„Wir machen Städte lebendig“
Offene Bücherschränke gehören heutzutage fast zum Stadtbild dazu. Vielleicht kennst auch Du einen in Deinem Stadtviertel? Und was genau passiert da? „Mittlerweile“, sagt Hans-Jürgen Greve, der bald den 1000. Bücherschrank der Marke BOKX bauen wird, „entsteht dort eine ganz eigene Kultur.“ Elke hat nachgefragt, auch nach dem Rezept, um einen Bücherschrank richtig erfolgreich zu machen. Übrigens, ganz aktuell: Zwei dieser Bücherschränke stehen 2023 auch auf dem Bundesgartenschau-Gelände in Mannheim.
Herr Greve, warum funktionieren die von Ihnen designten und gefertigten Offenen Bücherschränke?

Hans-Jürgen Greve: Unsere Bücherschränke sind deshalb so erfolgreich, weil sie von uns sehr geplant und integriert auf den jeweiligen, sorgfältig ausgesuchten Plätzen aufgestellt werden. Denn es ist nicht einerlei, in welchem Kontext ein solcher Schrank steht.
Warum ist das wichtig?
Weil es sehr hilft, vom kleinsten Detail bis hin zur Akzeptanz einer Stadt zu denken – also, dass die Kommune ihr OK gibt und Verantwortung zeigt. Dann werden Patinnen und Paten gefunden, die sich um die Schränke kümmern. Oft melden sich diese von selbst. In Köln machen wir das gemeinsam mit der Bürgerstiftung Köln.
Das hört sich doch alles gut an…
Ja, aber leider gibt es immer wieder private Initiativen, die Bücherschränke in Holz erstellen und diese in der Stadt platzieren, ohne mit der Stadt zu korrespondieren. Oder alte Telefonzellen werden einfach umfunktioniert.
Was ist daran so schlimm?
Es gibt darunter z.B. Telefonzellen, die so schlecht funktionieren, dass die Stadt danach keinen einzigen Offenen Bücherschrank mehr im Öffentlichen Raum haben will. Das gibt es in mehreren Städten. Dann ist so ein Projekt vor die Wand gelaufen…
Weil sich keiner mehr kümmern will oder die Schränke kaputt sind?
Beides passiert. Gerade in Telefonzellen stehen ständig einfach Kisten voller Bücher, Paten müssen die Berge umständlich sortieren oder die Hälfte wegschmeißen… nach einem Vierteljahr sind die meisten Leute, die sich kümmern wollten, durch. Sie wollen den Job so nicht mehr machen.
Deshalb haben wir viele Telefonzellen mittlerweile ersetzt.
Und bei den Holzvarianten sehen die meisten nach wenigen Jahren so schäbig aus bis hin, dass sie auseinanderfallen… Kinderbücher sind ganz unten, genau da, wo Hunde hinpinkeln … und ich liebe Hunde, habe selbst einen, aber das ist teilweise echt gruselig. Wenn Städte involviert sind, sieht das anders aus.

Höre ich richtig raus, dass ein Erfolgsrezept ist, unbedingt die Stadt anzusprechen?
Genau, von Anfang an. Und direkt festlegen, wer Eigentümer ist. Manchmal sind es verschiedene, meistens sind es Vereine, Organisationen, Stiftungen, aber es muss geklärt sein.
Was muss noch bedacht werden, um einen Bücherschrank erfolgreich zu machen?
Folgende Punkte sind wichtig: Die Genehmigung, der Eigentümer, die Patenschaften und zum Schluss die Finanzierung. Und all das haben wir, die die Schränke dann auch bauen, immer im Auge gehabt und berücksichtigen dies strikt weiter.
Was kostet so ein Bokx-Schrank?
Fünf bis zehntausend Euro, je nach Schrankmodell – in die kleineren passen nur 180 Bücher rein, in die größeren 450. Sie sind auch anders konstruiert. Das teuerste Modell hat noch die Option einer eingebauten Kunstvitrine, was ein eigenes Projekt ist.
Je schöner ein Schrank ist, desto höher die Akzeptanz und das ist auch mein Ansatz.
Wir verschönern die Stadt, wir machen sie lebendiger, denn unsere Möbel bringen Menschen zusammen. Und das geht nur, wenn man alle im Boot hat.

Und wenn ein so ein Schrank defekt ist, wird er ausgetauscht?
Genau, dann wird er frisch lackiert, kriegt neue Details – aber der Schrank selber kann ein paar Hundert Jahre stehen, sollte nur gepflegt und ab und zu gewartet werden.
So ein Schrank hat 10 Millimeter Stahl, wir bauen sie für ewig.
In 14 Jahren sind 1000 Schränke in Deiner Kölner Manufakturwerkstatt entstanden. Welche Stadt beherbergt die meisten?
Eindeutig die Literaturstadt Frankfurt, auch pro Kopf – dort haben wir seit 2011 fast 100 Schränke etabliert. In Frankfurt managt das Verkehrsdezernat der Stadt die Schränke. Übrigens macht das jede Stadt anders. In Frankfurt bin ich auch besonders lange aktiv, habe schon 2009 den Kontakt mit der Stadt gesucht. Hintergrund ist, dass dort, bevor die Entscheidung für die Schränke fiel, ein Gutachten erstellt wurde, um herauszufinden was die Stadt attraktiver machen könnte. Es sollten vernetzte Spiel- und Begegnungsräume entstehen, darum ging es im Kern.
Unterscheiden sich die Schränke von Stadt zu Stadt?
Ja, sehr. Zum einen, weil unterschiedliche Modelle gewählt werden, aber wir machen für die Städte auch spezielle Editionen, so wie es gewünscht wird. In Düsseldorf gibt es nur ein Editionsmodell und das ist aus Messing. In Köln hat der Schrank immer einen Basalt-Sockel und es gibt diverse Modelle. Nur ein Modell gibt es in München, jedoch in allen Farben, von quietschgrün bis dunkelblau, rot, orange etc.

Hat der Schrankdesigner Greve einen Lieblingsschrank?
Für mich ist wichtig, dass die Bücher auf der Straße stehen. Dass der Schrank sich zurücknimmt, darauf achte ich beim Bau. Nimmt man das Modell, das seitlich keine geschlossenen Wände hat, also die, die wie Glasvitrinen wirken, dann erlebt man Folgendes:
Wenn Du aus 20 Meter Entfernung mit den Augen blinzelst, dann siehst Du nur noch die Bücher…
… klingt wie ein Kunstobjekt.
So ist es, das ganze Projekt ist sehr künstlerisch angelegt. Der Schrank soll leise sein, es sei denn, man entscheidet sich für einen „lauten“, das ist wie gesagt auch möglich. Die Palette ist groß genug.

Können sich Städte direkt bei Dir melden, wenn sie ihre Stadt verschönern wollen?
Ja, auf jeden Fall. Ich berate auch, denn wir haben sehr viel Erfahrung, die ich gern weitergebe. Wenn man das das 1. Mal macht, muss man ja verstehen: Wie sieht so ein System aus? Wer pflegt den Schrank? Wo kommt das Geld her? Wer könnte mitfinanzieren – gerade hier haben wir schon so viele Beteiligte im Boot gehabt, von der Stiftung Lesen über das Goethe-Institut bis Bertelsmann, also die ganze Bandbreite. Auch Sparkassen und Banken möchten oft mitfinanzieren – am Schrank weist eine Plakette, auch Sponsorentafel genannt, die Förderer aus. Ganz wichtig finde ich:
Wenn eine Stadt in einen Bücherschrank investiert, beteiligt sie gleich die Bürger, denn Ehrenamtliche pflegen sie ja.
Deshalb sprechen wir auch immer von einem Projekt, das mitten aus der Gesellschaft kommt. Bürger übernehmen Verantwortung, werden selbst aktiv…
… was Ihr wiederum fördert, weil es ja auch die Kulturprojekte an den Schränken gibt.
Ja, in Köln – und demnächst in Düsseldorf – haben wir bereits 2021 begonnen, an den Schränken, in Köln sind es fast 50, Kultur zu schaffen. Mit Projekten wie „Köln liest“ oder „Köln liest im Advent“. Die Idee war und ist, die neuen Orte im öffentlichen Raum kulturell zu nutzen, gemeinsam mit allen Bücherschrankfreunden und deren Engagement und Kreativität.
Es ist wie eine Bewegung, die von unten getragen wird.

Aber hat eine Stadt wie Köln nicht genug Kulturangebote?
Ja und nein. Denn die Kultur, die wir angestoßen haben, findet auf einer anderen Ebene statt. Es ist doch so: Die Gesellschaft verändert sich rasant und viele kommen aus unterschiedlichen Gründen nicht mit. Oder anders gesagt: Nicht jeder kann oder will in die Oper gehen. Es ist ein zusätzliches Angebot.
Das sich durch was auszeichnet?
Bücherschränke schaffen öffentliche Bühnen, auf denen einzelne Menschen anders oder mehr gesehen werden. Sie bekommen eine Bühne für ihre Sprache.
Am Bücherschrank treten Rapper auf genauso wie der Jazzpianist. Schauspieler und Autoren. Kinder wie Senioren.
Wir verstehen diese Art der Kultur als Teilhabe und nicht als Konsumangebot. Es empowert die Leute, selbst aktiv zu werden. Jetzt entsteht eher eine kulturelle Revolution. Auch Diversität ist für uns eine große Chance und eine Bereicherung für jeden einzelnen. Diese Ansätze werden bereits von einigen Kulturinstitutionen verfolgt. Da sind schon sehr hochwertige Idee entstanden, die auch gelebt werden. Die Orte, wo Bücherschränke stehen, können dafür super genutzt werden. 1000 stehen zur Auswahl…

Hans-Jürgen Greve, Dipl.-Ing. im Bereich Architektur, ist Vorstand der Kölner „Urbanlife eG“. Ländlich bei Arnsberg aufgewachsen, lebt er seit vielen Jahren in Köln, wo er seine Möbelmanufaktur betreibt. Dort sind in 14 Jahren 1000 Bücherschränke der Marke BOKX entstanden, die er kreiert hat und bis heute bauen und designen lässt. Die Schränke werden bundesweit aufgestellt, auch in Österreich und der Schweiz gibt es bereits einige Exemplare.
2019 gründete der Stadtplaner die „Stiftung Neuer Raum“, um ein Netzwerk zur kulturellen Teilhabe zu schaffen. Dafür setzen er und sein Team das Projekt „Offene Bücherschränke“ ein. Im Mai 2023 konnte ein solches Kulturprogramm erstmals auf einem Friedhof stattfinden: Auf Initiative der Genossenschaft Kölner Friedhofsgärtner wurde auf dem Kölner Südfriedhof der 1. Bücherschrank eingeweiht.
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Fotos via Urbanlife und Stiftung Neuer Raum

Wir haben in Köln-Holweide bereits zwei Bücherschränke gemeinsam mit Herrn Greve aufgestellt. Die Bürger*innen von Holweide haben große Freude an den Bücherschränken, denn die Fluktuation der Bücher ist sehr hoch.
Unsere „Lesefeste am Bücherschrank“ finden dieses Jahr zum 7. und 8. Mal statt und sind sehr beliebt. Wir freuen uns auf das Lesefest am Bücherschrank am Holweider Marktplatz am 14. Mai und auf den 25. Juli, wenn das Lesefest am Bücherschrank am Platz an der Piccoloministraße 435 stattfindet.
Mehr auf http://www.runder-tisch-holweide.koeln
Ein gut gepflegter Bücherschrank wirkt extrem belebend für Orte und Plätze.
Die Erfahrungen von Hr. Grewe sind da bei der Planung Gold wert.
Ja, vielen Dank für Blumen. Wir haben Jahre gebraucht, um aus dem Schrank ein richtiges Projekt zu machen. Das Beste sind die aktiven Bürger, die das überhaupt alles möglich machen. Also vielen lieben Dank an Olaf Biethan und den anderen Patinnen des Bücherschrankes in Widdersdorf.
Die pauschale Kritik an Telefonzellen ist nicht richtig. „Gerade in Telefonzellen stehen ständig einfach Kisten voller Bücher, Paten müssen die Berge umständlich sortieren oder die Hälfte wegschmeißen… nach einem Vierteljahr sind die meisten Leute, die sich kümmern wollten, durch. Sie wollen den Job so nicht mehr machen.“
Auch wenn die Schränke des Herrn Greve gut durchdacht sind, hochwertig verarbeitet und daher sehr hochpreisig sind, haben die das gleiche Problem, dass da die Leute allen Mist reinstellen. und da müssen dann die Schrankpaten die Bücher auch genauso aufwändig und umständlich sortieren und entsorgen. Wobei letzteres für die Schrankpaten das größte Problem darstellt.
Der Grundgedanke bei den Bücherschränken ist ja wohl, den Büchern ein zweites Leben zu geben. Der gleiche Grundgedanke steckt auch in der Wiederverwendung der Telefonzellen. die erhalten dadurch auch ein zweites Leben. Also nicht ganz logisch, sich generell gegen die Verwendung ausrangierter Telefonzellen als öffentlicher Bücherschrank auszusprechen.
Es geht um uns Menschen. Wie wir das Stadtmöbel benutzen können. Und ob es uns Spass macht, das Möbel zu benutzen. Leider mussten wir schon einige Telefonzellen austauschen. Wir machen die Telefonzellen ja nicht generell schlecht, sondern berichten nur von den Erfahrungen derer, die eine Telefonzelle bereits hatten. Und es gibt Städte, die wollen grundsätzlich keine Büchertauschsysteme mehr, weil sie eine Telefonzelle hatten. Das war eine so schlechte Erfahrung, dass das System damit in der Stadt grundsätzlich nicht mehr genehmigt wird. Hingegen der BOKX Bücherschrank immer dafür sorgt, dass mehr Schränke aufgestellt werden. Warum das im Detail so ist, versuchen wir immer wieder zu verstehen. Da gibt es viele Gründe. Es ist aber so, dass die Telefonzellen das System eher insgesamt beschädigen. Das ist eine unabhängige Beobachtung.