Wissen Meinungsmacher, was sie tun?
Am 22. Juli 2016 saß ich zufällig neben einer Polizistin. Ich drückte ihr, einfach so, meinen Respekt vor der großen Leistung derjenigen aus, die in diesen Tagen eingreifen müssen, uns beschützen und die Sicherheit in Deutschland gewährleisten. Wir kamen ins Gespräch. Auch über die Wirkung, ja die Macht der Medien. Wenige Stunden später wurde der Hauptbahnhof München, aus dem wir gemeinsam mit dem Zug heraus gefahren waren, evakuiert. Alarm, mal wieder für so viele: Polizisten, Notärzte, Rettungspersonal – aber auch für Journalisten. Und für den Sprecher der Münchner Polizei, den nun plötzlich fast jeder kennt.
Ich bin unschlüssig, wie ich die Rolle der Medien, gerade der sozialen, momentan einschätzen soll. Auf der einen Seite schlägt mein Kommunikationsherz hoch vor Freude, wenn ich gut recherchierten Journalismus erkenne. Und wie vermutlich alle nutze ich bei Ereignissen, wie jüngst dem Attentat in München, diverse (Online)-Medien um zu begreifen, was geschieht. In einem Land ohne geschützte, funktionierende Presse- und Meinungsfreiheit möchte ich nicht leben. Doch haben nicht zuletzt internationale Flüchtlingsströme und Terroristengefahr unsere Welt im bislang vermeintlich so sicheren Deutschland verändert. Und für mich steht schon länger die Frage im Raum: Reagieren Meinungsmacher darauf adäquat?
Wie berichten Medien über Kriminalität?
Und auch diese Fragen treiben nicht nur mich um: Müssen wir uns mehr fürchten, weil es mehr Kriminalität gibt – oder bekommen wir sie ‚nur’ mehr mit, wo jeder medial so hochgradig vernetzt ist? Wie stark verzerren Facebook, Twitter und Co die Realität? Oder anders gefragt: Wie groß ist die Macht der Medien?
Karsten Schürmann, der regelmäßig ohfamoos liest und kommentiert, kritisiert jedenfalls die „Panikmache der Leitmedien“. Für ihn sorgte „nicht zuletzt der dadurch entstandene Hype auf den sozialen Medien für diverse Fehlalarme im Großraum München“. Und Michael Reimer, der bei uns auch schon als Gastautor tätig war, bestätigt seine Sichtweise:
„Dieser Hype ist sehr gefährlich, weil er genau das provoziert, was wir in Zukunft vermeiden sollten: Trittbrettfahrer, die einmal in ihrem Leben so richtig im Mittelpunkt stehen wollen.“
Über die Macht der Medien habe ich auch mit der Polizeibeamtin neben mir im Zug geredet. Unser vertrauliches Gespräch gebe ich nicht wieder, aber die Medien kamen auch bei ihr nicht gut weg. Über manche Fakten würde bewusst nicht berichtet, überhaupt würde viel zu einseitig informiert.
Bad news are good news – aber nicht für alle!
Einseitig, das nehmen auch wir vier Bloggerinnen von ohfamoos so wahr. Auf uns wirkt die Berichterstattung zudem viel zu negativ. Immer geht es um die viel gepriesenen – weil sich besser verkaufenden – „bad news“.
Aber wollen wir wirklich so viel Negatives lesen? Und vor allem: Was macht das mit uns?
Beispielhaft dafür titelte der Münchner Merkur (Foto): „Das macht uns Angst“. Und das war Tage VOR der Axt-Attacke in einer bayerischen Regionalbahn und VOR der schlimmen Schießerei im Münchner Einkaufszentrum!
Ich will null beschönigen, wie erschreckend das ist. Dass ich fast in die Ereignisse in München verwickelt worden wäre, raubt mir den Atem. Und es muss darüber berichtet werden.
Aber als ich das Video einer Pressekonferenz der Münchner Polizei sehe und dort die Fragen mancher Reporter höre, wird mir anders. Alfons Oebbeke, ein mit mir bekannter Fachjournalist, kommentiert es so, wie ich es auch sehe:
„Jede Menge Journalisten waren zum Fremdschämen, schade“.
Und ich kann nur bejahen, was die Süddeutsche Zeitung am Tag nach dem Attentat über den Polizeisprecher der Münchner Polizei, Marcus da Gloria Martins, schreibt: Er trete „als einer der wenigen glaubwürdig und souverän auf.“ Es lohnt sich wirklich, den Mann bei seiner Arbeit zu beobachten! Die Ruhe, die er ausstrahlt, und wie er freundlich aber bestimmt auch den größten Mist, Entschuldigung, beantwortet… Mittlerweile wird er in vielen Medien als einer der „Helden“ gefeiert.
Was ihm, schätze ich, nicht gefallen wird. Wieder so eine mediale Zuspitzung. Denn nach eigenen Angaben will da Gloria Martins vor allem eins: Glaubwürdigkeit schaffen und erhalten, was „nicht mit Gold aufzuwiegen“ sei. Oder wie es meine Bloggerkollegin Cornelia beobachtet hat und neutral ausdrückt:
„Er ist sich seiner Aufgabe, Rolle und Wirkung bewusst und diente damit hervorragend seinem Dienstherren. In dieser Situation ist es wichtig deutlich zu machen, dass jedes System aus Teilnehmenden besteht, die dafür sorgen, wie es funktioniert und wirkt.“
Es geht um Glaubwürdigkeit, nicht mehr und nicht weniger
Ende letzten Jahres haben wir von ohfamoos uns eingehend mit der Arbeit von Medienmachern beschäftigt. Unserem Aufruf folgten bislang fast Hundert Leser.
Wir appellieren heute mehr denn je an alle Kollegen aus der Journalisten- und Bloggerwelt:
„Begleitet unser Land medial mit größter Verantwortung! Bauscht Schlechtes nicht auf, betont mutig das Positive. Gerade wenn enorme Herausforderungen zu meistern sind, gehört das, was gut klappt, in den Vordergrund. Verhaltet Euch persönlich integer. Wahrhaftigkeit ist gerade in Krisenzeiten wichtiger denn je.“
Die Welt ist im Wandel – das bringt Schlechtes aber eben auch Gutes mit sich. Wir wünschen uns eine Berichterstattung, die das Negative nicht verharmlost – aber auch Schlagzeilen, die das Positive nicht vergessen. Denn wenn wir uns mit ewig schlechten News zu dröhnen, vergessen wir das Positive.
Wer bei unserem Medien-Aufruf mitmachen möchte: Einfach unter diesem Beitrag per Kommentar öffentlich kundtun, dass Du dabei sein möchtest (Name/Jobbezeichnung/Ort). DANKE!
Lesenswert, bedenkenswert:
Mathias Müller von Blumencron, bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Chefredakteur für alle digitalen Produkte, hat sich kürzlich mit den sozialen Medien wie folgt auseinandergesetzt: „Wenn in einem demokratischen Gemeinwesen das Misstrauen wächst, lässt Facebook die Stimmen derjenigen lauter werden, die der Gesellschaft schnelle Lösungen vorgaukeln.“
Foto: Elke Tonscheidt, Grafik: fountain studio