Mt. Abu und indischer Tourismus
Das Tagebuch über die Indienreise „Einmal Indien und Retour“ führt unsere Abenteurer nach Mt. Abu, wo sie den indischen Tourismus in voller Vollendung erleben. Auch den Honeymoon Point lassen sie nicht aus. Die heutige Etappe nach Udaipur ist der letzte Abschnitt in Rajasthan.
Mt. Abu, 16. Dezember 2004
Wir fahren nach Mt. Abu, wo wir am frühen Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein eintreffen. Der Ort, 1200 m hoch an einem See gelegen, ist Ausflugsziel für den indischen Tourismus. Die Geräuschkulisse ist enorm, und man ist stets von Menschen umringt, denn die Inder leben im Kollektiv. Besonders umlagert ist der Bootsverleih. Auf unserem Rundgang treffen wir ein Mitglied der Brahma Kumbri-Sekte, die ein großes Treffen in Mt. Abu veranstaltet. Wir führen ein engagiertes Gespräch über den Sinn des Lebens.
- Wie schon in Shimla begegnen wir auch während der Fahrt nach Mt. Abu vielen Affen links und rechts der Landstraße.
Mt. Abu, 17. Dezember 2004
Wir besuchen den Höhlentempel Agneshwah Mahadev, der oberhalb der berühmten Dilwara-Tempel liegt. Nach Auskunft eines sehr freundlichen Zufallsbekannten (der bei der Luftwaffe beschäftigt ist und in Mt. Abu seine geistige Entspannung sucht) „schläft“ hier der heilige Mahadev unter einem Löwenfell und hat sich 12 Jahre lang nur von Früchten und dem Wasser einer wundersamen Quelle ernährt, deren Ursprung rätselhaft ist. Ein alter Mann schwört Stein und Bein, dass in dem Brunnen zwei Kobras leben, die dem Wasser eine besondere Qualität verleihen und von ihm auch schon mehrmals gesichtet wurden.
Abgesehen von einem ungewöhnlichen Einblick in indische Spiritualität genießen wir die seltene Gelegenheit, hier oben auf dem Berg der alltäglichen Hektik, besonders der nicht endenden Geräuschkulisse indischen Lebens zu entfliehen. Ganz in diesem Sinne versteht sich die Existenzform der Adivasi, die ein kollektives, naturbelassenes Dasein fernab von städtischen und dörflichen Ballungsgebieten führen.
Wir verabschieden uns von diesen genügsamen Menschen, besonders von unserem guten Bekannten (der uns ganz geduldig die Kunst des padmasan demonstriert, d.h. einer entspannten Sitz- und Geisteshaltung, die, untermalt von einem langgezogenen oom-Laut, tiefer Meditation entspricht) und begeben uns hinunter zu den berühmten Jain-Tempeln
(Dilwara). Dieser Komplex besteht aus 5 Bauwerken, von denen zwei Tempel nationale Berühmtheit erlangt haben, weil sie – über 14 Jahre hinweg – im 11. Jh. von mehr als 7000 Arbeitern aus hiesigem Marmor errichtet wurden. In der Tat stehen wir staunend vor wahren Wunderwerken der Bildhauerkunst, die sowohl durch die Gesamtanlage als auch, oder mehr noch, durch ihre unglaublich akribische und kreative Detailarbeit imponiert. Dargestellt sind in den offenen Tempelhallen Hunderte von Jain-Heilige in Meditation, auch Szenen aus ihrem Leben, Tänzerinnen, ornamentaler Schmuck in verschwenderischer Fülle, dazu Tier- Sequenzen in unzähligen Miniatur-Reliefs, aber auch eine fast lebensgroße Elefanten-Armee – alles aus Marmor.
Den Rest des sonnigen Nachmittags verbringen wir im Garten des Hotels beim five-o’clock- tea. Konkret bedeutet das immer die Wahl zwischen schwarzem Tee britischer Prägung und Ingwer-Kadamom-Tee indischer Art, der bei uns großen Anklang findet.
Mount Abu, 18. Dezember 2004
Wir laufen zum Honeymoon Point, wo ganze Busladungen von frisch Verheirateten abgesetzt werden. Von einer Aussichtsplattform, die einen herrlichen Blick auf die weite Ebene (Wälder, Flüsse, bestellte Felder) ermöglicht, rufen die jungen Ehepaare in einem kitschig- gewollten Ritual mehrmals „I love you“ hinaus in die endlose Ferne – und erhoffen sich davon Glück bis ans Ende ihrer Tage.
Udaipur, 19. Dezember 2004
Wir fahren über eine gute, aber enge Straße nach Udaipur. Die Strecke führt durch tribal country, wo nicht staatliche, sondern Stammesgesetze herrschen. Wie bereits in der Gegend von Mt. Abu werden wir auch hier mehrfach (einmal von der Polizei) vor Übergriffen der Adivasi-Bevölkerung gewarnt. Während wir die schöne Landschaft bewundern, kassieren wir prompt den ersten Steinwurf aus einer Gruppe von Kindern, die vergeblich versucht haben, uns etwas zu verkaufen.
Im Laufe des Tages erblicken wir gelbe Rapsfelder, Kokospalmen, Zuckerrohr und herrlich grüne Reisfelder. Überall, in Stadt und Land, laufen Kühe unterschiedlicher Sorten über die Straßen, oft mit bunt gefärbten Hörnern. Einmal saust ein Mungo über den Weg, und in den meist versifften Gewässern sehen wir weiße Kuhreiher stehen. Auffällig sind streckenweise riesige, langgestreckte Kakteen-Hecken entlang unserer Route.
Der Fateh-Sagar-See, Attraktion von Udaipur, ist außerhalb der Regenzeit kaum mit Wasser gefüllt. Nur so ist es überhaupt möglich, im Laufe eines Abendspazierganges auf den in der Mitte des „Sees“ gelegenen Nehru-Park zu gelangen, dessen bootsförmig konstruierte Cafeteria auf 5-m-hohen Betonpfeilern ruht, als bizarre „Luftnummer“ in die staubige Landschaft ragt und sich erst beim nächsten Monsun wieder als schwimmendes Restaurant präsentieren kann.
Udaipur, 20. Dezember 2004
Wir laufen zum Pichola-See, an dessen Ufern der Stadtpalast liegt, dessen Bauzeit vier Jahrhunderte betrug. Es handelt sich um die ehemalige Residenz der Mewar-Herrscher, deren Hauptstadt Udaipur war (577 m hoch). Der Palastkomplex ist ein Labyrinth aus Innenhöfen, Spiegelsälen, repräsentativen Gemächern, Fresken, Tempeln und zahlreichen Nischen, die schöne Ausblicke auf den See ermöglichen – der allerdings weit hinter unseren Erwartungen zurückbleibt, denn sein Wasserstand ist so niedrig, dass er wegen seiner Müllablagerungen und freiliegenden Moraste eher unästhetisch als idyllisch wirkt. An diesem Eindruck kann auch das angebliche Vorzeigehotel Lake Palace nichts ändern.
Festzuhalten bleibt, dass die Mewar-Herrscher stolz auf ihre jahrhundertelange Unabhängigkeit besonders gegenüber der Kolonialmacht England sind, aber auch auf ihre Selbstbehauptung gegenüber den früheren Mogul-Herrschern.
Interessante Einzelfigur war Col. James Todd (1782-1835), englischer Geschichtsschreiber und amtlicher Vermesser, der 18 Jahre lang in Rajasthan lebte und arbeitete.
Die vorherige Etappe kannst du hier nachlesen
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