Wo seid Ihr alle?
Wenn man von der Mund-Nasen-Maske absieht, scheint das Leben sicher nicht nur in meiner Heimatstadt Lich von außen betrachtet schon fast wieder normal. Man sieht Menschen in der Stadt und in den Supermärkten, die Restaurants sind geöffnet. Aber bin es nur ich oder habt ihr auch das Gefühl, dass Menschen verschlossener sind, jetzt, wo das Corona-Thema weniger präsent ist? Niemand ruft an, es finden weniger Zoom-Meetings statt und es ist weniger los in den Sozialen Medien, die ich nutze.
Zuerst fiel es mir auf Facebook auf: keine Posts meiner Freunde, keine Neuigkeiten außer Medienberichten über Fallzahlen und auch weniger Werbung. Natürlich gibt es auf Facebook jetzt weniger Werbeanzeigen, nicht nur Unilever und Coca-Cola bieten dem Konzern die Stirn wegen Hass und Hetze – aber das ist es nicht. Ich sehe weniger Posts von Freunden, die vorher interessante Berichte veröffentlicht haben und oft kommentierten. Wo seid Ihr? Abgenervt von den ganzen Corona-News und den Verschwörungstheorien, die in den letzten Monaten zu dem Thema kursierten? Froh wieder an der frischen Luft zu sein? Oder habt ihr entschleunigt und braucht mehr Zeit für Euch?
Was hat sich verändert?
Es gibt viele Zukunftsforscher und Psychologen, die genau zu dieser Frage schon viel geschrieben haben. Sie berichten von einer neuen Form von Respekt, Mitgefühl, Empathie und Solidarität. Ich habe allerdings zusätzlich das Gefühl, dass Menschen sich zurückziehen. Es ist stiller geworden mit dem Miteinander.
Als ich neulich unserer Gastautorin Heike Lachnit schrieb, mein Gefühl sei, viele Menschen zögen sich zurück, antwortete sie: „Interessant, dass du es so empfindest. (…) Hier ist es das genaue Gegenteil, alles strömt wieder nach draußen. Am Wochenende sind die Gassen in Limburg voll und es ist ein Durchkommen mit Abstand nicht möglich. Ich finde es in dieser Beziehung sehr trügerisch, dass täglich die Zahlen veröffentlicht werden, heruntergebrochen bis auf den Landkreis. Jeden Mittag postet unser Landkreis die aktuellen Zahlen (…) und diese Grafik wird dann in den sozialen Netzwerken fleißig geteilt. Aber wie gesagt, ich finde dies trügerisch, denn unser Landkreis ist nicht isoliert. Wir sind Pendlerregion und die Firmen rufen ihre Mitarbeiter zurück aus dem Homeoffice. Zudem stehen die Sommerferien vor der Tür und die ersten Menschen verreisen wieder. Daher können wir doch gar nicht wissen, wer etwas eventuell mitbringt. Oder wissen wir, wie viele derzeit infiziert sind, ohne großartige Symptome zu haben? Ich bin ganz bei Dir, dass ich mir in einem gewissen Rahmen Normalität zurückwünsche. Aber ich würde mir wünschen, wenn dies die Menschen mit Bedacht und Rücksichtnahme machen. Und ich bin ehrlich, ich habe eines schätzen gelernt in der Zeit: Den Abstand zu halten zu den Mitmenschen. Es ist ganz angenehm, wenn ich irgendwo anstehe und mir niemand dabei in die Tasche steigt.“
Ich stimme Heike zu, es gibt viele Dinge, die wir seit Corona anders machen: Abstand halten, Maske immer dabeihaben und viel öfter Hände waschen. Aber mir scheint, dass mit Corona die Ich-Bezogenheit stark zunimmt.
Macht uns Corona zu noch stärkeren Egoisten?
Die Coronakrise und die damit verbundenen Ängste haben das menschliche Verhalten verändert. Beispiele gibt es viele: Die USA kaufen den weltweiten Bestand von Medikamenten auf, die EU rangelt um Geld (die geizigen Vier) und Rassismus ist nicht erst seit diesem Jahr, aber doch wieder ein sehr großes Gesprächsthema geworden. Da kann man schon den Kopf einziehen und sich verschließen, aber das wäre nicht gut. Dieser Weg führt uns in die Isolation und Einsamkeit.
Wir brauchen Vorbilder? Wo seid Ihr?
Wir brauchen mehr Menschen, die selbst denken und sich zusammentun, um den alltäglichen Egoismus abzubauen. Und damit meine ich nicht, eine „Corona-Party“ zu feiern. Wir müssen umdenken und wieder Pläne schmieden. Elke und ich planen schon.
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