Braucht Wirtschaft ein Gewissen?
Der Wertewandel in der Wirtschafts- und Arbeitswelt greift um sich. Er führt zu massiven Veränderungen im Umgang mit sogenanntem „Humankapital“ und Betriebsmitteln z. B. vom Share- zum Stakeholdervalue ist die Devise. Das haben wir nicht nur der Digitalisierung zu verdanken. Der Mangel an Fachkräften und Nachwuchs lässt Unternehmer aufwachen und ihre Mitarbeitenden als Menschen statt Ressourcen betrachten. Und der Ruf kritischer Konsumenten nach gewissenhaftem Unternehmertum ist auf Finanzkrisen und Umweltschäden zurückzuführen.
Schon während meines Studiums der Volkswirtschaft interessierte ich mich besonders für das Konzept der Nachhaltigkeit. Leitplanken für ökonomisches, ökologisches und soziales Unternehmertum sollen dabei ein profitorientiertes Wirtschaften „vor sich selbst“ schützen. Oder besser die Menschen, deren Gewissen ja oft von kurzfristigen Gewinnen statt langfristigem Erfolg gesteuert wird. Der Nährboden für nachfolgende Generationen soll fruchtbar bleiben statt brach liegen.
Dass solche Leitplanken auf höchster Ebene verankert sind – es gibt verschiedene Richtlinien bzw. Gesetze – zeigt nicht nur: Soziales Miteinander braucht Regeln. Es behauptet auch: Der Mensch mit unternehmerischer Entscheidungsgewalt handelt aus sich heraus nicht gewissenhaft und nachhaltig. Ich bin überzeugt, dass das stimmt. Und ja, es gibt viele Ausnahmen.
Wertschöpfung versus Menschlichkeit
Gesundes, erfolgreiches Wirtschaften pendelt ständig zwischen Wertschöpfung und „Sozialhygiene“. Beides ist notwendig. Sach- und Interessenskonflikte stehen damit auf der Tagesordnung. Das ist wohl eine der größten Herausforderungen, vor der UnternehmerInnen und ManagerInnen stehen. Sie brauchen natürlich u. a. fachliche Expertise, Erfahrung und visionäre Kraft. Zudem eine gefestigte, reife Persönlichkeit. Ob kleines Unternehmen, KMU oder Konzern – Menschen orientieren sich an Menschen, damit sind Führung und Leadership das Zünglein an der Waage. Und wie beides wirkt, ist abhängig vom sogenannten System und seinen Regeln.
Es geht um Werte! Sie sind die Keimzelle für das WARUM und WIE allen menschlichen Handelns, das zu Entscheidungen und Verhalten führt mit Einfluss auf Wertschöpfung und Menschlichkeit.
Die Betonung liegt auf dem UND. Genau das ist die Crux! In großen Teilen tut sich eine Leistungsgesellschaft damit schwer. Denn die Abhängigkeiten sind so komplex, die Motive individuell, Interessen so vielfältig, Entwickungen rasant, Perspektiven aktuell noch wenig kalkulierbar.
Werte – die DNA eines Unternehmens
Den Nährboden für eine Unternehmenskultur bilden Werte. Ein Leuchtturm dafür, WIE das Unternehmen seine Mission erfüllen sowie Erfolg erreichen und sichern wird. Quasi ein innerbetriebliches Grundgesetz. Es ist ja nichts Neues. Werte sollten daher nicht im Rahmen eines exklusiven Workshops des Managements gefunden, vereinbart und anschließend „nach unten“ diktiert werden. Im besten Fall werden sie partizipativ erarbeitet und dabei sinnvoll gesteuert. Wenn jeder bzw. ein Großteil der Mitarbeitenden im Unternehmen beim Finden der Werte aktiv beteiligt ist, führt das zu Akzeptanz und Identifikation.
Dann entsteht mehr als ein digitales Bekenntnis – ein Feld mit Nährboden, das alle gemeinsam bestellen. Eine Unternehmenskultur kann gedeihen, die wirtschaftlichen Erfolg sichert. In der Mitarbeitende sich mit ihrem Arbeitgeber emotional verbunden fühlen und die anziehend auf Andere wirkt. In der Ideen für Neues gefunden, verworfen, verbessert und umgesetzt werden, deren Produkte und Dienstleistungen Begehrlichkeit bei Kunden auslösen. Und wo sich die Frage nach Wertschöpfung oder Menschlichkeit weniger hartnäckig stellt.
Es gibt natürlich Methoden, Experten und sogar Großgruppenformate für so einen Prozess. Er kostet viel Zeit, Committment und damit Geld. Und er braucht von Seiten der Entscheider diese Erkenntnis: Es ist eine Investition in die Zukunft, keine Ausgabe!
Der Umbruch ist längst passiert
Wie gesagt beschäftige ich mich schon länger mit Nachhaltigkeit, besonders mit den ökonomischen und sozialen Aspekten. Folglich interessiert mich die Entwicklung der sogenannten neuen Arbeitswelt bzw. des neuen Wirtschaftens ebenfalls seit einigen Jahren. Tatsache ist: Der Umbruch ist längst passiert! Zahlreiche Unternehmen leiteten erfolgreich einen Paradigmenwechsel ein.
- Das Buch von Sebastian Purps-Pardigol „Führen mit Hirn“ beschreibt anschaulich und handfest dazu zahlreiche Beispiele aus dem deutschen Mittelstand. Die Testimonials zu seinen Workshops sind sehr beeindruckend!
- Bodo Janssen beweist eindrucksvoll, dass Wertschöpfung durch Menschlichkeit steigt!
- Wolfgang Berger hat schon 2012 sein geniales Buch „Anleitung zur artgerechten Menschenhaltung im Unternehmen“ geschrieben. Es hat mich geflasht, und ich lese immer wieder darin.
- In der brandeins lese ich regelmässig von kleineren Unternehmen oder Start-ups, die ihr Wirtschaften nach ganz neuen Regeln ausrichten. Seit Jahren!
- Kein Monat vergeht, in dem ich nicht auf Blogs oder in der Fachpresse Beiträge dazu wahrnehme, viele auch lese.
- Es gibt so viele Events bzw. (Un-)Konferenzen, die sich den „Wandel der Wirtschaft und Arbeitswelt“ auf die Fahne schreiben.
- Jedes Jahr werden die besten Arbeitgeber nominiert und gefeiert – und was sie dazu gemacht hat, vor allem das: Wertschöpfung und Menschlichkeit.
- In Christian Felber sehe ich einen klugen Vorreiter, der vehement für einen „dritten Weg“ plädiert. Sein Buch „Neue Werte für die Wirtschaft“ lässt mein VWLer Herz sowie mein Newwork-Herz richtig doll schneller schlagen.
- Die beiden Gründer von intrinsify.me haben in wenigen Jahren geradezu eine Bewegung ausgelöst und leisten damit einen enormen Beitrag zu einem gelingenden Wandel in der Wirtschaft. Eine Zeitlang habe ich deren Events in Hamburg besucht.
Es gibt genau wie bei der Digitalisierung kein zurück mehr. Und ausreichend Wissen sowie Erfahrung, was getan werden muss, um gewissenhaft und profitabel zu wirtschaften. Wenn dies tatsächlich ein Paradigmenwechsel ist, dann „spielt die Zeit uns in die Tasche“. Dann liegen noch ohfamoosere Zeiten vor uns. Einzig: Der Mensch ist immer für eine Überraschung gut 🙂
Text: Cornelia Lütge
Bildquellen: kelly-sikkema-127035 und alysa-bajenaru-172286, beide unsplash
Zukunftsfähig ist das bessere Wort statt das zu oft falsch benutzte Wort nachhaltig.Werte entstehen durch Kultur! Baukultur, Essenskultur, Kommunikationskultur usw.- das gilt es unseren Kindern und Enkeln zu vermitteln.
JS
Nachhaltigkeit konkretisiert nach meinem Wissen das Konzept der Zunkunftsfähigkeit, zumindest mit den drei Leitplanken.
Nachhaltigkeit hat sich als Begriff ‚inflationiert‘, ist es das, was Sie meinen, lieber JS?
Ohfamoos grüßt Sie,
Cornelia
Werte leben und kommunizieren, darauf kommt es an. Wer als Unternehmer oder Unternehmerin hier mit gutem Beispiel vorangeht, wird sein Team und die Kunden hinter sich haben. Toller Beitrag!
Liebe Tanja,
ich verstehe deinen Appell an eine überzeugende und inspirierende „Vorbildfunktion“. Wenn bestimmte Werte im Unternehmen bereits gefunden wurden, dann sollen sie transparent sein und glaubwürdig gelebt werden. Das ist auch für Neue ein Leuchtturm, der bestenfalls schon bei der Rekrutierung sichtbar, fassbar ist.
Und wenn dieses Wertefinden noch aussteht, dann am besten als Gemeinschaftsprozess, dann sind sich alle Vorbild. Oder was meinst du dazu?
Herzlich, Cornelia