Zuhören lernen: Ein Buch mit wertvollen Tipps
Kürzlich ergab sich mal wieder eine interessante Diskussion mit einem Journalisten, den ich aus „alten Tagen“ kenne. Er hatte den ZEIT-Artikel Nicht schon wieder zuhören gepostet, in dem es hieß: „Wenn ein paar Tausend Verschwörungstheoretiker durch Berliner Straßen ziehen, soll eine Öffentlichkeit wieder „endlich zuhören“. Es ist allerdings völlig unklar, warum.“ Und ich dachte: Es ist endlich Zeit für meine Rezension des Buches Zuhören ist ein Geschenk.
Schon im Untertitel erklärt die Autorin, eine Kommunikationstrainerin, um was es ihr geht: Beziehungen stärken durch Wertschätzung und Mitgefühl. Dass Kommunikation dabei eine große Rolle spielt, verwundert nicht. Doch nicht gleich durch Reden – gesprochen und gesendet wird ja wahrlich genug – sondern durch gutes, einfühlsames Zuhören. Genau diese Fähigkeit, schreibt Andrea Wiedel in ihrem Buch, sei ein Weg, um eine emotionale Verbindung zwischen zwei Menschen herzustellen. Dazu passt ihr Motto, das ich auf ihrer Website finde, haargenau:
„Sich selbst respektieren und den anderen respektieren, sich selbst verstehen und den anderen verstehen, für die eigenen Interessen eintreten und gleichzeitig offen sein für die des anderen. Das ist die Basis, auf der eine andere Art von Beziehung gelingen kann.“
Das klingt ohfamoos. Wenn das klappt, hätten wir, hätte vielleicht auch unsere Gesellschaft viel gewonnen. Doch wie bekommen wir eine solche Kommunikation hin? Ich glaube, Zuhören ist ein Geschenk eröffnet dafür einen Zugang. Die Autorin bringt viele Beispiele alltäglicher Kommunikation und zeigt: So wirken Worte wirklich. Oft ohne, dass wir uns dessen bewusst sind. Sie nimmt spezielle, gängige Kommunikationsverhalten unter die Lupe, gibt Lösungsvorschläge und vermittelt fachliche Hintergrundinformationen zu Kommunikationstheorien. Mit vielen Beispielen, so dass es allgemeinverständlich ist!
Zuhören: Wie machen wir das eigentlich?
Zu den typischen Arten des Zuhörens – sie differenziert ganze acht – zählt Andrea Wiedel „Ratschläge und Kommentare“. Was soviel bedeutet, wie: Manche Menschen kommentieren und bewerten häufig das Erzählte oder geben sofort Ratschläge; meist mit guter Absicht, um dem Erzähler zu helfen. Warum das jedoch problematisch ist, erklärt sie so:
„Indem wir Handlungen, Gedanken, Entscheidungen anderer bewerten, stellen wir uns gedanklich über sie. Wir signalisieren: Ich weiß es besser!“
Damit bewege sich Kommunikation von oben nach unten, im schlimmsten Fall etabliere sich gar ein „Machtkampf um den Status innerhalb einer Beziehung“. Darin gehe es am Ende nicht mehr darum, Gehör zu finden oder den anderen zu verstehen, sondern ein Gespräch zu gewinnen.
Auf Augenhöhe kommunizieren
Was aber ist schlecht daran, Ratschläge und Tipps zu geben? Nichts, schreibt Andrea Wiedel, aber um von der Lebenserfahrung anderer wirklich zu profitieren, sollte in Gesprächen die Augenhöhe gewahrt bleiben. Dafür sei es wichtig, vorab bei demjenigen, der erzählt, um Erlaubnis zu fragen, ob er auch eine andere Meinung oder Perspektive hören wolle.
Machtkampf um Aufmerksamkeit – dieser entsteht auch, wenn eine andere typische Art des Zuhörens eingesetzt wird: Die des „Noch eins draufsetzen“. Kennt Ihr folgende Floskel?
„Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können.“
Ich jedenfalls fühlte mich ertappt, habe ich diesen Satz schon oft gesagt (und vielfach zu hören bekommen :-)). Denn auch wenn klar ist, dass es meist etwas gibt, was heftiger, krasser oder sonst etwas ist: Wer eins draufsetze, erläutert die Autorin, gebe zu wenig emotionale Resonanz für die Sicht des Erzählenden. Sichtweisen stünden dann gegeneinander – zwischen Paaren könnten so auf Dauer „chronische Revierkämpfe“ entstehen.
Wie entsteht emotionale Resonanz?
Intellektuelles Verstehen, schreibt Andrea Wiedel, reiche dafür nicht aus. Um Gesprächspartner auch emotional verstehen zu können, brauche es Signale wie: „Ich versuche, mich in dich hineinzuversetzen, wie du dich fühlst und was dir wichtig ist – unabhängig davon, ob ich es intellektuell nachvollziehen kann (…)
Einfühlsames Zuhören: Nach Lektüre von Zuhören ist ein Geschenk nehme ich mir vor, mein Gesprächsverhalten mal wieder zu überprüfen. Wenn emotionale Präsenz das größte Geschenk ist, dass wir unseren Mitmenschen machen können, möchte ich mehr darauf achten, mein Gegenüber so zu verstehen, dass sie/er sich angenommen fühlt. Die Welt mit den Augen des anderen zu sehen, ist sicher nicht immer einfach. Doch vielleicht hilft es gerade in diesen wilden Corona-Zeiten, in denen sich so viele Gedanken gegenüberstehen, Erlebnisse anderer so zu akzeptieren, wie sie nun einmal von diesen wahrgenommen werden.
So weit verständlich und nachvollziehbar, wenn es um kleine Gruppen geht. Ich kontaktiere die Buchautorin und frage:
Andrea Wiedel, wie geht einfühlsames Zuhören mit Blick auf die Demonstranten, die derzeit in Berlin, Stuttgart oder anderswo um Gehör aktiv sind?
„Die Demonstranten sind vermutlich wütend und hilflos, weil sie sich Mitbestimmung und Freiheit wünschen und ernst genommen werden wollen mit ihren Bedenken. Manche fühlen sich eventuell sogar einsam, isoliert und sehnen sich nach Kontakt, Gemeinschaft, Freude und Feiern. Vielleicht sind sie auch ärgerlich und brauchen andere Begründungen, um die die einschneidenden Entscheidungen verstehen zu können, mehr Klarheit und Transparenz – oder wünschen sich Entscheidungen, die die Balance zwischen Sicherheit, Gesundheit und Freiheit wahren.“
Empathisches Zuhören hört hinter allen Äußerungen auf Gefühle und Bedürfnisse.
Demokratie braucht Dialog
Andrea Wiedel äußert damit ihr Verständnis für die Bedürfnisse der Demonstranten. Was sie problematisch findet, ist: Sie kritisieren in erster Linie, bringen wenig Gegenvorschläge. Und leider, fährt Andrea Wiedel fort, böte unser Regierungssystem „keine Möglichkeit, die Regierung zu verpflichten, Menschen zuzuhören, ihre Meinungen miteinzubeziehen und ihre Entscheidungen zu überdenken, außer im Parlament und bei der nächsten Wahl“.
Und was schlagen Sie vor, Frau Wiedel?
„Ich bin überzeugt: Demokratie braucht den Dialog und den Austausch der Gedanken. Im alten Griechenland gab eine Form der politischen Meinungsbildung, nämlich den kontrollierten Dialog: erst mussten die Diskutierenden die Gedanken ihres Kontrahenten wiederholen, bevor sie ihre eigene Meinung äußerten. Diese Übung entschleunigt den Diskurs und erfordert Aufmerksamkeit, Offenheit und sich einlassen auf die Gedanken anderer. Solche Diskussionsrunden wünsche ich mir in den Talkrunden und in der politischen Landschaft.“
Mehr über die Autorin Andrea Wiedel, die Privatpersonen und Unternehmen in den Bereichen Kommunikation, Coaching und Empathie begleitet.
Fotos: privat / Unsplash
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