Die Wahl zwischen Pest und Cholera
Letzten Sonntag waren Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Einige Journalisten nennen es die „Midterms Deutschlands“, denn sie zeigen die Stimmung in Deutschland nach der Hälfte der Regierungszeit der Ampelkoalition, andere nenne es die Wahl zwischen Pest und Cholera. Auf Landesebene hat sich für die Regierungsparteien in Hessen und Bayern zunächst nicht viel geändert, aber was bedeuten diese Wahlergebnisse für Deutschlands Regierung? Sonja hat sich umgehört.
Ich habe das Gefühl, dass derzeit niemand in Deutschland mit „der Politik“ zufrieden ist. Meine Nichten beschreiben die Landtagswahl als „eine Wahl zwischen Pest und Cholera“. „Wir sitzen auf den Problemen, die Merkels CDU-Regierung in ihren 12 Jahren Regierung verbockt hat“, erklärt mir meine Nichte Cara. „Von der Ampelkoalition hört man nicht viel. Sie kommunizieren wenig und schlecht“, meint die andere, namens Mascha. Die sich schon in unserer 2. ohfamoosen Unkonferenz darüber aufregt, dass unsere Politik viel zu langsam entscheidet.
Mich wundert es daher auch nicht, dass die AfD in Hessen und Bayern ihre besten Ergebnisse erzielt. Schon vor den Wahlen war das als Prophezeiung in meinem Umfeld zu hören. Wie kann das in einem sozialen, demokratischen Land wie Deutschland passieren?
Die Stärke oder Schwäche einer politischen Partei in Deutschland wird doch von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, oder?
Ich kann die Gründe, warum die AfD in Deutschland an Stärke gewonnen hat, relativ einfach benennen:
- Es herrscht Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, insbesondere bei Themen wie Einwanderungspolitik, Energiekrise und Heizungsgesetz.
- Die AfD hat sich seit der Flüchtlingskrise 2015 stark auf Einwanderung und Asylpolitik konzentriert. Dies hat ihr Unterstützung von Wählern verschafft, die Bedenken hinsichtlich der Aufnahme von Migranten geäußert haben.
- Die AfD versteht es Aufmerksamkeit zu erregen und ihre Botschaften effektiv zu kommunizieren.
- Hinzu kommt das, was meine Kollegin Elke dazu meint: Viele der Empörten erwarten von der extremen Protestpartei gar keine Lösung – sie wollen „nur“ protestieren. Sie denken (bewusst) nicht weiter, manche können es auch gar nicht und: Sie wollen „es denen da oben mal zeigen“.
Die ZEIT analysiert treffend, leider sei wahr, dass die AfD wahrscheinlich von der politischen Landkarte der Bundesrepublik so schnell nicht mehr verschwinden werde, „weil es in der Politik nicht mehr so wichtig ist, Probleme zu lösen. Das ist vielleicht die bitterste Erkenntnis des vergangenen Wochenendes“, so Zeit-Redakteur Mark Schieritz.
Kommunikation und Sichtbarkeit
Und hier beginnt das eigentliche Problem für die Bundesregierung. In Hessen und Bayern hat die AfD Zugewinne eingefahren und stellt wohl künftig die stärkste Oppositionspartei. Das bedeutet konkret: Sie bekommt in den beiden Bundesländern noch mehr Sichtbarkeit.
Der Oppositionspartei steht beispielsweise das Recht zu, im Landesparlament die erste Gegenrede zur Regierung zu halten, was der AfD jetzt eine prominentere Position in der Berichterstattung sichert. Außerdem übernimmt die größte Oppositionspartei in der Regel den Vorsitz für entscheidende Ausschüsse, aus denen ebenfalls medial berichtet wird.
Ich kann nur jedem empfehlen, sich kommunal zu engagieren, um einem weiteren Erstarken der AfD entgegenzuwirken.
Und ich hoffe, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine leise Art – öffentlich nur das Nötigste zu sagen und das Erklären den anderen zu überlassen – schnell ändert.
Aber zurück zu den Wahlergebnissen: Ist es nicht auch erstaunlich, dass die SPD in Hessen weder mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Kandidatin noch mit Problemlösungskompetenzen überzeugen konnte?
In der Analyse der Landtagswahl Hessen 2023 der Konrad Adenauer Stiftung lese ich folgendes: „2018 waren 70 Prozent der Hessinnen und Hessen der Ansicht, dass Hessen die vielen Flüchtlinge verkraften kann. Bei dieser Wahl glauben das noch 41 Prozent. Daher überrascht es nicht, dass 72 Prozent zustimmen, wenn gefragt wird „Wie sehen sie das? Brauchen wir grundsätzlich eine andere Asyl- und Flüchtlingspolitik, damit weniger Menschen zu uns kommen oder nicht“. Über 90 Prozent der Anhängerinnen und Anhänger von AfD, FDP und CDU stimmen hier zu. Doch auch innerhalb der Wählerschaften der SPD und der Grünen wird dieser Position zugestimmt. So begrüßen 56 Prozent in der Anhängerschaft der SPD weniger Zuwanderung und in der Anhängerschaft der Grünen sind es 47 Prozent (Infratest dimap)“.
Hat die Ampelregierung den Schuss nicht vorher gehört?
In der Woche vor den Landtagswahlen habe ich Nancy Faeser und anderen Experten zugehört, wie sie bei „Anne Will“ und „Markus Lanz“ zur neuen Flüchtlingskrise diskutieren. Die Schlussfolgerung: Es ist alles furchtbar kompliziert! Die Festlegung von Obergrenzen sei nicht möglich, da dies mit dem Asylrecht unvereinbar ist. Abschiebungen stoßen auf Hindernisse, da viele Länder die Rücknahme verweigern. Selbst die Rückführung in sogenannte sichere Herkunftsländer stellt keine Lösung dar, da die Grünen der Ansicht sind, dass diese als sicher eingestuften Herkunftsländer nicht sicher genug sind. Von Lösungen oder auch nur Lösungsansätzen war wenig zu hören.
Wahl zwischen Pest und Cholera
Die Wahlergebnisse in den beiden Bundesländern sind meines Erachtens definitiv Ausdruck der Unzufriedenheit der Bürger und Bürgerinnen mit der Bundesregierung. Doch die Bereitschaft zu einer realistischen Selbsteinschätzung scheint gerade bei der SPD kein Thema zu sein. „Die Ampel mache einen guten Job“, lässt der Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag ausrichten und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken erklärt bei „Anne Will“ am Wahlabend, sie zweifle daran, ob „die Migrationsthematik und die Migration als solche das Thema ist, das alle Menschen sehr bedrückt“. Hier ist also wenig Änderung zu erwarten und trotz der Stimmverluste sieht auch Grünen-Chef Nouripour keinen Anlass für einen inhaltlichen Kurswechsel.
Olaf Scholz schlägt dagegen den Deutschland-Pakt vor, mit dem Ziel: Deutschland schneller, moderner und sicherer zu gestalten. Das soll helfen? Nur wann und wie konkret?
Na, da bin ich mal gespannt – ich halte Euch auf dem Laufenden…
Wie es mit der politischen Kommunikation besser gehen könnte, das hat Elke schon vor einigen Jahren gefragt.
Fotos: Canva und Bundesregierung