Sich für die Natur engagieren und politisch mitmischen
Traut sich die EU den großen Wurf zur Wiederherstellung der Natur? Fragt Gastautor Heiko Erhardt und weist deshalb auf eine historische Chance hin, die seines Erachtens „Gefahr läuft, unter die Räder zu kommen“. Mehr noch: Er appelliert in seinem nun folgendem Gastbeitrag, „unseren“ EVP-Politiker*innen „klar zu signalisieren, was jetzt getan werden muss“. Denn es geht um nichts weniger als die geplante EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur.
Ich kenne und schätze Ohfamoos auch deshalb, weil Autor*innen hier immer wieder zukunftsrelevante Themen aufgreifen und Impulse geben, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Plus mein Eindruck ist: Hier liest eine eher „konservativ-vorausblickende“ Leserschaft und kommentiert und handelt auch in diese Richtung.
Worum geht es?
Vielleicht haben Sie ähnliche Jugendbilder im Kopf wie ich: Blumenwiesen, in denen sich unzählige Bienen und Hummeln tummeln, dichte Wälder mit hüfthohen Ameisenhaufen, fingergroße Käfer gleich hinter dem Haus.
Heute leider meist Fehlanzeige. Es ist inzwischen unbestreitbar, dass durch Klimawandel und Umweltzerstörung unsere Natur (und damit auch indirekt unsere Gesundheit) signifikant geschädigt wurde und immer noch wird. Laut einer Analyse der EU aus 2010 befinden sich 80% der geschützten Lebensräume in Europa in einem schlechten Zustand. In Deutschland sind es nahezu 70%.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Biomasse der Insekten in Deutschland hat sich auf 20% des Bestands von 1980 verringert. Weltweit gelten bereits ein Drittel aller Feuchtgebiete (die extrem wichtig für den Klimaschutz sind) als verloren.
Wir nehmen pro Woche an Mikroplastik das Äquivalent einer Kreditkarte in unseren Körper auf – und einiges davon bleibt da auch.
Diese und viele andere Nachrichten sind alarmierende, hochgefährliche Meldungen. Wir spüren die ersten, noch undeutlichen Auswirkungen einer zutiefst besorgniserregenden Entwicklung.
Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur
Im Juni 2022 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Dieser erste signifikante Naturschutz-Rechtsakt der EU seit 30 Jahren hat es in sich: Das europaweite Gesetz legt rechtsverbindliche Ziele für die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme und den Schutz der Natur in Europa fest: Bis 2030 sollen mindestens 20% der Land- und Meeresflächen der EU saniert werden. Darüber hinaus sollen bis 2050 alle reparaturbedürftigen Ökosysteme wiederhergestellt werden.
Oft wurde die Europäische Union gerügt für ihre Mutlosigkeit und Zögerlichkeit. Das kann hier keiner behaupten – wäre da nicht eine meiner Meinung nach völlig fehlgeleitete Beharrlichkeit der Mitglieder der Europäischen Volkspartei.
Der von Naturschutzverbänden grundsätzlich positiv bewertete Entwurf wurde in den Sitzungen des EU-Umweltausschusses im Juni trotz mehrerer Änderungen durch die Stimmen der EVP blockiert. Hauptargument: Es wird befürchtet, dass zu viele landwirtschaftliche Nutzflächen durch den Naturschutz verloren gehen und bäuerliche Betriebe dadurch über Gebühr belastet würden.
Völlig am Problem vorbei
Das geht aus meiner Sicht völlig am Problem vorbei. Denn: In geschädigten Ökosystemen ist keine Landwirtschaft möglich ohne massiven Einsatz von Pestiziden und Kunstdüngern – Substanzen, die im Verdacht stehen, gesundheitsbelastend zu sein.
20% Fläche unter Naturschutz mag auf den ersten Blick viel erscheinen. Die Zahl verblasst, wenn wir betrachten, dass weltweit für die Nutztierhaltung – die 18% der bäuerlichen Lebensmittel umfasst – 83% der Fläche aufgewendet werden. Die Viehhaltung zeichnet zudem für etwa die Hälfte aller klimaschädigender Emissionen der Landwirtschaft verantwortlich (Quelle: Umweltbundesamt).
In Zeiten, in denen Fleischalternativen immer weniger von echtem Fleisch zu unterscheiden sind, erscheint es wenig sinnvoll, unsere Natur zu opfern für eine Landwirtschaft, die sich zwangsläufig verändern wird.
Konservative Politik ist für mich eine Politik des werteorientierten Bewahrens traditioneller und bewährter Strukturen. Für mich sind das nicht die Strukturen der industriellen Landwirtschaft, an denen letztlich nicht die Bauern, sondern nur die Agrarkonzerne verdienen. Bewahrt werden müssen ursprünglich bäuerliche Strukturen und vor allem unsere Ökosysteme, von denen unsere Ernährung und damit auch wir abhängig sind. Ohne intakte Ökosysteme werden wir nicht in der Lage sein, unsere demokratische Gesellschaft aufrecht zu erhalten und die Lebensweise fortzuführen, wie wir sie heute schätzen.
Was können Sie, was wir alle tun?
Am 11./12. Juli 2023 stimmt das EU-Parlament über das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ab. Ich appelliere an Sie:
- Schreiben Sie an die deutschen Vertreter der EVP und lassen sie diese wissen, dass ihnen der Schutz der Europäischen Natur und deren Wiederherstellung ein Herzensanliegen ist.
- Fordern Sie die EVP-Politiker*innen auf, Ursula von der Leyen den Rücken zu stärken und dieses ambitionierte, so dringend nötige Vorhaben in der Plenarabstimmung am 12.07. zu unterstützen.
- Erinnern Sie diese Menschen daran, dass sie damit eine historische Verantwortung erfüllen und das tun können, wozu sie vermutlich als Vertreter*innen des Volks angetreten sind: Unsere Heimat als lebenswertes Umfeld zu schützen und zu erhalten.
Sie können die EVP-Mitglieder im Europaparlament individuell anschreiben (die wohl beste da persönlichste Option) oder auch den Verteiler nutzen, den die Grünen im Europaparlament eingerichtet haben – hier ist wohl ein persönlicher Text, aber keine persönliche Anrede möglich.
Als Inspiration ein Text, den Sie nutzen können
Den folgenden Text habe ich an die EVP-Vertreter geschickt. In diesem finden Sie einige Gedanken aus dem obigen Artikel wieder. Wenn Ihr Feedback heute oder möglichst schnell bei den Abgeordneten eingeht, kommt es noch rechtzeitig zur Diskussion und Meinungsbildung vor der Abstimmung.
Textbeispiel:
Als Mitglied der EVP vertreten Sie die christlich-konservative Perspektive im Europäischen Parlament.
Konservative Politik ist für mich eine Politik des werteorientierten Bewahrens traditioneller und bewährter Strukturen. Dafür gehen gerade die Grundlagen verloren. Ohne funktionierende Ökosysteme werden wir nicht mehr in der Lage sein, unsere demokratische Gesellschaft aufrecht zu erhalten und die Lebensweise fortzuführen, wie wir sie heute schätzen.
Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Biomasse der Insekten in Deutschland hat sich auf 20% des Bestands von 1980 verringert. Weltweit gelten bereits ein Drittel aller Feuchtgebiete (die extrem wichtig für den Klimaschutz sind) als verloren. Wir nehmen pro Woche an Mikroplastik das Äquivalent einer Kreditkarte in unsern Körper auf – und einiges davon bleibt da auch. Diese und viele andere Nachrichten sind alarmierende, hochgefährliche Meldungen. Wir spüren die ersten, noch undeutlichen Konsequenzen von Klimawandel und Umweltzerstörung.
Durch das EU Restoration Law haben wir erstmals in der Geschichte der EU die Möglichkeit, die Umwelt in und von der wir leben, effektiv zu schützen.
Bitte stärken Sie Ursula von der Leyen den Rücken und unterstützen Sie dieses ambitionierte, so dringend nötige Vorhaben in der Plenarabstimmung am 12.07.
Sie erfüllen damit eine historische Verantwortung und tun das, wozu Sie vermutlich als Veertreter des Volkes angetreten sind: Unsere Heimat als lebenswertes Umfeld zu schützen und zu erhalten.
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen.
ohfamoos-Gastautor Heiko Erhardt lebt mit Familie im Potsdamer Stadteil Babelsberg. Er inspiriert und begleitet als Berater und Coach Organisationen auf dem Weg zu entspannteren Kulturen und Organisationsformen jenseits der klassischen Hierarchien. Als Aktivist für Politik und Umwelt tritt er für eine Modernisierung unserer Demokratie durch partizipative Elemente ein.
Fotos: privat, Canva
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Das EU Gesetz zur Renaturierung ist vom EU-Parlament angenommen worden 🙂
Danke für das Update, Sonja!
Hier ein Link zur Meldung in der Zeit:
https://www.zeit.de/politik/2023-07/eu-parlament-stimmt-fuer-umstrittenes-renaturierungsgesetz
Das ist ein Riesen Schritt für die Erhaltung und Wiederherstellung der europäischen Ökosysteme und auch ein wichtiger Baustein des European Green Deal.
Herzlichen Dank an alle, die auf die Schnelle noch Politiker angeschrieben haben.
Ihr habt damit einen Anteil geleistet, der massive Desinformationskampagne von Copa-Cogeca, des Lobbyverbandes der Agrarindustrie – der im Übrigen nicht die klein- und mittelständischen bäuerlichen Betriebe repräsentiert, die das Gros unserer Nahrung herstellen – entgegenzuwirken.