Die bemerkenswerte Intelligenz der Orcas
Seit Wochen sind Orcas regelmäßig in den Schlagzeilen. Bei der Regatta The Ocean Race haben Orcas zwei Rennjachten angegriffen. Die Schwertwale stießen gegen die Boote und bissen in die Ruder. Auch in der Nordsee wurde jetzt ein Segelboot bedrängt und mehrfach gerammt. Sonja hat mit ihrer Nichte Mascha über das Thema diskutiert und fand Grund genug, sich die Tiere mal genauer anzuschauen.
Orcas oder auch Schwertwale sind nicht nur bekannt für ihre beeindruckende Größe und ihre majestätische Schönheit, sondern auch für ihre außergewöhnliche Intelligenz. Sie sind die größte Delfinart und haben die Aufmerksamkeit von Forschern und Naturliebhabern auf der ganzen Welt auf sich gezogen, da sie über erstaunliche kognitive Fähigkeiten verfügen, die nur wenige andere Tiere besitzen.
Ich selbst habe diese schönen, schwarz-weiße Riesen bislang auch bei meinen zahlreichen Tauch-Abenteuern noch nicht unter Wasser gesehen. Begegnet sind mir zwar mehr als 150 Delfine in Saudi Arabien, aber Schwertwale kenne ich nur aus Erzählungen. Aber nachdem ich ein Video auf Instagram von dem einsamen, in Gefangenschaft gehaltenen Tier in USA sah, war es mir ein Anliegen, mehr über die Tiere zu erfahren.
Laut der spanischen Seenotrettungsorganisation Salvamento Marítimo hat es allein in 2023 bereits 28 Begegnungen von Orcas und Booten gegeben. Die Tierschutzorganisation GT Orca Atlántica (GTOA) spricht sogar von 500 Attacken zwischen 2020 und 2022.
Was wissen wir über Orcas?
Soziale Struktur und Kommunikation: Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften der Orcas ist ihre hochentwickelte soziale Struktur. Sie leben in starken Familienverbänden, bekannt als „Pods“, die aus mehreren Generationen bestehen. Innerhalb dieser Pods kommunizieren Orcas mithilfe eines komplexen Vokabulars von Klicks, Pfiffen und Lauten. Forscher haben herausgefunden, dass bestimmte Klick-Sequenzen spezifische Bedeutungen haben und als Namen für individuelle Orcas dienen können. Diese Fähigkeit zur Kommunikation und Identifizierung ist ein deutlicher Hinweis auf ihre hochentwickelte Intelligenz.
Problemlösung und Lernverhalten: Orcas sind auch bemerkenswerte Problemlöser. In freier Wildbahn zeigen sie oft erstaunliche Taktiken bei der Jagd, wie zum Beispiel das Erzeugen von Wellen, um Beute von Eisschollen zu schwemmen. Sie haben auch gelernt, sich vor potenziellen Gefahren zu schützen, indem sie beispielsweise Luftblasen erzeugen, um Seehunde orientierungslos zu machen. Diese Fähigkeit, kreative Lösungen zu finden und neue Verhaltensweisen zu erlernen, zeigt deutlich ihre Intelligenz und Anpassungsfähigkeit.
Kulturelle Übertragung von Wissen: Eine weitere beeindruckende Eigenschaft der Schwertwale ist die Fähigkeit zur kulturellen Übertragung von Wissen. Verschiedene Orcapods haben unterschiedliche Jagdtechniken, Dialekte und sogar Vorlieben für bestimmte Arten von Beute. Diese kulturellen Unterschiede erlernen die Jungen von ihren Müttern und dieses Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben. Sie haben somit eine Art kulturelles Erbe, das ihre Anpassungsfähigkeit und Lernfähigkeit unterstreicht.
Zusammenarbeit und Empathie: Orcas sind auch für ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Empathie bekannt. Es gibt Berichte über Orcas, die verletzte oder schwache Artgenossen unterstützen und ihnen helfen, an die Oberfläche zu gelangen, um zu atmen. Sie arbeiten auch oft in Teams bei der Jagd und koordinieren ihre Aktionen, um ihre Beute effizient zu fangen. Diese Zusammenarbeit erfordert ein hohes Maß an sozialer Intelligenz und eine Fähigkeit, die Perspektiven anderer Individuen zu verstehen.
Mascha meint:
Meiner Meinung nach wurden und werden Orcas als eine intelligente Spezies unterschätzt.
„Sie besitzen das gefurchteste Gehirn in der Natur und sind zur Empathie fähig. Die einzelnen Pods, in welchen Orcas leben, besitzen individuelle Kulturen und sie geben sich gegenseitig Namen und sprechen verschiedene Sprachen. (Manche Orcas können sogar Delfin Sprache.) Je mehr wir Menschen über die Orcas erfahren, desto klarer wird, wie wenig wir über die Natur wissen und wie sehr wir andere Lebewesen unterschätzen. Der Mensch ist nicht das einzige intelligente Tier.“
Forscher sind sich nicht sicher, warum die Orcas plötzlich auf die Boote und Jachten losgehen. Laut Alfredo López, einem Orca-Forscher bei der Atlantic Orca Working Group, gibt es zwei Hypothesen: Die eine ist, dass die Schwertwale eine neue Marotte erfunden haben, etwas, wofür Teilpopulationen dieser Delfinfamilie bekannt sind. Die Angriffe könnten aber auch eine Reaktion auf die schlechte Erfahrung mit Booten sein.
Orcas in Australien
Die Orcas sind zweifellos faszinierende Geschöpfe mit bemerkenswerter Intelligenz. Ihre Erforschung hilft uns nicht nur diese erstaunlichen Tiere besser zu verstehen, sondern wirft auch wichtige Fragen über die Natur von Intelligenz und Bewusstsein auf. Und genau darüber habe ich mit Mascha diskutiert – und dazu erzählt sie mir folgende Geschichte:
Vor der Küste Australiens haben die Yuins gemeinsam mit Orcas früher Wale gejagt.
Die Yuin sind ein Stamm der Aborigines an der Südküste von Australien. Man weiß nicht genau, wann die Yuins anfingen, die Schwertwale als Herdentiere zu benutzen. Aber nach der Ankunft europäischer Jäger, Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde die Zusammenarbeit mit den Tieren klar: Orcas strömten in Pods zusammen und fingen Bartenwale vor der Küste, so dass die australischen Siedler die Wale harpunieren konnten. Als Gegenleistung für ihre Hilfe teilten die Menschen die Zungen und Lippen mit den Orcas. Daher kommt das englische Sprichwort: „The law of the tongue„. (Das Gesetz der Zunge)
Vor einiger Zeit berichtet das National Geographic folgendes:
„Dass Orcas keine zimperlichen Jäger sind, ist bekannt – das hat ihnen auch den eher unschönen Namen Killerwale eingebracht. Dass sie jedoch so große Beute machen, ist neu: Erstmals seit Beginn der Erforschung der Tiere wurde erfasst, wie Orcas vor der Südwestküste Australiens Blauwale jagen. In einer Studie, die kürzlich im Marine Mammal Science Journal veröffentlicht wurde, beschreiben die Forscher diese drei Vorfälle zwischen 2019 und 2021. An der Jagd waren jeweils Gruppen von 50 bis zu 75 Schwertwalen (Orcinus orca) beteiligt.“
Wir wissen jetzt, dass Orcas ihren Nachkommen teilweise unglaublich clevere Jagdmethoden beibringen und das Wissen von einer Generation zur nächsten weitergeben. Daher müssen wir uns fragen: „Haben die Orcas vor der Küste Spaniens schlechte Erfahrungen mit Booten gemacht?“
Was glaubt Ihr?
Fotos: pixabay