Erlebt die Biobranche ein Drama?
Ist es ein Drama? So hat es zumindest der Geschäftsführer von Alnatura, Götz Rehn, angekündigt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht er von dem schlimmsten Einbruch seit 35 Jahren, vor dem die Biobranche stehe. Ein gigantisches Drama bahne sich an. Was der Chef der Biosupermarktkette, die er 1984 gründete, befürchtet, ist: Kund*innen verändern aufgrund gestiegener Lebenshaltungskosten ihre Einkaufsgewohnheiten, Bio-Landwirte bleiben auf ihrer Ware sitzen.
Da ich schon lange auf Bioware Wert lege und auch gerne sowohl bei Alnatura als auch in anderen Biomärkten und Unverpacktläden kaufe, habe ich nachgefragt. Bei einer Einzelhändlerin, die in Köln vor zwei Jahren mit einem Unverpacktladen an den Start ging: Silke Gimnich. Auf der Aachenerstraße in Köln-Braunsfeld findet man ihr gut sortiertes und mit Herzblut geführtes Geschäft.
Und noch bevor sie mir Rede und Antwort steht, gibt sie mir dieses Statement:
„Ich finde es wichtig aufzuzeigen, dass es unserer Branche nicht gut geht. Die Fridays-for-Future Bewegung hatte es geschafft, dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit mal ganz oben auf der Agenda von Regierungen standen und sich keiner vor dem Thema und der Verantwortung drücken konnte. Dies ist im Zuge der Pandemie und des Krieges völlig zunichte gemacht worden. Jetzt zählt wieder nur das Gesetz der kapitalen Marktwirtschaft. Dabei erstickt unsere Welt im Überkonsum.“
Silke Gimnich im Interview
Klare Ansage. Und nun das Interview:
Siehst Du die Lage genauso dramatisch wie der Alnatura-Chef?
Silke Gimnich: Als Einzelhändlerin bin ich erst seit zwei Jahren tätig. In diesen zwei Jahren habe ich sehr viel gelernt, es war enorm anstrengend und im Rückblick muss ich sagen: Ich kenne keinen „normalen“ Geschäftsalltag, wie ihn meine Kollegen im Unverpackt-Verband und anderen Einzelhandelsbranchen beschreiben.
Was bedeutet das?
Ich habe nun zwei Jahre Krisenmodus hinter mir. Ich kann deshalb gar nicht einschätzen, ob diese Krise die Größe hat, wie sie Prof. Rehn beschreibt. Was ich aber deutlich merke: Die Kunden halten sich seit Februar wesentlich mehr zurück, Ausgaben zu tätigen, als in der Pandemie- und Lockdownsituation. Die Einkäufe fallen nicht mehr so groß aus und sie kommen seltener.
Was bedeutet diese Kaufzurückhaltung für Deinen Umsatz?
Meine Umsätze sind seit dem 24. Februar 2022 eingebrochen und ich kann partout nicht sagen, wann sich das wieder ändert. Ich denke mal, dass die Zurückhaltung mindestens bis nächstes Jahr März/April anhält. Erst dann haben viele Menschen den Überblick über ihre Gas- und Stromausgaben.
Das heißt, die Verunsicherung der Menschen, spürst Du auch?
Ja, sehr. In vielen Gesprächen höre ich eine große Verunsicherung, egal ob hinsichtlich der Pandemie, der Energiekrise oder der Kriegssituation. Sie haben Angst vor den wirtschaftlichen Folgen. Die Menschen sind verunsichert. Viele legen größere Beträge für die Gasrechnung zurück, schränken sich insgesamt im Konsum ein und wenn sie kaufen, dann bevorzugt im Supermarkt.
Was bedeutet das für Dein Weihnachtsgeschäfts?
Das Weihnachtsgeschäft – sonst die umsatzstärkste Zeit des Jahres – ist für mich nicht kalkulierbar. Und ich frage mich: Inwiefern kann ich große Ausgaben für Geschenkartikel, Weihnachtsdeko, Weihnachtsnaschwerk etc. tätigen…
… weil Du diese Ware vielleicht nicht verkaufst?
Der Punkt ist: Nicht verkaufte Ware kann ich erst in einem Jahr erneut umsetzen. Dieses gelagerte Kapital habe ich dann für die alltäglichen Bestellungen nicht mehr zur Verfügung. Deshalb die Zurückhaltung meinerseits.
Was machst Du, um Dich für die nächste Zeit zu wappnen, hast Du bereits etwas verändert?
Ich halte mich selbst mit Investitionen in neue Produkte massiv zurück. Ich versuche alle Standardware immer vollständig da zu haben, wobei die Liquidität das nicht immer hergibt. Und ich bestelle weniger Ware: statt zwei Säcken Reis, kaufe ich heute nur noch einen.
Auf welche Veränderungen müssen sich Deine Kund*innen einstellen?
Dass ich gewisse Produkte manchmal nicht im Laden vorrätig haben werde. Ich bestelle weniger und versuche auch die Zeiten zwischen den einzelnen Bestellungen zu ziehen. Bei manchen Händlern hole ich die Ware auch persönlich ab, da ich so eine Mindestbestellmenge unterbieten kann. Das hilft mir, Liquidität zu halten und überhaupt zahlungsfähig zu bleiben. Als kleiner Laden ist das natürlich auf Dauer keine gute Idee, und ich werde das schnellstmöglich wieder verändern. Aber zurzeit geht es nicht anders.
Vielen Dank für Deine offenen Worte!
Silke Gimnich führt ihren Unverpacktladen Silva – unverpackt geniessen auf der Aachener Straße 567 in Köln-Braunsfeld (Lindenthal). 2020 gab sie ihren Job bei einer Unternehmensberatung auf, um selbst zu gründen. Die Mutter eines Sohns verfolgt das Ziel, Inspirationen und Lösungen für ein nachhaltiges Konsumieren anzubieten. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, möchte sie an einem neuen Wirtschaftsdenken mitarbeiten. Fairness und gegenseitige Unterstützung sind nur zwei Schlagworte für die aktuelle Diskussion. In ihrer Freizeit widmet sich Silke gern einem anderen wichtigen Thema: Sie imkert seit acht Jahren und gibt ihr Wissen rund um Bienen, Naturschutz und Umwelt gerne an Schulklassen oder Kindergartengruppen weiter.
Mehr über das, was Alnatura-Chef Rehn im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt hat, findest Du in diesem Artikel.
Zwei Stimmen von Verbraucherinnen
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Celine, Lehrerin, zwei Kinder, sagt: „Wir ernähren uns vegan und kaufen am liebsten Bio – auch heute noch so viel wie möglich, aber im Vergleich weniger als früher. Früher habe ich fast nur im Temma und bei Alnatura eingekauft, also fast alles Bio. Heute finden wir das auch noch sehr wichtig, v.a. für unsere Gesundheit. Wenn ich Bio kaufe, weiß ich, dass die Lebensmittel mit Respekt für die Natur gewachsen sind. Aber ich muss doch sagen, dass wir mehr in anderen Discountern einkaufen, da es dort mehr und mehr Bio-Artikel gibt und diese manchmal viel preiswerter sind. Ich kaufe nicht mehr ein, ohne auf die Preise zu achten.“
Astrid, Marketing-Spezialistin, ein Kind, sagt: „Wir sind Bio-Gelegenheitskäufer, leben am Stadtrand. In akzeptabler Nähe gibt es lediglich einen Discounter und einen Supermarkt, die wir für den Einkauf der Grundnahrungsmittel nutzen. Wenn ich Fleisch einkaufe, achte ich auf die Haltungsform 3 oder 4. Unser Metzger im Ort bietet Fleisch von Höfen aus dem Bergischen an, wirbt nicht erkennbar mit dem Biolabel – ich hoffe aber, dass diese Tiere artgerecht gehalten werden. Generell haben wir den Fleisch- und Wurstkonsum schon gesenkt. Bei Obst und Gemüse achte ich auf die Herkunft. Ich möchte lange Transportwege vermeiden und dass Produkte extra aus exotischen Ländern eingeflogen werden müssen. Explizit in Biosupermärkten kaufen wir nicht ein. Als Verbraucher muss man sich Bio leisten können oder wollen.“
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Fotos: Elke Tonscheidt