Begegnung: Aktive Bürger im öffentlichen Raum
Bücher auf der Straße tauschen, an einem Offenen Bücherschrank, das ist heute alltäglich. Aber wie kam es dazu? Und welches Potential haben diese Schränke, wie können Bürger selbst aktiv werden und ihren eigenen Raum vor ihren Haustüren mitgestalten? Sogar Kultur veranstalten? Das erzählt uns Gastautor Hans-Jürgen Greve im Gastbeitrag und auch darüber, was der Stadtplaner und Architekt für die Zukunft im Visier hat!
Heute möchte ich Euch von einer Geschichte erzählen, die mit einer starken Vision anfing und die mit viel Mut und Durchhaltevermögen zu einem sehr erfolgreichen Projekt geworden ist.
2006 war der Anfang
Alle kennen mittlerweile die offenen Bücherschränke. Aber als es sie noch nicht gab und ich mir 2006 die ersten Gedanken über das Projekt gemacht habe, hielten mich alle für einen Spinner.
Nur sehr wenige Menschen glaubten an die Idee, Bücher in den öffentlichen Raum stellen zu können. Und es waren nur diejenigen begeistert, die vor meinem Schrank standen und ihn benutzen konnten.
Irgendwie hatten die Menschen nicht die Vorstellungskraft, sich so etwas Verrücktes auszudenken.
Und nur die Theorie, das reine Erzählen davon, funktionierte nicht. Wenn hingegen jemand vor dem Schrank stand, traute er seinen Augen nicht und guckte erstmal nach rechts und nach links, ob ihn jemand beobachtet, wenn er sich ein Buch aus dem Schrank nahm. Es war so ungewöhnlich, neu und in unserer Gesellschaft bisher nicht vorgesehen, dass es Bücher gibt, die man einfach so mitnehmen durfte. War denn das Eigentumsverhältnis geklärt? Musste das Buch wieder zurückgebracht werden? Es gab immer mehr Fragen.
2008 stellte ich den 1. Bücherschrank auf
Die meisten Fragen hatte ich allerdings schon beantwortet. Und zwar in Form des Bücherschrankes. Immerhin hatte ich 2 Jahre gebraucht, mich für das Projekt zu entscheiden und die Details entsprechend zu entwickeln, bis dass der erste Schrank im öffentlichen Raum aufgestellt wurde. Ich hatte wenig Angst vor Vandalismus.
Den ersten Bücherschrank habe ich am 1. Oktober 2008 in Bonn am Bonner Bogen aufgestellt. Das Projekt erforderte gutes Design, eine stabile Bauart und alle Funktionen, die im öffentlichen Raum wichtig waren, bis hin zu guter stadtplanerischer Gestaltung.
Für mich persönlich bedeutete das: Ich konnte endlich alle meine Kenntnisse, vom Maßstab 1:1 bis 1:5000, anwenden. Vom materialgerechten Entwurf des Stadtmöbels bis hin zur Stadtgestaltung, wo ich mit der Denkmalpflege für historische Plätze auf Augenhöhe bin.
Das Bedeutende bei meiner Arbeit sollte allerdings sein, dass sie mir Spaß machte. Das hatte ich mir nach meiner Selbständigkeit geschworen und es geschafft.
Ich sorge für gute Laune der Menschen.
Ich mache Stadträume schön und sorge gleichzeitig für gute Laune der Menschen. Und das in ganz Deutschland verbreitet, was ich als Stadtplaner nie schaffen würde.
Dann kamen immer mehr Erfahrungen, an die ich nie gedacht hätte, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte.
2019 gründete ich die Stiftung Neuer Raum
Ich habe in den ersten drei Jahren alles selbst gemacht. Die Schränke geschweißt und auch die Einweihungen der Schränke begleitet. Dadurch hatte ich unmittelbaren Kontakt zu den aktiven Bürgern, die ein starkes ehrenamtliches Engagement mit der Pflege der Schränke ausübten.
Einige fingen an, kleine Leseveranstaltungen zu organisieren. 2019 habe ich, um die aktiven Bürger zu unterstützen, die „Stiftung Neuer Raum“ gegründet. Unsere Netzwerke in den einzelnen Städten verbinden die Menschen miteinander. Gemeinsam geht es.
Seitdem entwickeln wir gemeinsam eine Kulturlandschaft im öffentlichen Raum.
Genau hinhören ist wichtig. Das Projekt ist für uns alle. Der Bedarf muss erkannt werden.
Miteinander reden stiftet Frieden
Hier kann sich durch eine Friedenskultur die Gesellschaft verändern. Denn die alten Plätze sind nicht nur neue Treffpunkte, sondern können, wie die Dorfbrunnen oder Dorfplätze früher, neue Anker der Viertel werden.
Orte, an denen Kultur stattfindet, die das Viertel prägt und mit dem sich die Menschen identifizieren.
Es wird eine Kultur der Begegnung stattfinden, bei der sich die Menschen durch einen friedlichen Austausch annähern und weiterentwickeln, Das Anderssein wird dann nicht mehr als bedrohlich empfunden.
In der Zusammenarbeit mit den aktiven Bürgern vor Ort, entwickeln wir jetzt bereits eine Kulturlandschaft im öffentlichen Raum, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Ein Dritter Ort im Stadtraum, der keine Schwellen hat und alle verbindet.
Eine neue Art von Integrations-Kultur
Die Integration findet am Bücherschrank bereits statt. Mit einer neuen Art von Integration-Kultur kann das Zusammenleben sehr viel besser werden. Nur ein Beispiel: Wenn Wir gemeinsam singen, entsteht schon eine verbindende Energie.
Wir stehen damit erst am Anfang. Das Projekt hat immer wieder neue Aspekte, die es zu entdecken gibt. Ich bin überzeugt, dass wir viel mehr Verbindendes haben als das, was uns trennt.
Wer diese Gedanken teilt, kann bei uns mitmachen. Derzeit loten wir diverse Möglichkeiten aus, um die Kulturaktivitäten an den Bücherschränken zu verstärken, bundesweit gibt es rund 1200 BOKX-Bücherschränke. Überall da, wo sie stehen, können die Menschen selbst mitgestalten – und wir von der Stiftung Neuer Raum unterstützen mit Inspirationen. Gerne direkt bei mir oder Ines Jacob (jacob@stiftung-neuer-raum.de) melden!
Gastautor Hans-Jürgen Greve liebte es schon immer, mit ungewöhnlichen Ideen Menschen zu begeistern und neue Wege zu gehen. Nachdem er unter der Hobelbank aufgewachsen war, studierte er an der RWTH in Aachen Architektur und Stadtplanung. 5 Jahre arbeitete er parallel am Lehrstuhl für Kunstgeschichte. Die praktischen Jahre verbrachte er als Angestellter in verschiedenen Büros, unter anderen 3 Jahre als Wettbewerbsarchitekt im Büro Heinrich-Wörner-Vedder in Dortmund. Danach war er 5 Jahre selbständig, plante Holzhäuser und gestaltete exklusive Innenräume. Parallel entwarf und entwickelte er in der eigenen Werkstatt Möbel, von denen er sich einige patentieren ließ. Hier mehr über ihn und sein Team.
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Diese sehr schöne Idee lässt sich noch ein wenig ergänzen. Könnte gleichzeig ein Hotspot für öffentlichrs W-Lan sein!
1.200! Bücherschränke: Was für eine großartige Leistung – ganz zu schweigen von der tollen Idee an sich. Auch in Wuppertal steht eines der Exemplare, am wunderschönen Laurentiusplatz. Der Bücherschrank war mehrfach Anlaß gewesen, beim Sonntagsspaziergang mit unserer Tochter über die Bedeutung von Büchern und dem Spaß am Lesen zu reden – nicht anstatt, sondern zusätzlich zu digitalen Medien. Heute spricht sie mit uns über neue digitale Medien und schenkt uns auch schon mal ein Buch zum Thema 😉
Jetzt kann ich mich endlich mal beim „Macher“ dieses Bücherschranks bedanken: „Dankeschön!“