garten oder Balkon zum wirklichen Naturparadies. Das erste, was einem zu dem Thema wahrscheinlich in den Sinn kommen dürfte, ist das berühmte „Wildbienenhotel“. Wenn Ihr mehr zu den „Dos and Don’ts“ dieses Themas nachlesen wollt (und warum Ihr die meisten der im Baumarkt angebotenen Modelle besser gleich im Regal lasst), schaut doch mal bei diesem Interview von mir vorbei.
Neben den verschiedenen Nisthilfen für Insekten, Vögel und weitere Gartentiere, die in keinem Garten (oder auch auf dem Balkon) fehlen sollten, sind es vor allem die „wilden Ecken“, die am Ende den Unterschied für die Natur machen.
Für wilde Ecken ist auf kleinster Fläche Platz.
Auf meinen 120 qm finden sich so inzwischen z. B. ein kleiner Teich, ein Sandarium, ein Käferkeller und eine Käferburg aus Totholz, eine Lehmpfütze, ein Sumpfkübel, eine Mini-Benjeshecke, ein sich noch entwickelnder Kräuterrasen, der nur noch zweimal im Jahr mit der Sichel gemäht wird sowie verschiedene Stein-, Laub- und Asthaufen – mal in der Sonne, mal im Schatten, weil jeder dieser Lebensräume unterschiedliche Arten anzieht. Ein paar dieser Elemente könnt Ihr auf den Fotos zu diesem Beitrag sehen. Und wenn Ihr wissen wollt, wie man solche naturnahen Strukturen ganz einfach selbst anlegen kann, schaut Euch doch mal diesen Leitfaden der Stiftung für Mensch und Umwelt an.
Und das bringt die Umgestaltung des Gartens!
Und was hat das Ganze nun gebracht? Da ich Naturwissenschaftlerin bin, wollte ich natürlich unbedingt wissen, ob dieUmgestaltung meines Gartens von „bienenfreundlich“ zu „naturnah“ auch wirklich einen Effekt hat – außer, dass ich meinen Garten persönlich jetzt viel schöner und spannender finde als vorher.
Dafür habe ich Handyfotos von allen Tierarten ausgewertet, die ich in den letzten acht Jahren in meinem Garten entdeckt habe. Bei der Bestimmung geholfen hat mir mit „ObsIdentify“, eine weitere kostenlose App, die Ihr unten in meinen Tipps findet. Der Clou daran: Fotos mit ausreichender Qualität, die mit Koordinaten aufgenommen wurden, können nach der Bestimmung in die App-Datenbank hochgeladen werden. Das hilft nicht nur der Bestimmungs-KI, immer besser zu werden, sondern die Daten können auch weltweit von der Wissenschaft genutzt werden, welche Arten noch wo in welcher Anzahl vorhanden sind. Schwarmwissen par excellence.
Fast 400 Arten leben heute in meinem wilden Garten
Das Ergebnis meines Umbaus: Verblüffend viel Effekt und das sogar messbar! In den sieben Jahren vor meiner Umgestaltung haben insgesamt 189 Tierarten in meinem Garten vorbeigeschaut, darunter Schmetterlinge, Wespen, Heuschrecken, Schnecken, Libellen, Käfer, Spinnen, Schwebfliegen, Wildbienen, Wanzen, Vögel, Amphibien und sogar auch ein paar wenige Säugetiere. Durch die Neugestaltung hat sich diese gar nicht so geringe Anzahl innerhalb von wenigen Monaten aber noch mal mehr als verdoppelt auf inzwischen fast 400 Arten.
Und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Auch jetzt finde ich fast jeden Tag noch eine neue Art, auch wenn mit dem Herbst so langsam Ruhe einkehrt in meine kleine Wildnis im Gartenformat.
Hat Euch dieser Beitrag inspiriert, auch etwas in Eurem Garten oder auf Eurem Balkon für die Natur zu verändern? Dann legt am besten gleich los und macht mit im gemeinsamen Kampf gegen das Artensterben!
Der Herbst ist neben dem Frühjahr die perfekte Zeit für Neupflanzungen, sobald die größte Hitze und Trockenheit vorbei sind.
Blüten werdet Ihr in diesem Jahr zwar keine mehr sehen, aber die zwei- und mehrjährigen Wildstauden können so noch vor dem Frost Kräfte sammeln, sich gut verwurzeln und wachsen – und blühen dann im nächsten Jahr umso prächtiger. Ich wünsche Euch viel Freude auf diesem Weg und hoffentlich auch viele spannende Tierbegegnungen.
Gastautorin Dr. Ramona Lichtenthäler konnte sich schon als Kind stundenlang damit beschäftigen, Vögel zu beobachten und für die Erdkröten im Garten ihrer Eltern im Westerwald einen Teich zu graben. 1974 geboren, studierte sie in Bonn Lebensmittelchemie und arbeitet seit fast 20 Jahren in Berlin in einer Bundesbehörde im Bereich Verbraucherschutz. Dort leitet sie u. a. das Nachhaltigkeitsteam und motiviert mit ihrem Team Kolleginnen und Kollegen, sich beruflich und privat für ein nachhaltigeres Leben zu engagieren, z. B. durch gemeinsame Müllsammelaktionen.
Ihr privates Glück hat sie mittlerweile in Hessen gefunden einschließlich eines kleinen Gartens, den sie naturnah umgestaltet hat. Zudem engagiert sie sich seit Kurzem auch politisch bei den Grünen. In ihrer Freizeit bereist sie leidenschaftlich gerne die Naturparadiese dieser Erde und ist z. B. regelmäßig auf Campingsafaris im südlichen Afrika anzutreffen.
Tipps von Ramona, wie Du im Netz schnell hilfreiche Informationen findest!
Diese App für die Pflanzenbestimmung ist empfehlenswert.
Mit dieser App die passenden Pflanzen für den Garten finden.
Auch diese Biodiversitäts-App ist sehr hilfreich für die Tierartenbestimmung.
Und ihr persönliches Best Of an Youtube-Kanälen für den Naturgarten hat Ramona ebenfalls zusammengestellt:
Renature Garten Design gibt ganz konkrete Tipps inklusive Pflanzlisten, welche Arten Ihr z. B. auf Eurem Balkon oder in einem schattigen Beet pflanzen könnt.
Ähnlich unterwegs ist der Österreicher Markus Burkhard.
Und wer das Thema Naturgarten ein bisschen humorvoller, aber trotzdem professionell angehen möchte, ist bei Robinga Schnögelrögel richtig.
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