Mathe, Englisch, Deutsch und: Glück!
.Jeder, der morgens Kinder weckt, weil die Schule ruft, kennt das Szenario: Wenn’s gut läuft, gibt es keine lange Diskussion über „die doofe Schule“. Wenn’s schlecht läuft, verweigern sich Jugendliche irgendwann. Kann Glücksunterricht helfen? Und was soll das überhaupt? Als wir davon lesen, dass es tatsächlich Glücksunterricht gibt, bitten wir eine Lehrerin, uns das zu beleuchten. Deshalb schreibt heute Susanne Gerdon für ohfamoos darüber, was sie in ihrem Schulalltag erlebt und wofür sie sich einsetzt.
„Die beiden wichtigsten Tage deines Lebens sind der Tag, an dem du geboren wurdest, und der Tag, an dem du herausfindest, warum.“
Dieses Zitat von Mark Twain beschreibt sehr gut, was Glücksunterricht bei Schüler*innen bewirkt. Sie erhalten dadurch die Chance, ihre Identität zu finden, ihr Potenzial zu entfalten und für das Leben zu lernen.
Davon bin auch ich überzeugt. Kerninhalte meines Glücksunterrichts sind deshalb: Lebenskompetenztraining, Lebensfreude im Alltag, Persönlichkeitsentwicklung, Umgang mit schwierigen Lebenssituationen, Resilienz und das Erlernen von Entspannungstechniken. Und als mich Elke Tonscheidt von ohfamoos fragte, ob ich darüber nicht etwas mehr berichten möchte, habe ich gern zugesagt.
Denn darum geht es mir:
Die Schülerinnen und Schüler besinnen sich im Glücksunterricht auf ihre Werte und Stärken, was sie bei ihrer Berufswahl unterstützt.
Zudem erlernen sie Strategien, wie sie auch in schwierigen Lebenssituationen handlungsfähig bleiben. Dies ist gerade in der unsicheren und schwierigen Phase der Pubertät sehr hilfreich.
Glücksunterricht – und worum geht es genau?
Sie beschäftigen sich u.a. mit den vier Grundfragen Wer bin ich? (Konsistenz), Was brauche ich? (Bedürfnisse), Was will ich? (Kohärenz) und Was kann ich? (Kompetenz). Dabei erkennen sie ihre Stärken und deren Ressourcen und können so besser ihre Ziele festlegen und auf deren Erreichen hinarbeiten.
Gerade in diesen herausfordernden Zeiten, ist es wichtig den Blick auf positive Dinge zu richten, Dankbarkeit für das eigene Leben zu empfinden und lebenswerte Perspektiven zu schaffen. Literatur wie Factfulness von Hans Rosling, Früher war alles schlechter von Guido Mingels und 2030 – Wie viel Mensch verträgt die Zukunft? von Sven Gabor Janszky und Lothar Abicht bieten dazu wertvolle Informationen und Fakten.
Die momentane Situation ist für viel Schüler*innen sehr problematisch und im Gespräch mit Vertreter*innen meines kürzlich gegründeten Resilienz-Netzwerkes, bestehend aus Psycholog*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Coaches, Pädagog*innen und Unternehmer*innen, wird deutlich:
Es ist längst fünf nach zwölf und es muss dringend gehandelt werden.
Zahlreiche Statistiken bestätigen die Zunahme von Depressionen und sogar Burn-out bei Jugendlichen – durch die Inhalte des Glücksunterrichts erleben sie Selbstwirksamkeit, lernen ihre Komfortzone zu verlassen und verbuchen viele Erfolgserlebnisse, die sie wiederum stärken.
Deshalb setze ich mich für die flächendeckende Einführung des Schulfaches „Glück“ ein und hoffe, dass dieser nachhaltige Unterricht endlich Teil der Stundentafel wird.
Projektwochen und vereinzelte Workshops sind gut gemeint und vermitteln kurzfristig ein positives Gefühl, aber nachhaltig geht anders.
Das Beispiel Kandel: Glücksunterricht als Wahlpflichtfach
Bei uns an der Realschule plus in Kandel haben die Schüler*innen in den Klassen 8 und 9 wöchentlich zwei Stunden Glücksunterricht im schuleigenen Wahlpflichtfach. Zudem kann Glück als zweistündige Arbeitsgemeinschaft gewählt werden.
Das ist ein guter Anfang. Wenn dieser mir auch nicht weit genug geht, weil so nur ca. 50 Schüler*innen unserer Schulgemeinschaft in Sachen Wohlbefinden und Selbstwirksamkeit geschult werden. Mein Vorbild ist: Seit 2018 gibt es für viele Kinder in Neu-Delhi Glücksunterricht. Hatte sich doch der Dalai Lama dafür eingesetzt, dass alle Kinder von der Vorschule bis zur achten Klasse, täglich 45 Minuten in den Bereichen Stressreduktion, Achtsamkeit geschult werden und mit dieser Bildung Gefühle wie Hass, Wut, Sorge und Angst bewältigen können.
Meiner Meinung nach ist genau dies der Schlüssel zum gesellschaftlichen „Glück“.
Passend zum Thema Mitgefühl vermittle ich meinen Schüler*innen auch die Wichtigkeit ehrenamtlichen Engagements für die Gesellschaft, indem wir mit Spendenaktionen verschiedene Institutionen wie die Tafel Wörth und das Kinderhospiz Sterntaler unterstützt haben.
Das NRW-Modellprojekt „Gesundheit, Integration, Konzentration. Achtsamkeit in den Grundschulen der Stadt Solingen“ der Universität Duisburg-Essen in den Jahren 2016 – 2019, verzeichnet beeindruckende und beispielhafte Ergebnisse. Sie unterstreichen die die Wirksamkeit eines solchen Unterrichts.
Bei der GEW – Tagung zum Thema „Schulen der Zukunft“ im Oktober 2022 an der Universität Landau, betonte die Zukunfts- und Trendforscherin, Birgit Gebhardt, die Wichtigkeit der Intuitionsschulung der Schüler*innen in einer Welt, in der die Digitalisierung mit einer rasanten Geschwindigkeit immer mehr Lebensbereiche beeinflusst. Ihrer Meinung nach müssen u.a. vor allem die Schlüsselkompetenzen Körpergefühl, Nähe, Präsenz, Authentizität, Identität und Natürlichkeit geschult werden. Diesem Anspruch wird der Glücksunterricht voll gerecht.
Glücksunterricht eignet sich auch für Unternehmen…
Da sich die Themen des Glücksunterrichts auch sehr gut im Bereich Gesundheitsförderung anwenden lassen, biete ich für Unternehmen und öffentliche Institutionen Glückscoaching-Workshops und Vorträge an. Unternehmen, denen sowohl die körperliche als auch mentale Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen am Herzen liegt, drücken mit solchen Fortbildungen ihre Wertschätzung aus. Sie werden mit motivierteren Mitarbeiter*innen und mit einer Reduktion der Krankheitstage belohnt.
Mein Fazit: Mir geht es nicht darum, immer glücklich zu sein – sondern dass man die glücklichen Phasen genießt und die unglücklichen Phasen mit einer Prise Gelassenheit übersteht. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass das Leben in Wellen verläuft.
Gastautorin Susanne Gerdon unterrichtet an der Realschule plus in Kandel die Fächer Englisch, Französisch, Hauswirtschaft und Sozialwesen sowie das schuleigene Wahlpflichtfach „Glück“. Die Entdeckung der Glückslehrerausbildung war für sie ein Schlüsselmoment. Nachdem sie ein Buch über den Glücksunterricht von Ernst Fritz-Schubert gelesen hatte, absolvierte sie diese Ausbildung 2015/16 in Heidelberg.
Susanne Gerdon hat u.a. die Qualifikation zur Beraterin für Gewaltprävention und Gesundheitsförderung am Pädagogischen Landesinstitut in Bad Kreuznach und bietet auf Honorarbasis Workshops auch in Schulklassen an.
Sie hält als Glückscoach und Motivationstrainerin Vorträge in Unternehmen, führt dort Workshops durch. 2022 hat sie am Speaking Performance Practitioner bei der Tobias Beck Academy teilgenommen. Zudem ist sie Mitglied beim Netzwerk der ZukunftsMacher.
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Erfolgsbedingungen des Lernens – seit langem bekannt und noch immer aktuell
Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert erkannten Pädagogen, dass Lernen nur dann dauerhaft erfolgreich ist, wenn Aufgaben, Erwartungen und Umfeld mehrere förderliche Bedingungen erfüllen. Diese Grundsätze erfolgreicher Lehr-Lern-Prozesse sind bis heute gültig und zudem neurowissenschaftlich gut erklärbar.
Den Lernenden sollen praktische Herausforderungen als Lerngelegenheiten angeboten werden.
Die Aufgaben müssen den Lernenden bewältigbar erscheinen und subjektiv Sinn machen, also an ihr aktivierbares Vorwissen anknüpfen. Sonst erlahmt das Interesse und damit die Lernwilligkeit.
Das Herangehen an diese Aufgaben soll den Lernenden so weit wie möglich selbst überlassen werden – mit angemessener Anleitung und Begleitung.
Denn durch schrittweise Erfolge im Problemlöseprozess entwickelt sich dasjenige, was (häufig auch „intrinsische“) Motivation genannt wird. Sie kann nicht von außen angeregt werden (das gilt nur für Neugier und Interesse), sondern ist ein interner neuropsychischer Prozess aufgrund von Erfolgserlebnissen.
Entmutigungen durch Sanktionieren von Fehlern müssen vermieden werden.
Denn die normale Reaktion auf die Sanktionierung von Fehlern ist, dass sich der Lernende vorsichtshalber von den Fehlermöglichkeiten durch Vermeidungsverhalten oder sogar Untätigkeit zurückzieht, was ihm die Zuschreibung von Dummheit einträgt.
Nicht Intelligenz, sondern „Übung macht den Meister“.
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Anforderungen müssen individuell zugemessen werden.
Unterforderung infolge von Langeweile bewirkt Lernverdruss und Überforderung durch Druck vermindert Lernwilligkeit oder verhindert sie sogar.
Lernzeiten müssen individuell bestimmbar sein.
Zeitdruck erzeugt Versagensangst und dadurch die sprichwörtliche Blockade im Gehirn (was neurowissenschaftlich sehr schön nachweisbar ist).