Kinderehen – Zerreißprobe für Integration!
Undenkbar für Gastautorin Cornelia Lütge – dass eine 14jährige und ein 18jähriger sich aus vollem Herzen und entschieden das Ja-Wort geben könnten. Es passt beim besten Willen nicht in ihr Weltbild, ihre Vorstellung von Selbstbestimmtheit, Partnerschaft, Sexualität und Lebensgestaltung. In die Welt anderer Menschen passt es: Syrer, Afghanen, Bulgarier und (kurdische) Türken zum Beispiel. Vordergründig, unterstellt Cornelia. Hier ihr Gastbeitrag über das schwierige Thema Kinderehe.
1475 Kinderehen verzeichnete das Ausländerzentralregister im Juli. Ich mag es mir kaum vorstellen: verheiratete Jugendliche in Deutschland! 361 davon jünger als 14 Jahre, 120 waren 14 oder 15 Jahre alt. Die Dunkelziffer sei erheblich höher, heißt es. Die meisten sind Syrer (664). Mit 1152 sind deutlich mehr Mädchen als Jungen minderjährig. Das überrascht nicht. Bestürzt umso mehr.
Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD) spricht sich in der Debatte über Kinderehen von jungen Migranten und Flüchtlingen in Deutschland gegen ein generelles Verbot aus. Es könne in Einzelfällen dazu führen, dass junge Frauen ins soziale Abseits gedrängt werden, sagte sie. Durch die Aberkennung ihrer Ehen verlieren sie unter anderem Unterhalts- und Erbansprüche. Und als Mutter unehelicher Kinder wären die Türen in die Heimat für immer verschlossen. Ja, denke ich. Das klingt nach einem plausiblen Argument.
„Junge Mädchen gehören in die Schule – nicht vor den Traualtar“,
sagt Andreas Scheuer, der CSU-Generalsekretär. Die Bundesregierung will gegen Kinderehen vorgehen und diese ausnahmslos verbieten. Auch hier denke ich: Ja, das ist sinnvoll!
Die vielen neuen Nachbarn, Kollegen, Mitschüler usw. bei uns, die einen völlig anderen Wertekanon haben, machen das Thema Kinderehe drängender. Und ich finde es immens wichtig, dass es von allen Perspektiven beleuchtet wird. Jedoch: Beim besten Willen will mir aus heutiger Sicht noch keine für alle plausible Entscheidung dazu einfallen. Dürfen wir vor unserer Haustür „missionieren“? Müssen wir das? Oder müssen wir noch viel besser lernen, mit Vielfalt zu leben?
Einmal mehr begreife ich, welch ungeheuer komplexe Aufgabe Integration ist. Und dass sie uns nur in behutsamen Schritten, mit großer Offenheit, einem mutigem Herzen und wachem Verstand gelingen kann.
Gastautorin Cornelia Lütge tritt als Volkswirtin – nach einer Karriere im Marketing und Familiengründung – seit 2007 für ein NEUES NORMAL LIFE&CAREER an. Für Lebensentwürfe, die tiefer/echter/bewusster statt höher-schneller-weiter gehen. Cornelia lebt mit Mann, zwei Töchtern, Finde-Hund und Pferd in der Elbmarsch, liebt lange Tafeln mit gutem Essen und tollen Gesprächen ebenso wie die Stille. Cornelia war drei Jahre im Team der ohoo-Redaktion.
Foto: pixabay (Cassia Zuquetto)

Mh…ist es Absicht, dass da steht „eine 14 jährige und ein 18 jähriger“?! Ich weiß nicht, so abwegig ist das jetzt nicht. Abwegiger wäre es, wenn es eine 14 jährige und ein 81 jährigen wäre… nicht, dass ich damit sagen will, dass alle mit 14 heiraten sollen – natürlich auf keinen Fall und Kinderehe ist definitiv ein sehr wichtiges Thema, was gleichzeitig absolut reglementiert werden muss. Ich fand nur den Altersunterschied und auch das Alter an sich jetzt nicht so „unvorstellbar für mich“, wie es im Artikel heißt 😉 viel unvorstellbarer finde ich da, dass 10 jährige Mädchen mit 45 jährigen Männern verheiratet werden. Auf jeden Fall ein heikles und zugleich sehr wichtiges Thema! Da muss unbedingt genauer hingeschaut werden – junge Mädchen müssen beschützt werden und vor allem noch Kind bzw. Jugendliche sein dürfen und nicht Ehefrau!!!
Liebe Nora,
danke für deine Sichtweise! Auch für mich ist die Vorstellung, dass eine 8jährige einen 33jährigen heiratet oder – wie in deinem Beispiel – eine 14jährige einen 88jährigen – noch viel bestürzender.
Meine Altersangaben sind nicht zufällig, sondern Ergebnis einiger Vorfälle, von denen ich im Rahmen meiner Recherche gelesen habe. Dennoch bleibt für mich im Kontext „Zwangsehe“ auch das hier gewählte Beispiel unvorstellbar. Besonders für die Mädchen! Insbesondere sie haben in diesen unfreiwilligen Lebensgemeinschaften ja mit Erlebnissen zu rechen, die meine Vorstellungskraft des Erträglichen überragt. Und noch mehr bei der Tatsache, dass in manchen Wertewelten Mädchen ab 9 Jahren (Jungs ab 14) offiziell als heiratsfähig gelten.
Moralvorstellungen und Normen aus komplett anderen Richtungen sind bei diesem Thema die Crux: Wir wollen mit (jungen) Menschen, die aus einer völlig anderen Welt kommen, hier zusammen ein gutes Miteinander gestalten und leben. In gegenseitigem Respekt und mit einer zunehmenden Annäherung. Ich gebe zu – bei dem Thema bin ich arg gefordert und begreife einmal mehr, dass es neben der individuellen auch immer eine größere Dimension gibt.
Übrigens: Am kommenden Donnerstag vertiefen wir das Thema – eine Betroffene kommt zu Wort.
Herzlichen Gruß von Cornelia
Hallo
Allem voran erweckt Ihr Text den Eindruck, dass die Fragestellung vielschichtig ist, und desshalb nicht einfach zu beantworten.
Dabei gebe ich zu bedenken, dass gerade das Recht die Einfachheit sichert und besorgt.
Tatsächlich sind Kinderehen verboten und daher nicht gültig, auf jeden Fall.
Natürlich bleiben dann auch die komplizierteren und besonders die sozialen Fragestellungen und fordern eine Antwort.
Aber da gibt es dann den ganzen Spielraum unserer selbstverständlichen und humanistischen Ordnung. Und wenn ein Kind durch die Aufhebung einer Ehe in eine Notlage kommen sollte, dann kann man einfach Abhilfe leisten. Aber eben ein Abhilfe, die völlig rechtmäßig ist.
Sichlich gibt es bei den hunderten zu uns geflüchteten Paaren auch Ehen, die später und nach einer Wartezeit in Ordnung kommen.
Ein rechtliches Problem besteht also eigentlich garnicht, wir müssen nur wieder üben, unser Recht wirklich einzuhalten.
Viele Grüße, Werner
Lieber Werner,
danke für deinen Kommentar! Natürlich, die Rechtssprechung will schützen. Und wir können froh sein, dass das System unsere Werte verankert bzw. spiegelt. Der Diskurs ist in meinen Augen allerdings notwendig, da das Thema Kinderehen, wenn wir den Kontext erweitern, was wir ja tun müssen, sehr komplex ist. Daher finde ich es nur richtig, dass auch mögliche Konsequenzen für die jungen Frauen diskutiert werden, wie die Integrationsbeauftragte es anstösst, bevor eine Entscheidung gesprochen wird. Mir jedenfalls wird bewusst, dass es manchmal eben nicht so „einfach“ ist, wie eine Rechtsprechung es glauben macht. Inbesondere eine, die womöglich älter ist und aktuelle Entwicklungen daher noch nicht berücksichtigen kann. Das Leben ist einem stetigen Wandel ausgesetzt. Und sicher – da sind verlässliche Konstanten von Bedeutung. Aber eben nur eine Seite der Medaille. Und ja, den Eindruck der Vielschichtigket wollte ich betonen! 🙂 Mit ohfamoosen Grüßen, Cornelia