Seaspiracy – wie der Mensch die Meere zerstört
Sonja hat sich extra wegen des Dokumentarfilms „Seaspiracy – wie der Mensch die Meere zerstört“ ein Netflix-Abbonnement angeschafft. Denn ihre Nichten drängten darauf, sie solle sich den Film unbedingt ansehen. Die Mädchen wissen: Sonja steht Massentierhaltung sehr kritisch gegenüber und isst schon seit Jahren viel weniger Fleisch. Jetzt sagen sie, dass Sonja – die begeisterte Taucherin – auch ihren Fischkonsum einschränken sollte.
Dokumentarfilme, wie z.B. Food Inc. von Robert Kenner aus dem Jahr 2008, lassen auch mich nicht kalt. Immer, wenn ich Billigfleisch im Supermarkt sehe, erinnere ich mich an Szenen des Films: gigantisch große Hühner-Legebatterien ohne Tageslicht, die mit Antibiotikum versetztes Trinkwasser bekommen. Oder Rinder mit Escherichia coli-Bakterienstämmen im Magen, von denen einige für den Menschen tödlich sein können. Seitdem ich weiß, dass im Fleisch eines Hamburgers Anteile von über 1.000 Rindern enthalten sein können (Quelle: Food Inc. Wikipedia), habe ich meinen Fleischkonsum erheblich eingeschränkt.
Seaspiracy – ein Dokumentarfilm
Seaspiracy ist auch so ein Film, der Zuschauern nahelegt ihre Ernährungsgewohnheiten zu ändern und dabei das Klima halbwegs zu retten. Der Film zeigt die Auswirkungen der Überfischung der Ozeane und wie die Schleppnetzfischerei das Ökosystem der Meere zerstört. So ist, laut Film, z.B. der Thunfischfang für den Tod hunderttausender Delfine und anderer Meerestiere verantwortlich, da diese sich in den Netzen verfangen. Der sogenannte Beifang. Der Film will Zuschauern die Augen öffnen und eine Veränderung ihres Konsumverhaltens herbeiführen.
Die Regisseure von Seaspiracy sind Ali und Lucy Tabrizi, die auf ihrer Reise durch die Welt die Schrecken der Fischereiindustrie aufdecken. In einer change.org E-mail an potentielle Unterstützer schreiben sie:
„Wir wurden Zeugen von entsetzlicher Zerstörung, Missbrauch und Korruption und wussten, dass wir aufdecken mussten, wie die globale Fischereiindustrie unsere Ozeane im Verborgenen tötet. Wir enthüllten das ohrenbetäubende Schweigen über die Rolle der Fischerei bei der Entleerung unserer Meere, der Dezimierung des Lebensraums und der Beeinflussung unseres Klimas.“
Das große Geschäft
Wir alle wissen: Große Unternehmen dazu zu bringen, ihre Arbeitsweise zu ändern, ist sehr schwierig. Aber der Einfluss des Einzelnen kann eine viel stärkere Botschaft aussenden und vielleicht eine Veränderung bewirken. Bei meinen Nichten und ihren Freunden ist die Botschaft voll angekommen. Fisch ist komplett von der Speisekarte gestrichen.
Der Film zählt nicht nur Fakten auf, sondern schafft es, die Informationen mit einer krimi-ähnlichen Story zu verbinden. Mit schnell geschnittenen Szenen und vielen schockierenden Bildern, zeigen Ali und Lucy Tabrizi eindrücklich die zerstörerischen Ausmaße der Fischereiindustrie in unseren Ozeanen. Ein paar Fakten, die das Team bei der Erstellung von Seaspiracy entdeckt haben, sind erschreckend:
- Die Fischerei hat 90% der Großfische der Welt ausgerottet
- 5 Milliarden Dollar an Subventionen gehen weltweit an die Fischereiindustrie – diese finanzieren größere Schiffe, mehr Treibstoff, Fanglizenzen und den Fang von noch mehr Meereslebewesen
- 300.000 Delfine, Wale und Schweinswale werden jedes Jahr durch die Fischerei getötet
- Die Fischerei tötet JEDE STUNDE bis zu 30.000 Haie
- Verlorenes Fischereigerät ist bei weitem die tödlichste Form von Plastik im Meer
Seaspiracy – ein Netflix Hit
Der Produzent des Netflix-Hits, Kip Andersen, weiß genau, was er tut. Mit seiner früheren Dokumentation “Cowspiracy”, die sich auf die Fleischindustrie und deren Funktionsweise konzentrierte, hat er den gleichen Effekt erzielt, wie damals der Film Food Inc. in 2008.
Vielleicht wird nicht jeder von jetzt an auf Fisch verzichten, aber der Film kann uns helfen, besser zu verstehen, wie und woher das kommt, was wir essen.
Fischverzicht ist gut. Aber die Meere brauchen mehr.
Auf der Seite des World Wildlife Funds (WWF) finde ich bei meiner Recherche folgendes:
„Der Film hat völlig Recht: Wirklich nachhaltige Fischerei und gutes Management gibt es bisher viel zu wenig. Selbst der Marine Stewardship Council (MSC), der vom WWF mitbegründet wurde, um nachhaltige Fischereien zu fördern, benötigt grundlegende Reformen, um seiner Aufgabe gerecht zu werden.“
Kritik zum Film
Wie zu erwarten, gibt es aber auch Kritik zum Film. Das Reality Check Team des BBC hat herausgefunden:
Die Behauptung: „Die Ozeane werden bis 2048 „praktisch leer sein“, wenn sich die aktuellen Fischtrends fortsetzten, stammt ursprünglich aus einer Studie von 2006. Tabrizi bezieht sich auf einen Artikel der New York Times, dessen Hauptautor die Studie mittlerweile selbst anzweifelt – insofern, ob man seine Ergebnisse nutzen kann, um heute zu Schlussfolgerungen zu gelangen.
Im Film geht es auch darum: „Fast 50% des Kunststoffs im Great Pacific Garbage Patch, einem Gebiet des Pazifischen Ozeans, sind Fischernetze.“ Diese Behauptung ist jedoch umstritten, denn die von 2018 zitierte Studie bezieht sich nur auf schwimmendes Plastik und berücksichtigt nicht Mikroplastik, also die winzigen sinkenden Partikel. Für den Ozean als Ganzes ergab eine Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace von 2019: Fischernetze machen wahrscheinlich zehn Prozent des Plastikmülls aus.
Die Aussage: „Plastikstrohhalme machen nur 0,03 Prozent des Plastikmülls in den Meeren aus“ beruht auf zwei Studien. Wie genau die Schätzungen sind, kann jedoch nicht wirklich beurteilt werden. Was allerdings stimmt: Die meisten Menschen halten Plastikstrohhalme für ein deutlich größeres Problem, als es tatsächlich ist. Die Überfischung der Meere ist jedoch eine weitaus ernstere Bedrohung für die Ozeane.
Die Behauptung: „Mikroorganismen absorbieren viermal mehr CO2 als der Amazonas“, hält dem Faktencheck jedoch Stand. Hier geht es um die wichtige Rolle, die Ozeane bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung spielen. Mikroskopische Organismen im Meer, Phytoplankton genannt, absorbieren Kohlendioxid und setzen wie Pflanzen Sauerstoff frei. Tabrizi bezieht sich auf einen IWF-Bericht, in dem es heißt: „Wir rechnen damit, dass dies der Menge an Kohlendioxid (CO2) entspricht, die von 1,70 Billionen Bäumen eingefangen wird – das entspricht dem Wert von vier Amazonaswäldern.“ Experten sagen, dass die Zahl ungefähr richtig ist und sogar unterschätzt werden könnte.
Diskussion erwünscht
Die Zahlen und Vorwürfe werden von der Fischereiindustrie und Verbrauchern diskutiert, denn Seaspiracy zeigt auf: Die Fischereiindustrie ist eine ernste Bedrohung der Biodiversität und des Lebens in den Meeren. Und klar wird: Wenn wir so weiter machen wie bisher, haben die Ozeane mit noch gravierenderen Problemen zu kämpfen. Deshalb, je mehr Menschen Seaspiracy sehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Thema die Ohren der Regierungen erreicht, so wie es in Großbritannien mit der Dokumentation von David Attenborough über Plastik geschehen ist. Und vielleicht gelingt es uns Regierungen dazu zu bringen, endlich Maßnahmen zu ergreifen, um die Fischereiindustrie in Zukunft nachhaltiger zu gestalten.
Ali und Lucy Tabrizi haben eine Petition gestartet. Sie möchten in mindestens 30% der deutschen Gewässer Fangverbotszonen einrichten. Ihre Bewegung will bis 2030 mindestens 30% unserer Ozeane schützen. Hier geht’s zur Petition.
Mein Fazit:
Die Artenvielfalt in Naturschutzgebieten und Fangverbotszonen ist beeindruckend. Das habe ich als Taucherin schon oft gesehen und es hat mich immer wieder verblüfft: Fische sind nicht dumm. Auch wenn nicht alle Fakten dem Check standhalten, kann ich nur raten, seht Euch den Film an.
Ich beschäftige mich schon lange mit dem Meer und der Umwelt. Hier sind meine Beiträge zum Thema Meer und Umweltschutz:
Meeresschildkröten mögen kein Plastik
Klimawandel – gibt es Lösungen?
Ich will weniger Plastik in meinem Leben
Wir lieben das Meer – ach wirklich?
Das bisschen Untergang macht sich von allein
Fotos: Sonja Ohly