Was ist nur mit unserer Kommunikation los?
Respektvoll kommunizieren. Haben wir das verlernt? Warum weisen heutzutage so viele andere zurecht, selbst Freunde? Wo ist die Toleranz geblieben? Ja, das „soziale“ Netz bietet dafür eine leichte Spielwiese. Besonders schnell ist hier eine Salve abgefeuert. Und dann? Viel ohfamooser wäre es, gerade jetzt, wo soviel Unsicherheit herrscht, sich mit größtmöglicher Toleranz zu begegnen. Elke Tonscheidt macht sich Gedanken.
„Hast Du gesehen, mit was sich XY an Kommentaren rumschlagen muss? Wahnsinn!“ Das, was mir Sonja schreibt, erstaunt mich nicht. Nein, genau diese Kommentare, die ein gemeinsamer Bekannter derzeit auf Facebook erhält, hatte ich nicht gesehen. Musste ich auch nicht, denn ich wusste sofort, was Sonja ansprach, keine Toleranz mehr, weit und breit.
Fällt uns doch seit geraumer Zeit auf, wie heftig polarisiert die Kommunikation selbst zwischen „guten“ Bekannten abläuft.
Und das nicht nur im „sozialen“ Netz. Auch ganz analog im Freundeskreis oder in Familien geht es verbal oft heftig her, wenn man sich nicht einigen kann. Manche können es kaum noch ertragen, sich zu sehen. Weil dann der Streit vielleicht wieder losgeht. Wie fragte Sonja kürzlich: Wo seid Ihr alle? Ich vermute tatsächlich und stelle es auch bei mir selbst fest: Die Tendenz zum Abtauchen ist real. Warum auch immer. Haben manche vielleicht die Sorge, mit ihrer Meinung anzuecken, so können andere auch schlicht abweichende Meinungen nicht mehr aushalten. Ergo ziehen sie sich zurück. Warten ab. Die Frage ist, auf was?
Angst statt Toleranz
Vieles davon erinnert an die Zeit, als uns die sogenannte „Flüchtlingskrise“ in Atem hielt. Auch da war es ja manches Mal unmöglich zu diskutieren. Jeder wollte recht haben, jeder wusste besser Bescheid – und oft mangelte es an Fakten. Wovon jedoch ganz viel da war, war die Angst. Und Angst essen bekanntlich Seele auf, so der Titel des Melodrams von Rainer Werner Fassbinder, das bereits 1974 erschien. Was ich damit meine: Angst macht oft irrational. Diskussionen nehmen dann gern andere Dimensionen an.
Kürzlich erlebe ich das: Eine Freundin zu Tränen aufgelöst. Sie, eine ohnehin sehr empfindsame Frau mit großem Herz, hatte sich auf Facebook etwas weiter aus dem Fenster gelegt. Ich will gar nicht darauf eingehen, worum es thematisch ging. Erwähnenswert finde ich:
Die Art und Weise, wie kommentiert wird.
Viele Menschen scheinen derart dünnhäutig zu sein, dass der kleinste Hinweis, jener oder dieser Meinung etwas abgewinnen zu können, sie dazu reizt, sofort verbal loszuschlagen. Ohne jede Toleranz. Gern laut (ob im kleineren Kreis oder auf Demonstrationen) und häufig garniert mit Unterstellungen, dass man sich fragt: Geht es hier eigentlich noch genau um das, worüber wir eben noch sprachen – oder wird bereits ein neues Fass aufgemacht? Die Freundin zumindest wurde aufgrund ihrer Äußerungen gleich politisch verortet. Was ihr sehr weh tat, deshalb die Tränen.
Wir werden in Kürze ein Buch rezensieren, in dem es um Kommunikation geht. Vor allem um das, was dazu gehört: Zuhören. Geht es doch bei gelungener Kommunikation immer um beides: Senden UND zuhören.
Wie häufig senden wir jedoch, gern in Dauerschleife, und wie gut hören wir zu?
Steht beides in gutem Verhältnis? Und wie genau lesen wir das, was schwarz auf weiß steht, ohne gleich zu interpretieren? Auch im „sozialen“ Netz sollte es ursprünglich um Austausch gehen (siehe Definition von Social Media), in diesem Fall natürlich auf digitale Weise.
Ein Statement auf Facebook ist schnell abgegeben
Mein Eindruck ist: Nicht nur auf Facebook, wenngleich dort besonders zugespitzt, geht es vielen Menschen heutzutage nicht vorrangig um Interaktion – es geht darum, Statements abzugeben. Manches Mal sind sie ja auch informativ; und selbst wenn man nicht einer Meinung ist, so kann man anderen Meinungsäußerungen durchaus etwas abgewinnen. Vielleicht Aspekte finden, an die man bislang nicht dachte.
Was ich jedoch immer problematischer finde, und das Beispiel der Freundin zeigt es mir noch mal besonders gut: Hat man sich früher, ob analog oder digital, länger überlegt, wie etwas zu bewerten ist, erscheinen viele Meinungsäußerungen heute reflexhaft. Ja, das „soziale“ Netz hat unsere Kommunikation natürlich verändert. Aber das ist es nicht nur.
Wie sagte eine Bekannte unlängst:
„Wo ist die Toleranz geblieben, andere Meinungen zuzulassen? Wo ist nur die Mitte geblieben?“
Und ich schaudere ein wenig, denn genau das war nicht nur meine Sorge bereits im Frühjahr: Wenn wir nicht aufpassen, wird es ein Virus schaffen, uns mental auseinanderzudividieren. Denn die Angst ist schon jetzt ärger als 2015/6. Eine weltweite Pandemie bringt Angst und Schrecken in Form von Viren. Viel gefährlicher, weitestgehend unerforscht und keiner kann sagen, wann „das“ denn bitteschön aufhört. Mit einem Impfstoff? Oder gibt es dann andere Viren?
Lasst uns respektvoll bleiben. Und wenn uns eine Meinung nicht passt, hilft vorübergehend ein dickes Fell. Ich jedenfalls sitze mittlerweile manche andere Meinung aus, reagiere nicht mehr darauf und übe mich darin, vieles nicht mehr persönlich zu nehmen. Ja, ist nicht einfach, klappt aber immer besser. Und wenn ich helfen kann, Tränen herzensguter Menschen zu trocknen, freue ich mich, nicht allein zu sein mit meinen vielen Fragen.
Übrigens: Der ehemalige SPD-Politiker Wolfgang Nowak hat dieser Tage, im Interview mit Gabor Steingart, die Verarmung unserer Debatten-Kultur angemahnt und gefordert: „Es fehlt an wirklichen Debatten. Die Maskenfrage und die anderen Einschränkungen des bisherigen Lebens gehören ins Parlament.“ Ob das hilft? Was meint Ihr und habt Ihr andere Vorschläge?
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