Sind Bürgerräte weltfremd, gar modisch?
Wenn sich Stephan Eisel, der heute für ohfamoos schreibt, ärgert, dann ärgert er sich richtig. Und begründet das gern. Elke kennt ihn als ehemaligen Kollegen in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das ist lange her, aber sie haben immer Kontakt gehalten. Der streitbare Mann hat viel auf dem Kasten, kann sehr humorvoll sein und bietet uns heute eine Antwort auf den Gastbeitrag von Heiko Erhardt, der sich auf #ohfamoos für Bürgerräte einsetzte. Lest Stephan Eisels Versuch einer ebenfalls klugen Einordnung.
Mich ärgert das modische Zur-Schau-Stellen von Politikfrust und Demokratieverdrossenheit – vor allem wenn es Zwischenrufe von der Tribüne von denjenigen sind, die es noch nie auf dem Spielfeld der Demokratie versucht haben. Intellektuell verbrämt wird diese oft überhebliche Missachtung derer, die sich in der Politik täglich ehrenamtlich für das Gemeinwohl engagieren, nicht selten mit neuen schicken Verfahrensmodellen, die in Wahrheit nichts anderes sind als die moderne Variante von Platons demokratiefeindlicher Idee der Herrschaft der Philosophen.
Gerade wurden bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen fast 20.000 Ratsmandate vergeben. Gewählt wurden fast ausnahmslos Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich politisch engagieren. Angetreten sind fast 30 größere und kleinere Parteien und über 250 freie Wählergruppen. Da es in den NRW-Kommunen keine 5-Prozent-Hürde gibt, sind in fast allen kommunalen Parlamenten mindestens zehn verschiedene Gruppierungen vertreten.
Wenn sich die kommunalen Parlamente im größten Bundesland Mitte Oktober konstituieren, können sie nach der NRW-Gemeindeordnung in die Ausschüsse „sachkundige Bürger“ wählen, die den Räten nicht angehören, aber in den Ausschüssen stimmberechtigt mitentscheiden. Außerdem können „sachkundige Einwohner“ berufen werden, die den Ausschüssen mit beratender Stimme angehören.
Insgesamt entscheiden damit in Nordrhein-Westfalen weit über 50.000 Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich über kommunalpolitische Fragen. Sie alle sind geprägt von ihrem familiären, beruflichen und privaten Umfeld. Hier im sog. „vorpolitschen Raum“ findet die tägliche Bürgerbeteiligung der Kommunalpolitik statt.
Wer Mitmachen will, kann Mitmachen. Wer Einfluss nehmen will, kann dies tun.
Auf nichts reagieren die Gewählten schneller (und manchmal auch nervöser) als auf die direkte Ansprache ihrer Mitbürger. Gerade in der Kommunalpolitik besteht eher die Gefahr des übermäßigen Einflusses kleiner lautstarker Initiativen als die der Ignoranz gegenüber Wünschen aus der Bevölkerung.
Allerdings gibt es neben der Bringschuld der Gewählten auch eine Holschuld der Wähler: Das zeigt ein Blick in die vielfach und unabhängig von Wahlterminen angebotenen Bürgersprechstunden. Sie werden nämlich kaum genutzt.
Aber braucht es deshalb weitere Gremien und zusätzliche Verfahren?
Jetzt kommen „losbasierte Bürgerräte“ in Mode und werden als „Update unserer Demokratie“ und „Weg aus dem Politikfrust“ gefeiert. Aber es ist weltfremd zu glauben, durch ein „repräsentatives Losverfahren“ könne die Gesellschaft besser als bei Wahlen abgebildet werden, solche Bürgerräte seien frei vom Einfluss gut organisierten Interessensgruppen oder würden im luftleeren Raum diskutieren. Die „Bürgerwerkstätten“, die nach einem ähnlichen Verfahren auf kommunaler Ebene bereits vielfach ausprobiert wurden, haben im Gegenteil oft gezeigt, dass sich die Interessengegensätze in den Stadt- und Gemeinderäten auch in solchen losbasiert zusammengesetzten Gruppen widerspiegeln.
Eine Erfahrung solcher Experimente ist eher, dass sie zu unrealistischen Lösungsvorschlägen führen, da nur Problemausschnitte behandelt werden, die tatsächlich in der Gesellschaft in ein komplexes System unterschiedlicher Problemstellungen eingebettet sind.
Weil letztlich Alles mit Allem zusammenhängt, führen monothematische Betrachtungen meist in die Sackgasse.
Das ist übrigens auch die große Schwäche plebiszitärer Verfahren, die Einzelprobleme nicht nur wirklichkeitsfremd isolieren, sondern ebenso wirklichkeitsfern auf Ja/Nein-Alternativen reduzieren. Es ist kein Zufall, dass Bürger- und Volksentscheide in Deutschland durchgängig (!) eine um 20-30 Prozent niedrigere Wahlbeteiligung haben als die entsprechenden Parlamentswahlen.
Die Demokratie unseres Grundgesetzes respektiert im übrigen auch das grundgesetzlich verbürgte Recht, unpolitisch zu sein. Meinungsumfragen zeigen, dass sich rund ein Drittel der Menschen zwischen Wahlen nicht engagieren will. Ein Druck zur Dauerpolitisierung durch immer neue Beteiligungsverfahren nimmt diese Gruppe nicht ernst. Sie fällt auch bei „losbasierten“ Verfahren durchs Raster, da niemand zur Mitwirkung daran gezwungen werden kann, wenn das Los auf ihn fällt. Politikferne Bürger werden durch Wahlen mit ihrer zeitlich begrenzten Delegation von Repräsentanten am besten geschützt.
Vor allem aber dürfen die Verursacher einer Entscheidung nicht aus der Verantwortung für die Entscheidungsfolgen entlassen werden. Das ist neben dem Zwang zur Gemeinwohlorientierung durch Interessensausgleich das zentrale Element der repräsentativen Demokratie. Sie wird nicht dadurch gestärkt, dass immer neue Verfahren ihren Kern verwässern, sondern braucht das Engagement in ihren Strukturen.
Als Benjamin Franklin im Sommer 1787 in Philadelphia als Mitglied des amerikanischen Verfassungskonvents nach Abschluss der Beratungen von einem Passanten gefragt wurde: „What have you given us?“ antwortete er mit Hinweis auf die Verantwortung jedes Einzelnen: „A Republic, if you can keep it.“ Hier stehen Wähler und Gewählte in der Verantwortung. Sich hinter „Politikfrust“ zu verstecken, ist dabei nichts anderes als Verantwortungsflucht.
Lieber Herr Eisel,
es freut mich sehr, dass Sie eine Lanze brechen für die Tausenden von Menschen, die sich ehrenamtlich in der Politik engagieren. Ich bin mir sicher, dass da Menschen dabei sind, die mehr reißen, als manch einer, der sich Berufspolitiker nennt.
Und Sie haben völlig recht – das passiert in erster Linie im kommunalen Bereich. Dort sind Bürger:innenräte als eine Ergänzung zu den bereits ehrenamtlichen Tätigen zu sehen, die sich als repräsentative Gruppe dediziert mit einem bestimmten Thema befasst – und sich dann auch wieder aufgelöst, um beeinflußbare Strukturen zu vermeiden.
Auf Bundesebene beschränkt sich die Bürgerbeteiligung leider weitgehend auf den Gang zur Wahlurne alle vier Jahre. Dort bleibt man dann doch lieber unter sich.
Die „Bürgerwerkstätten“, die sie zitieren, sind ein Sammelbegriff, bei dem leider nahezu nichts geregelt ist – weder ob Losverfahren angewendet werden noch ob die Versammlung einem klar gestalteten Prozess folgt, von einer Moderation, die Dominanz oder Manipulation entgegenwirkt, ganz zu schweigen. Hieraus ein Urteil über Bürger:innenräte abzuleiten halte ich für gewagt.
Auch bringen Sie Bürger:innenräte in Verbindung mit Bürger- und Volksentscheiden. Bei Bürger:innenräten dreht es sich nicht darum, eine Ja/Nein Entscheidung zu treffen, sondern in einem Diskurs über gesellschaftliche Gruppen hinweg Lösungen zu erarbeiten, die sich die Politik in ihrer oft mutlosen Gleichmacherei einfach nicht traut – die Bürger aber schon, wenn ihnen klar wird, um was es wirklich geht.
In Bezug auf eine „Dauerpolitisierung“ kann ich Sie beruhigen: Bei den angewandten Losverfahren hat jeder der durch das Los Bestimmten das Recht, sich für oder gegen eine Teilnahme zu entscheiden. In letzterem Fall tritt ein anderer Vertreter aus seiner Repräsentationsgruppe an seine Stelle. Wichtig ist, dass allen die Möglichkeit dazu gegeben wird, ob Alleinerziehende, Migrant oder Harz IV Empfänger. Man sollte nie unterschätzen, zu was Menschen in der Lage sind, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird.
Ihren Gedanken, dass politische Entscheider Verantwortung übernehmen sollten für die Folgen ihrer Entscheidungen finde ich ausgesprochen gut. Leider ist mir kein prominenter Fall im Gedächtnis, bei dem ein Politiker für eine nachgewiesen schlechte Entscheidung deutliche berufliche oder strafrechtliche Konsequenzen auf sich nehmen mußte. Es sind mir allerdings einige Fälle in Erinnerung, bei denen sich ehemalige politische Funktionsträger nach fragwürdigen Entscheidungen nach Verlassen der politischen Laufbahn in großzügig dotierten Aufsichtsratsposten wiederfanden.
Ihr Zitat von Benjamin Franklin darf ich mit einem von Thomas Jefferson, einem der Gründerväter der USA, ergänzen. Jefferson war überzeugt, dass „das Volk, wenn es gut informiert ist, mit der Regelung seiner Angelegenheiten betraut“ werden könne. Nichts anderes geschieht in Bürger:innenräten. Was passieren kann, wenn die politische Kaste nur noch auf sich selbst fokussiert ist, läßt sich derzeit leider in den USA beobachten.
Ich finde es sehr schade, dass noch viele amtierende oder ehemalige Mitglieder des Bundestags über das Instrument Bürger:innenräte schlichtweg falsche Vorstellungen haben. Ich hoffe, dass der vom Ältestenrat des Bundestags beschlossene Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“ hier Aufklärung schaffen wird.
Bis dahin empfehle ich, dem dienstältesten Bundestagsmitglied und Präsident des deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble, zuzuhören, der sich vehemment für Bürger:innenräte ausspricht. Aus Ihrer Tätigkeit in den 80er Jahren ist er Ihnen bestimmt zur Genüge bekannt, Herr Eisel.
Schäuble bemerkt ganz richtig, es gehe „nicht um eine Alternative zur parlamentarischen Demokratie, sondern um ihre Stärkung“. Und da könne der Bürgerrat helfen – als „eine Art Kompromiss zwischen einer reinen parlamentarischen Demokratie und einer mit Plebisziten“.
[https://www.sueddeutsche.de/politik/schaeuble-bundestagspraesident-buergerraete-1.5044696]
Ich schließe mit einem gestern in der ZEIT erschienenen Zitat von Alan Posener: Schäubles Vorschlag „kann, wenn er richtig umgesetzt wird, ein Mittel der Rettung der Demokratie vor der Routine und der Alternativlosigkeit, dem Politikverdruss und dem Populismus werden“. [https://www.zeit.de/politik/2020-10/buergerraete-demokratie-buergerbeteiligung-parlamentarisch-wolfgang-schaeuble-legitimationskrise-misstrauen-politikverdrossenheit]
Herr Eisel, ich hoffe sehr, dass ich über eventuelle ideologische Standpunkte hinweg vielleicht Ihr Interesse geweckt habe für die Möglichkeiten, die Bürger:innenräte für unsere Demokratie bereitstellen können.
Freundliche Grüße,
Heiko Erhardt
Nachsatz für Alle, die den Ansatz eines Klima & Umwelt Bürgerrats nachvollziehen können:
Offener Brief an den Bundestag – Bürger:innenrat Klima & Umwelt
Ein Bürger:innenrat zum Klimwandel und zur Umweltkrise kann den politischen Entscheidungsstau auflösen und kann Motor sein für eine breite Unterstützung und Mitwirkung in der Bevölkerung. Über Lebenswelten und Echokammern hinweg erarbeiten Bürger:innen in einem moderierten Prozess mit 360 Grad Information Vorschläge für wirksame Maßnahmen jenseits von Einfluß der Lobbys und Fraktionszwang. Damit entsteht endlich eine Willenserklärung informierter Bürger als Kompass für die Politik.
Dass das funktioniert, sehen wir an vielen internationalen Beispielen wie die Bürger:innenräte in Irland und der französische Klima Bürger:innenrat. Letzterer hat gerade eine Reihe ambitionierter Empfehlungen produziert, denen die französische Politik zu folgen im Begriff ist.
Die Erkenntnis setzt sich gerade massiv durch, dass das Spiel „Einer wartet auf den Anderen“ bei Klima & Umwelt nicht funktionieren kann.
Eine Gruppe von NGOs der Demokratie-/Klima-/Umwelt-Bewegung will mit einem Offenen Brief an den Umweltausschuss des Bundestages für die zivilgesellschaftliche Legitimation dieses wichtigen Vorhabens sorgen.
Der Brief ist gerade in die Unterzeichnungsphase eingetreten.
Als Unterzeichner kommen Organisationen der Zivilgesellschaft (NGOs), Gewerkschaften, Verbände, Institute, Einrichtungen und Personen des Öffentlichen Lebens und der Politik in Frage, nicht jedoch Privatpersonen und Unternehmen.
Je massiver die Liste der Unterzeichner diese ist, desto größer wird der Einfluß der Empfehlungen dieses zufällig aber dennoch repräsentativ ausgelosten Gremiums auf die Entscheidungen des Bundestags sein. Wir vertrauen dabei auf die sehr positiven Erfahrungen, die bei den Bürger:innenräten in Irland, Frankreich und nicht zuletzt mit dem Bürgerrat Demokratie bei uns gesammelt werden konnten.
Zeichnen auch Sie den Appell mit unter
https://klima-rat.org
Bei Bürger:innenräten bewegt sich gerade sehr viel. Es geht jetzt um was.
Herzlichen Dank.
Lieber Herr Erhardt,
vielen Dank für Ihren Kommentar: AGREE TO DISAGREE ist ja das Lebenselexier der Demokratie.
Lassen sie mich auf einige Ihrer Punkte kurz eingehen:
1) Es trifft nicht zu, dass sich für die Bundesebene die Bürgerbeteiligung auf den Urnengang alle vier Jahre beschränkt. Das kann jeder selbst entscheiden. Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung als Bundestagsabgeordneter sagen, dass gerade Wahlkreisabgeordnete in sehr engem Kontakt mit ihren Wählern stehen und Bürgerversammlungen, das Gespräch mit den unterschiedlichsten Interessengruppen usw. ein große Rolle spielt. Dazu kommt das vielfältige Engagement in Parteien und Vereinen, die ihre Sichtweise meist sehr deutlich artikulieren. Für Abgeordnete ist ihre Heimat (Wahlkreis) der Lebensmittelpunkt.Dort werden sie entscheidend von ihren Mitbürgern geprägt. Dabei spielt der Wechsel zwischen Sitzungswochen und sitzungsfreien Wochen ein große Rolle: Es ist kein Zufall, dass man die politische Regel aufstellen kann, dass Abgeordnete freitags als Botschafter der Berliner Politik in den Wahlkreis fahren und montags als Botschafter ihre Wahlkreises dorthin zurückkehren.
2) Eine „Dauerpolitisierung“ ergibt sich ja gerade u. a. daraus, dass bei einem losbasierten Verfahren (das keinerlei demokratische Legitimität hat) diejenigen zusagen, für die Politik (im weitesten Sinn)eine wichtige Lebensfrage ist. Wer sein Recht wahrnimmt, unpolitisch zu sein, ist in diesen Bürgerräten nicht oder sehr selten vertreten. Unter anderem deshalb ist es auch falsch davon auszugehen, dass losbasiert mit repräsentativ gleichzusetzen ist.
3) Jefferson stimme ich in seiner Aussage zu, dass „das Volk, wenn es gut informiert ist, mit der Regelung seiner Angelegenheiten betraut“ werden kann. Das ist nichts anderes als sein Plädoyer für demokratische Wahlen. „Gut informiert“ beinhaltet dabei die Bringschuld der Gewählten und die Hohlschuld der Wähler.
4) Wolfgang Schäuble, den ich in der Tat gut kenne, stimme ich im übrigen in seiner Einschätzung der „Bürgerräte“ ausdrücklich nicht zu und noch weniger der Aussage von Alan Posener Bürgerräte könnten „eine Art Kompromiss zwischen einer reinen parlamentarischen Demokratie und einer mit Plebisziten“ sein. Bürgerräte werden – unabhängig von feuilletonistischen Wellen, die es immer einmal wieder gibt – in der Realität diese Rolle hoffentlich nie spielen, weil sie den facto in der Zusammensetzung und ihren Beratungen hinter verschlossenen Türen (wer wie die Ergebnisse beeinflusst hat, bleibt also verborgen) der öffentlichen Kontrolle entzogenes Instrument sind.
5) Gegen „Beteiligungsexperimente“ ist nichts einzuwenden, aber sie sind nicht deshalb gut, weil sie gerade modisch sind. Wir erleben immer wieder (z.B. Online-Haushalte, Bürgerwerkstätten (für die es sehr wohl Regeln gibt)), dass sie nach einer ersten Welle der (meist medialen) Begeisterung in der Realität scheitern (dazu mehr unter https://burgerbeteiligung.wordpress.com/) – weil Churchill eben schon richtig lag als er feststellte: Die repräsentative Demokratie ist eine eine äußerst mangelhafte Staatsform, aber die beste die wir kennen – gerade weil, sie nicht „unterschätzt, zu was Menschen in der Lage sind, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird.“ Deshalb riskieren so viele Menschen weltweit so viel, um endlich ihre Entscheidungsmöglichkeit durch freie Wahlen zu erhalten.
In diesem Sinne mit ideologiefreien Grüßen
Stephan Eisel
P.S.: Es ist bedauerlich, dass Sie wieder modische Politikfrust-Klischees bedienen: „Politik in ihrer oft mutlosen Gleichmacherei“(bitte wo?), „mir ist kein prominenter Fall im Gedächtnis, bei dem ein Politiker für eine nachgewiesen schlechte Entscheidung deutliche berufliche oder strafrechtliche Konsequenzen aus sich nehmen musste“ (Wahlniederlagen mit ihren beruflichen Konsequenzen zählen nicht ? aktueller Fall in Bonn: Ex-OB zu 1 Mio Strafe für kommunale Entscheidung verurteilt). Wenn etwas ideologisch ist, dann sind es solche undifferenzierten Pauschalurteile.
Herr Eisel und ich hätten uns wohl noch seitenweise Pro- und Contra-Argumente um die Ohren hauen können und die Versuchung dazu war für mich durchaus da. Nach einer Weile Hin- und Her-Überlegen habe ich Herrn Eisel eine direkte Mail geschrieben und ihm vorgeschlagen, ob wir uns nicht mal in einer Videokonferenz zum Thema unterhalten wollen. Ich habe mich sehr gefreut, dass er spontan Ja gesagt hat.
Das Ergebnis waren für uns beide durchaus spannende und vergnügliche, aber auch herausfordernde 1 1/2 Stunden, in denen wir unsere Argumente dargelegt und diskutiert haben.
Und in denen wohl beiderseitig Verständnis und Akzeptanz für die Perspektiven und Erfahrungen des Gesprächspartners entstanden ist.
Wir haben daraus sogar so etwas wie ein Abschluß-Statement (zwischen „***“) gezaubert:
***
In Deutschland existieren auf kommunaler wie auf Länder- und Bundes-Ebene mannigfaltige Instrumente der Bürgerbeteiligung. Viele unserer gewählten Volksvertreter suchen den direkten Dialog mit den Bürger:innen und nehmen deren Anliegen sehr ernst.
Bürger:innenräte können eine durchaus sinnvolle Ergänzung zu diesen Möglichkeiten darstellen, wenn es darum geht, ein Stimmungsbarometer gut informierter Bürger über Lebenswelten und Millieus hinweg zu erstellen, das als Kompass für die Politik fungieren kann.
Auf einige Themen sollte bei Bürger:inennräten geachtet werden:
Es sollte sicher gestellt sein, dass nicht nur die Ergebnisse, sondern der Prozess selbst wie auch der Hintergrund der Teilnehmer (z. B. Verbandszugehörigkeiten) so transparent wie möglich dargestellt werden, um Ungleichgewichte erkennen zu können.
Wie auch bei anderen Verfahren der Bürgerbeteiligung leiden auch Bürger:innenräte unter dem Effekt, dass sich besonders politikinteressierte Bürger:innen und Menschen mit genügend Zeit als Teilnehmer melden. Diese Schwäche kann ein Losverfahren nicht beheben.
Aktuell werden Bürger:innenräte meist durch professionelle Moderatoren und Organisatoren durchgeführt. Die dabei involvierten kommerziellen Interessen sollten durch Offenlegung des Auftragsvolumens transparent sein.
***
In diesem Gespräch ist etwas geschehen, das in unserer Gesellschaft bis jetzt noch relativ selten geschieht:
Ein alter CDU-Haudegen und ein Extinction Rebellion-Aktivist haben das, was sie trennt, beiseite geschoben, sich zusammengesetzt, Gemeinsamkeiten entdeckt über ihre ideologischen Lager hinweg Erkenntnisse gewonnen und Empfehlungen erarbeitet.
Genau davon brauchen wir mehr für die Herausforderungen, die vor uns liegen.
Wir möchten Sie zu einem Experiment anregen:
Wenn Sie das nächste Mal auf jemanden treffen, von dem Sie glauben, dass sie oder er eine deutlich andere Meinung hat (Ja, das darf auch ein Politiker in ihrem Umfeld sein):
Schlagen Sie der Person einen Austausch vor und versuchen Sie, sich auf seine Perspektive einzulassen. Es könnte sehr spannend werden.