Berührung und Corona – Tipps einer Expertin
Vielen Menschen fehlen Berührungen, gerade in Corona-Zeiten. Wenn es Dir auch so geht, bist Du also in guter Gesellschaft. Im Urlaub versucht Elke deshalb fast immer, sich Massagen zu gönnen – und ist dabei im Entdeckerhotel in Südtirol auf eine besondere Frau aufmerksam geworden: Die Kunsttherapeutin und Medizinische Masseurin Sandra Unterpertinger. Was sie uns in Sachen Berührung rät (gerade Eltern mit Kindern), was körperliche Kontaktarmut auslöst und warum es gut tut, sein Wohl in Sandras Hände zu legen, erfahrt Ihr im folgenden Interview.
Frau Unterpertinger, noch leben wir in Pandemie-Zeiten, eine körperlich kontaktarme Zeit für viele. Wie haben Sie diese aus beruflicher Sicht erlebt?
In den Lockdowns war es tatsächlich kontaktarm, auch für mich, vor allem in der 1. Welle. Von März 2020 bis Mai 2020 stand für mich beruflich alles still. Es ist wichtig zu erwähnen, dass ich meine beiden Berufe unabhängig, ohne eigene Praxis, ausübe. Das heißt, Menschen in der Kunsttherapie werden nicht von mir massiert und umgekehrt. Die Tatsache, dass ich als Kunsttherapeutin im öffentlichen Bereich (Akutpsychiatrie im Krankenhaus) tätig bin, ermöglichte es mir bereits im Frühjahr 2020 meine Arbeit wieder aufzunehmen. Als Masseurin in der Privatwirtschaft stand meine Tätigkeit über Monate still.
Sie üben zwei Berufe aus…
Ja, als Medizinische Masseurin biete ich verschiedene Massagen mit medizinischem Fachwissen an. Dabei versuche ich, mit der Berührung meiner Hände, Festhaltemuster und körperliche Blockaden meiner Klienten zu lösen. Und in der Kunsttherapie stelle ich den Rahmen dafür, dass sich der Mensch anhand seiner Berührungen im gestalterischen Prozess sich selbst begegnet und heilt.
Dann sind Ihnen die Themen Berührung/Berührtsein natürlich ein Begriff. Kommen Menschen auch deshalb vermehrt zu Ihnen, weil wir so bedürftig (geworden) sind?
Ich denke, dass wir in einer Gesellschaft leben, die zu viel im Kopf lebt. Unsere Denkmaschine ist im ständigem Einsatz, dazu kommen Zukunftsängste und Leistungsdruck, die uns plagen. Wir haben verlernt, die Zeichen unseres Körpers zu lesen, fühlen uns getrennt vom Hals abwerts. Der Kopf ist sehr oft überhitzt, die Hände und Füße kalt, was nicht ohne Grund passiert. Ich glaube, wir waren schon länger bedürftig.
Die Pandemie hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht und zeigt uns vieles in schmerzhafter Form auf. Sie zwingt uns, uns und unser Leben zu reflektieren.
Was löst körperliche Kontaktarmut aus? Hirnforscher wie Martin Grunwald sagen, dass Menschen leistungsfähiger sind, wenn sie häufiger berührt werden. Warum ist es so wichtig, sich berühren zu lassen?
Auf den Punkt gebracht, stumpft uns körperliche Kontaktarmut ab. Wir Menschen sind soziale Wesen und unser Tastsinn dient uns als Kommunikationsorgan. Jeder Berührungsreiz ist für unsere körperliche und seelische Entwicklung wichtig. Fällt das Grundbedürfnis nach Berührung weg, stagniert unsere Entwicklung auf dieser Ebene.
Berührungen helfen Blockaden zu lösen
Jede Form der Stagnation hat mit der Zeit unangenehme Folgen, unsere Denk- und Handlungsweise wird unflexibel. Wir fühlen uns unausgeglichen und unsicher im Umgang mit Anderen. Dauert dieser Zustand länger an, so können körperliche oder seelische Blockaden die Folge sein.
Vermutlich werden wir, auch was Körperlichkeit betrifft, nach der Pandemie nicht wieder da ansetzen, wo wir aufgehört haben. Schon fragt die FAZ: „… werden wir uns je wieder unbefangen die Hände schütteln oder umarmen, ganz ohne Angst vor dem Atem des Gegenübers und dem unsichtbaren Milieu auf dessen Handinnenflächen?“ Wie sehen Sie das, sind wir ängstlicher? Und was raten Sie?
Ich glaube, viel mehr als ängstlich, sind wir unsicher. Es fällt uns schwer unser Gegenüber einzuschätzen. Sich vertraute Personen wissen, wie sie mit Berührungen in diesen Zeiten umgehen und umarmen sich trotzdem. Der Umstand, dass Außenstehende den Anblick dieser Umarmung möglicherweise negativ bewerten, verunsichert uns zudem. Unwissenheit und Unklarheit machen uns unsicher. Ich rate, die Zweifel anzusprechen und zu klären, wie mein Gegenüber zu Berührungen derzeit steht.
Werden wir uns bewusster berühren?
Ja, wir werden uns bewusster und vor allem gewählter berühren/anfassen. Berührungen werden in Zukunft „ehrlicher“. Wir werden uns wieder herzlich umarmen und die Hände reichen, aber eben nur, wenn wir es wirklich wollen und das Bedürfnis danach spüren. Ich bin der Meinung, dass nicht alles so werden soll, wie es vorher war. Manch´ kühler, rein formeller Handschlag vor der Pandemie wäre uns wohl gerne erspart geblieben, und so darf es in Zukunft sein.
„Was uns innerlich berührt, wird häufig erst durch äußere Berührungen ausgelöst“, hat der Wissenschaftsredakteur Dr. med Werner Bartens in seinem Buch „Wie Berührung hilft“ geschrieben. Ihre Profession müsste doch einen wahren Boom erleben derzeit, oder?
Es ist tatsächlich so, dass ich in den vergangenen Monaten im Verhältnis mehr Massagen gegeben habe als vor der Pandemie. Die Ursachen sind wohl mehrere: Im Home-Office haben viele nicht die passende Ausstattung zum Arbeiten am PC und leiden dadurch vermehrt an körperlichen Beschwerden.
Menschen gönnen sich Auszeiten in Form der Massage
Der Umstand, dass eine Krise, die über längere Zeit anhält, für körperlich und geistigen Stress in uns sorgt, macht es durchaus verständlich, dass die Menschen sich Auszeiten in Form der Massage gönnen. Manche möchten sich Gutes tun, bevor möglicherweise ein erneuter Lockdown folgt, oder die simple Tatsache, dass sie sich nach Berührung sehnen. Warum die Menschen in die Massage kommen, ist zweitrangig. Entscheidend ist die Tatsache, dass sie sich entschieden haben, etwas für sich und ihr Wohlbefinden zu tun.
Ein bewusster und nachhaltiger Umgang mit dem eigenen Körper ist nötig, um auf Dauer im Einklang von Körper und Geist zu leben.
Wenn etwas im wahrsten Sinne „unter die Haut“ geht, löst das intensive Emotionen aus. Warum?
Der Tastsinn ist der erste Sinn, welcher sich bei uns Menschen entwickelt. Als Fötus reagieren wir bereits auf Berührungen. In dieser Phase entsteht im Idealfall das Gefühl der Geborgenheit und Halt: Im weiteren Verlauf dient uns der Tastsinn als Kommunikations- und Empfangsorgan. Die Qualität und Quantität der Berührung im Laufe unserer Entwicklung speichert diese in Form von Emotionen und inneren Bildern ab.
Positive Erlebnisse, die berühren, befreien uns von Lasten
Ist eine Person über längere Zeit einer körperlichen und seelischen Belastung ausgesetzt, so wird sich diese in der Körpersprache und Festhaltemustern widerspiegeln. Positive Erlebnisse, die Freude und Erleichterung in uns auslösen, haben die Kraft, uns von Lasten zu befreien, die wir körperlich wahrgenommen haben.
Wie kommen wir in der kontaktärmeren Zeit gut über die Runden? Ich las kürzlich davon, all das verstärkt zu tun, was unsere Sinne anregt…
Ich rate, die Haut als größtes Sinnesorgan zu nutzen und körperliche Reize zu setzen. Ein heißes Bad in gemütlicher Atmosphäre oder ein Besuch in der Sauna schenken uns Wärme und Entspannung in manch kaltem Alltag. Selbst Kaltwasseranwendungen nach Sebastian Kneipp oder Wim Hof sollten nicht unterschätzt werden. Sie beleben Körper und Geist, schulen uns in Achtsamkeit und stärken unsere Immunabwehr.
Was raten Sie gerade Eltern mit Blick auf ihre Kinder?
Das liegt mir tatsächlich sehr am Herzen. Denn besonders Kinder brauchen und genießen die Nähe der Eltern. Kinder sollten nicht nur im Säuglingsalter massiert werden. Auch im fortschreitendem Alter dürfen und sollen Kinder in den Schlaf gestreichelt oder massiert werden. Ein derartiges Abendritual schult die Körperwahrnehmung und hilft Kindern ihre Bedürfnisse auszudrücken.
Grundsätzlich gilt es, angenehme Körperreize zu steigern und Reizüberflutung aus der digitalen Welt zu reduzieren.
Zum Schluss: Was berührt Sie persönlich am meisten?
In meinen Berufen berührt mich das enorme Vertrauen, welches mir entgegen gebracht wird. Jeder Mensch, der von mir massiert oder im kunsttherapeutischem Setting begleitet wird, vertraut mir sein körperliches und geistiges Wohlbefinden an. Das Entblößen seiner Selbst gelingt nur auf einer derartigen Vertrauensebene. Sie legen ihr Wohl in meine Hände.
Vielen Dank für Ihre Antworten!
Sandra Unterpertinger, 1985 in Bruneck (Südtirol) geboren und seit 2016 Mutter einer Tochter, geht im schönen Pustertal gleich zwei Berufen nach. Sie ist zum einen Medizinische Masseurin (ausgebildet an der Yoni Academy/Innsbruck unter der Leitung von Andreas Stötter) und Hydrotherapeutin nach Kneipp sowie zum anderen Kunsttherapeutin: Von 2012 bis 2017 besuchte sie die Wiener Schule für Kunsttherapie unter der Leitung von Irmgard Maria Starke.
Ihre Berührungen beschreibt Sandra als kräftig und intensiv. „Durch achtsame, in die Tiefe wirkende Griffe werden verklebte Faszien und muskuläre Verspannungen gelöst“, sagt sie. Was ich definitiv bestätigen kann – Sandras Berührungen lösen tatsächlich einen wohligen Schmerz aus, ohne die Schmerzgrenze zu überschreiten!
Als phronetische® Kunsttherapeutin vertraut Sandra Unterpertinger auf die Selbstheilungskräfte ihrer Klienten. Denn im kunsttherapeutischen Prozess gestalte der Mensch frei aus seinem Impuls heraus, was ihm gerade gut tue. Seiner Intuition folgend greife der Gestalter zu jenen Materialien, welche im Moment heilend wirken. Sandras Ziel ist es, die Lebensbewegung wieder ins Fließen kommen zu lassen.
Fotos: via Entdeckerhotel und: Khoa Pam, Isi Parente und Toa Heftiba via unsplash