Sehr geehrter Herr Vizekanzler …

… lieber Robert,

wenn uns jemand direkt und öffentlich auffordert, ihn in unsere Küche einzuladen, ist unser erster Impuls eher nicht, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Aber unsere Küche erstrahlt gerade frisch gestrichen und geputzt. Da haben wir uns an dein [1] Video erinnert und gedacht, der Kandidat kann sich unseren Küchentisch ja mal angucken, und dabei können wir reden. Fühle dich also an unseren gemütlic­hen Küchentisch eingeladen.“

So beginnen Bianka Schreiber-Rietig und Thomas Rietig ihren Offenen Brief an Robert Habeck, den deutschen Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. Der hat jüngst seine Küchentisch-Gespräche begonnen, um mit noch mehr Wähler*innen ins direkte Gespräch zu kommen. Einer unserer Gastautoren, der Berliner Journalist Thomas Rietig, hat Habecks Initiative zusammen mit seiner Frau aufgegriffen – und lädt ein an ihren Küchentisch in Berlin-Spandau.

Und so geht der Brief weiter …

„Bevor wir Themen vorschlagen, ein paar Worte zu unserem Tisch: Er ist aus massivem Holz und wahrscheinlich schon mehr als 100 Jahre alt, aber still going strong. Welche Rolle er in den ersten 50 Jahren seines Daseins gespielt hat, können wir leider nicht mehr ergründen. Aber seit er hier das kommunikative Zentrum der Familie bildet, sind an ihm und um ihn herum bedeutsame Entschei­dungen diskutiert und getroffen worden, hat die Familie gefrühstückt, zu Mittag und zu Abend ge­gessen, Brettspiele gespielt, gewon­nen und verloren und Reparaturen von Haus- und Hobbygeräten aller Art mit oder ohne Erfolg voll­bracht.

Auf ihm steht jetzt für ein paar Wo­chen ein Adventsge­steck mit vier Kerzen, deren erste heute entzündet wird. Die politprominenteste Person, die bisher an ihm gesessen hat, bekleidete übrigens das Amt eines Staatssekretärs und Re­gierungssprechers.

Zu uns: Wir sind ein jung gebliebenes Ehepaar, die Kinder sind aus dem Haus und tragen, ebenso wie wir, ihren Teil zu den Steuereinnahmen bei, ohne viel davon wieder in Anspruch zu nehmen. Mehr würden wir jetzt „unter eins“ nicht sagen wollen; du weißt ja, wie du uns erreichst. Wir haben ein wenig nachgedacht, um Fragen zu finden, über die du dich mit uns unterhalten könn­test. Deine Rede vor dem Parteitag war zwar nicht schlecht, wir fühlten uns mitgenommen, aber unsere Hal­tung zu deiner Partei und ja, auch zu dir, ist dennoch ambivalent. Wären wir in allem einig, bräuch­ten wir ja auch nicht mit dir zu diskutieren.

Tatsächlich sind uns einige Fragen und ein Vorschlag eingefallen.

Fangen wir mit dem Vorschlag an. Er dreht sich um ein Thema, das weder du noch deine Konkur­renten in Wahlkämpfen betonen – ja, sie erwähnen es nur äußerst selten. nicht einmal. Wie wäre es, wenn wir uns öfter um die Verbesserung des deutsch-französischen Ver­hältnisses kümmerten?

Es muss ja nicht gleich eine Wiedervereinigung sein, obwohl auch diese Forderung seit Karl dem Gro­ßen mehrfach historisch begründbar wäre. Wir verstehen nicht, warum der amtierende Bundeskanz­ler in den Fußstapfen seiner Vorgängerin bleibt und allzu viel Distanz zu unserem größten und wichtigsten Nachbarn wahrt. Zugegeben, der Präsi­dent im Elysée ist vielleicht ein wenig eitel und ein echtes Alpha-Männchen. Aber er hat oft ver­sucht, Deutschland in seine Initiativen einzubinden und ist bei beiden Regierungschefs immer auf eine kalte Schulter gestoßen. Vielleicht könntest du da ein bisschen mehr Schwung reinbringen. Für einen Wirtschaftsminister muss es auch ein Bedürf­nis sein, Fusionen zwischen großen europäischen Unternehmen wie etwa Siemens und Alstom nicht nur aus dem Blickwinkel kleinerer Konkurrenten zu sehen, sondern zu versuchen, die globale Wett­bewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Die erste Frage lautet:

Uns hat bei den Koalitionsverhandlungen 2021 verstört, dass du das Tempo­limit ganz ohne Zwang schon vor den Beratungen abgeschrie­ben hast, anstatt es als Verhandlungs­masse einzusetzen. Gerade weil wir der Meinung sind, dass es umweltpolitisch zwar nicht beson­ders ergiebig, aber auch nicht schädlich ist, bleibt die Frage: Warum?

Robert

Die zweite Frage:

Die zweite geht, auch wenn du es nicht mehr hören kannst, um das Heizungsgesetz. So wie es jetzt aussieht, scheint es ja ganz ordentlich zu sein. Die Geschichten um die erste Fassung zeigen aber unserer Ansicht nach, dass du und/oder dein Ministerium überhaupt nicht auf die massive Gegen­kampagne vorbereitet warst, obwohl doch klar war, dass die frischgebackene Opposition aus allen Rohren schießen würde. Was habt ihr aus dem folgenden Desaster gelernt?

Nun zur Bedrohung von außen:

In deiner Rede hast du zwar Putin scharf angegriffen. Mit uns gibt es keinen Diskussionsbedarf über deine Haltung in Sachsen Ukrainekrieg. Was uns aber gefehlt hat, war eine Positionierung oder gar ein Konzept zu den Fragen, wie man Putin bändigt. Die energiepo­litische Konsequenz aus seinem Handeln hat die Ampel zwar gezogen, aber in einer neuen Regie­rung mit dir als Kanzler – oder auch, was wir für wahrscheinlicher halten, als Vizekanzler – geht es, glauben wir, um mehr.

Es spricht viel dafür, dass wir den romantischen Pazifismus des vorigen Jahrhunderts hinter uns las­sen, der die Grünen und auch uns jahrelang bestimmt hat. Schon beim Fall des Eisernen Vorhangs wurden wir nachdenklich hinsichtlich dieser Haltung, etwa gegen den Nato-Doppelbeschluss. Hin­ter diesem stand ja nicht in erster Linie der Einsatz von, sondern die Abschreckung durch die Atom­raketen. Es gelang, wie wir inzwischen wissen. Würdest du auch so weit gehen, zu ei­ner Mehrheit mit Union und FDP beizutragen, um die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine zu ermögli­chen?

Dann wäre da noch eine eher persönliche Geschichte.

Wir empfinden dein derzei­tiges Auftreten als sehr zugewandt. Es setzt sich wohltuend von dem ab, was wir von der Politik gewöhnt sind. Ange­sichts dessen, was wir in der Am­pel erlebt haben, können wir nur hoffen, dass

– du es ernst meinst mit der Schaffung einer Fehlerkul­tur in der Politik, die auch von den Wäh­lern honoriert wird.

– dein manchmal treuherziges Dackelblick-Auftreten nicht nur einstudiert ist.

– hinter dem Rhetorischen auch eine handfeste Überzeugung steht, die politische „linke Mitte“ zu entkrampfen und gegen ihre Polarisierung und den Realitätsverlust anzukämpfen.

Ob du es ernst meinst, können wir vielleicht an unserem Küchentisch herausfinden.

lieber Robert
Lieber Robert, das ist unser Küchentisch

Glaubst du, dass diese Stimmung auch noch anhält, wenn du dich wieder in den Pragma­tismus einer schwarz-grün oder meinetwegen auch grün geführten Regierung einfügen musst?

Wir widmen diesen Fragen deshalb hohe Aufmerksamkeit, weil wir es für dringend nötig für die Zukunft der Demokratie und der einigermaßen offenen Gesellschaft in unserem Land (und in vielen anderen Ländern) halten, die politische Mitte wieder zu beleben und ihr eine dynamische, weithin hörbare Stimme zu geben. Wir sind nämlich sicher, dass es das ist, was die (noch) schweigende Mehrheit in Deutschland will. Aber sie muss sich eben von der Politik mitgenommen fühlen.

Wir haben noch weitere Fragen,

deshalb würden wir dich an unserem Tisch gerne willkommen heißen und uns freu­en, wenn du mal vorbeikommst.“

[1]    Wir duzen dich der Einfachheit halber, weil wir die Älteren sind und weil wir auch ein bisschen frech sein wollen.

Thomas Rietig ist Journalist in Berlin. Zunächst arbeitete er als Lokalredakteur in Frankfurt am Main, dann in Bonn und Berlin fast 30 Jahre als Korrespondent, Reporter, Hauptstadtbüroleiter und stellvertretender Chefredakteur für den Deutschen Dienst der Nachrichtenagenturen Associated Press und der dapd. Seit die 2012 pleite ging, ist er freier Journalist und Autor. Eines seiner Spezialgebiete ist Verkehrspolitik.

Bianka Schreiber-Rietig ist mehrfach ausgezeichnete Sportjournalistin, arbeitete u.a. für alle drei Frankfurter Tageszeitungen, am längsten für die Rundschau, sowie für den Deutschlandfunk, die ARD-Sportschau und den WDR und bloggt selbst unter sportspitze.de. Ihr Spezialgebiet ist Sportpolitik.

Dieser Beitrag wurde erstmals am 1. Dezember 2024 veröffentlicht
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Die Kommentare zu “Sehr geehrter Herr Vizekanzler …”
  • Toni

    Geistreicher Text – ich drücke die Daumen, dass der Vizekanzler mal vorbeischaut an Eurem Küchentisch… Wird bestimmt eine spannende Auseinandersetzung. Ob mit oder ohne Dackelblick 😉

  • Peter Gehrig

    da tät ich auch gerne kommen 😁😉

  • joachim kubowitz

    ja, der versuch ist es wert, bonne chance ….

  • Thomas Rietig

    Noch ein Update, das vielleicht deine Überlegungen zum Besuch beeinflussen könnte (Quelle: Ipsos, 10.12.2024: „Vor allem Robert Habeck kommt bei den Älteren nicht an. Nur 9 Prozent der 60- bis 75-Jährigen halten den derzeitigen Vizekanzler für die beste Besetzung im Amt des Bundeskanzlers, in den beiden jüngeren Altersgruppen sind es jeweils 14 Prozent.“

  • Harald

    Auf mich wirkt der Text (selbst)gefällig und oberflächlich, pseudokritisch.
    Es fühlt sich an wie ein Journalist, der eine entgegengesetzte Position einnimmt, da es der Job erfordert.
    Ok recherchiert aber – wie ein Thriller ohne Spannung. Tröpfelt so dahin.
    Ich hätte diesen Text nicht gebraucht.
    Ich schätze im Gegensatz zu Theoretikern die Toleranz und Tatkraft von Robert Habeck, die vielen Politikern und vielen Deutschen etwas voraus hat.
    Nämlich anpacken und tun, Fehler machen, eingestehen und verbessern.
    Als Deutsche(r) schaut man viel zu sehr auf den einen Fehler statt auf die vielen Erfolge.
    Respektvolle und geschätzte Grüße an alle


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