Geht Liebe heutzutage noch „für immer“?
So richtig krass verliebt zu sein, ist eines der intensivsten Gefühle, zu denen Menschen fähig sind. Die Wogen glätten sich dann. Diesen Hype-Zustand würden wir über Jahre nicht aushalten. Das Gefühl der Liebe, die dann wächst, beschreiben Viele als tiefer, ruhiger und verbundener. Und dann? Gastautorin Cornelia Lütge fragt: Kann Liebe heutzutage noch „für immer“ gehen? Und hat Antworten …
Ja, was passiert dann? Wenn die Alltäglichkeiten uns weitere, weniger glorreiche Wahrheiten voneinander zeigen? Gewohnheiten und Rituale häufiger das Miteinander prägen als Inspiration und Überraschung? Oder wenn in haarigen Zeiten, sei es ein Hausbau, das Elternwerden, eine berufliche oder gesundheitliche Krise, eine/r sich überfordert zeigt? In Frage stellt? Gar ausschert und Bestätigung in einer Affäre sucht?
Dann zeigt sich die Motivation für die Verbindung zweier Persönlichkeiten. Wie kompatibel sie sind, wie solide die Basis ist, auf die sie sich besinnen können. Damit „für immer“ eine Chance hat. Der kürzlich verstorbene Hans Jellouschek, Theologe und Paartherapeut, meinte sogar: „Eine funktionierende Ehe ist in gewisser Weise eine Folge kleiner Scheidungen, die man überwindet und nach denen man sich stets neu suchen und zusammenfinden muss.“*
Kann man „Zusammenbleiben“ lernen?
Einer Trennung gehen zumeist unzählige, klitzekleine bis große Enttäuschungen und Verletzungen voraus. Und manchmal viel Drastischeres. Haben wir denn je gelernt, in Liebessachen richtig zu kommunizieren? Erfahrung aus der Kindheit mit den Eltern bspw. nicht auf die Frau/den Mann zu projizieren? Zu verzeihen, so ganz ehrlich und tief anstatt zu vergelten? Uns selbstlos und gut um Andere – Erwachsene wohlgemerkt – zu kümmern? Empathisch zu sein? Die Spannungsfelder zwischen Nähe und Distanz, Verbindlichkeit und Freiheit zu bespielen? Und unsere Gefühle zu erkennen, sie wahrhaftig zu empfinden und zu kommunizieren? Im Alltag inne zu halten und Raum für eigene Bedürfnisse zu schaffen? Geben und nehmen immer wieder neu auszubalancieren?
Wir lernen auf den Mond zu fliegen und einen Hund zu halten, ein Kind zu gebären und vegan zu kochen, beruflich zu wirken und uns politisch korrekt auszudrücken. Aber Liebe und Beziehung zu leben und zu erhalten, das passiert uns irgendwie.
Was passiert? Und wie finden Paare sich wieder?
„Wie geht eigentlich für immer?“ – nach den ersten Trennungen im Freundeskreis debattieren wir diese Frage öfter. Und wenn Zuhause der Haussegen mal schief hängt, dann hitzig und ungeduldig.
Die Gründe, warum zwei sich zur Trennung entschließen, sind vielfältig, die Ursachen ungeheuer komplex. Für reifere Beziehungen ist häufig das jahrelange Alltagsgrau, das die ursprünglichen Freuden aneinander überlagert, verantwortlich für Unzufriedenheit, beobachtete Jellouschek. Oder dies: Männer erfreuen sich in dieser Lebensphase daran, dass das Leben geordnet und bequem ist, während Frauen wacher und neugieriger werden, ihre Unabhängigkeit wiederbeleben.
Ein Perspektivwechsel kann aufrütteln
Da kann ein Perspektivwechsel aufrütteln – den Anderen bewusst (eventuell mit Hilfe) mit neuen Augen betrachten. Und sich selbst mit den Augen des Partners. Das kann enorm helfen, einander wieder besser zu verstehen. Gegenseitige Anerkennung ist sowieso ein ohfamooser Dünger für gelingende Zweisamkeit! Sie auszudrücken in wertschätzenden Äußerungen statt sparsam mit dem Ausdruck von Gefühl und Verbundenheit zu sein oder zu bleiben. Und (oder) – dies auch in Taten zu zeigen. Dadurch Gemeinsamkeit erzeugen.
Wenn alte Verletzungen im Wege stehen, dann, so Jellouschek, geht nur dies:
Man muss das Verzeihen wirklich wollen!
Dazu müssen wir uns Verletzung und Wut überhaupt eingestehen und sie offen aussprechen. Wenn wir dann noch auf Rache verzichten, dann sind die Aussichten gut!
Frische Neugierde als guter, erster Schritt
Die Stolpersteine sind meistens Macht, Respektlosigkeit und Verdrängung. Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung und ein aufrichtiges Interesse am Wohlergehen sowie eine frische Neugierde auf den Anderen sind ein guter, erster Schritt. Es geht darum, aktiv andere positive Gemeinsamkeiten als Probleme, Herausforderungen oder gar Konflikte aufzudecken.
Wir verlieben, verloben und verheiraten uns. Zack, dann kommen Kinder, Karrieren & Co. Und die Sache mit der Liebe und dem Sex, der persönlichen Weiterentwicklung, dem Paar- und Elternsein, Freund und Freundin bleiben – all das kriegen wir schon irgendwie hin? Diesen Trugschluss machen die jährlichen Trennungsstatistiken deutlich. Eine „Liebe für immer“ braucht Bewusstheit, Kümmern, Aufmerksamkeit, Pragmatismus, Respekt und Neugierde. Immer wieder.
Und vor allem dies, so habe ich mir gemerkt: die Entscheidung, den Anderen einfach lieben zu wollen!
*GEO Wissen Nr. 50, S. 95
Gastautorin Cornelia Lütge ist als waschechtes Nordlicht sturmerprobt. Den Stürmen verdankt sie ihre Learnings und tiefsten Erfahrungen. Beruflich und privat. Die Volkswirtin tritt – nach einer Karriere im Marketing und Familiengründung – seit 2007 für ein NEUES NORMAL LIFE&CAREER an. Für Lebensentwürfe, die tiefer/echter/bewusster statt höher-schneller-weiter gehen. Sie ist überzeugt: Wir machen einen Unterschied, wenn wir unsere Werte identifizieren und nach ihnen handeln. Dann sind glückliche und erfüllende Momente beruflich und privat kein Zufall. Wir sind dann Gestalter unseres Lebens. Cornelia lebt mit Mann, zwei fast entwachsenen Töchtern, Finde-Hund und Pferd in der Elbmarsch, liebt lange Tafeln mit gutem Essen und tollen Gesprächen ebenso wie die Stille. Cornelia war drei Jahre im Team der ohoo-Redaktion.
Fotos: unsplash (one wedding, Nathan Walker)
Guten Morgen Cornelia
Danke für Deinen berührenden und sehr gut geschriebenen Artikel. Mir hilft es sehr jedem Menschen immer wieder mit Neugierde und Freude jeden Tag frisch zu begegnen um damit die eigene Perspektive zu verändern.
Du hast wirklich recht das Verzeihen eine Entscheidung ist und wenn man das erstmal für sich kapiert hat fällt es auch leichter auch bei sehr großen Verletzungen.
Liebe Grüße
Karin
Liebe Karin,
Danke für deine schönen Zeilen. Den Ansatz, Menschen einfach immer wieder mit Freude, offen und neugierig zu begegnen, finde ich angenehm in der Vorstellung. Ich versuche es ähnlich. Weniger zu urteilen ist mir dabei noch wichtig.
Manchmal schäumen auch blöde Emotionen über und dann war‘s das mit den klugen Überzeugungen und guten Vorsätzen. Menschlich eben. Jedoch: das ist viel seltener der Fall. Vielleicht ist es auch die magische Gelassenheit, die mit dem Reifen einher geht. In jedem Fall ist’s der Liebe sehr zuträglich. Und das ist wunderbar.
Dir ein heiteres Wochenende, Cornelia