Wenn Kevin Kühnert dazwischenkommt
Eigentlich wollte ich über meinen digitalen Detox schreiben – nachdem Sonja diesen doch bereits (unabgesprochen, dennoch überaus sympathisch) angekündigt hatte 🙂 Aber Kevin Kühnert kam dazwischen.
Nee, ich kenne Kevin nicht. Als er geboren wurde, war ich mitten im Studium – OMG. Demnach: Als ich in der Politik war, war er im Kindergarten. Seine Rhetorik, nicht sein Parteibuch, hat mich jedoch immer interessiert.
Und so lese ich in der gedruckten ZEIT, die ich immer mitnehme, wenn ich digital faste, dass Kevin zwar raus ist aus der aktuellen Politik, was ja bekannt ist; aber, dass er „noch immer an der Bar“ sitze. An der Politik-Bar sozusagen … und dort anderen zuschaue, „wie sie Drinks bestellen, berät sie bisweilen bei der Getränkeauswahl“.
Elke in der Bar eines Kölner Kinos
Mir gefällt dieses Bild, das ZEIT-Redakteurin Caterina Lobenstein gezeichnet hat (so wie ich den gesamten, einfühlsam geschriebenen Artikel empfehle!). Denn als Pressesprecherin des damaligen Generalsekretärs Peter Hintze, der viel zu früh verstorben ist (hier mein Porträt über ihn), kenne ich den Politikbetrieb früherer Tage gut, habe oft genug in diversen Bars gesessen und mit Journalisten über Politik gesprochen.
Der RIESENGROSSE Unterschied und dies ist wirklich entscheidend: Damals gab es noch kein social media. Irgendwann Handys, ja. Aber Insta, TikTok, X? Ich würde auch sagen, mein damaliger Chef wäre darüber verrückt geworden. So wie ja viele, die gern ernsthaft diskutieren, mit „sozialen“ Medien nichts, aber auch gar nichts anzufangen wissen. Solchen Menschen würde ich außerdem nie empfehlen, „damit“ anzufangen, denn welches soziale Medium sie aussuchten:
Wer es wirklich nutzen will, gerät früher oder später in die Abhängigkeit.
Womit wir beim Detox sind 🙂
Vor 10 Jahren habe ich zum 1. Mal diesen Detox gemacht und mein Handy komplett ausgeschaltet. Mein Tagebuch darüber lese ich immer noch gern. Wie war es jetzt, 2025, in Kroatien? Das werde ich häufiger gefragt, seit ich zurück bin. Und als erstes gestehe ich:

So ganz abgeschaltet wie 2015 habe ich dieses Mal nicht – und zwar deshalb, weil ich im Vorfeld bewusst entschieden hatte: Zwei WhatsApp-Gruppen nutze ich weiter, nicht extensiv, aber ich möchte sowohl für unsere kleine „Reisegruppe“ (die begleitende Familie) als auch für Paul und meine Familie erreichbar bleiben. Die Familie Tonscheidt pflegt einen intensiven Austausch über ihre Handys 🙂
Und ich musste ein paar Mal die Navigation bemühen sowie einmal ein Hotel buchen. Ansonsten aber war: Nix. Oder? Ups, nein, leider ist das falsch, wie ich beim Schreiben bemerke, denn ich habe mein Handy doch 2x für Ostergrüße außerhalb der Familie genutzt und einmal auf ohfamoos gelinst – wo mich dann Sonja mit ihrem liebenswerten Artikel über meinen Detox erwischte … ich bin einfach zu neugierig, ich weiß.
Es ist angenehm, sich Nachrichten erzählen zu lassen!
Die Antwort ist: Sooo gut. Ich habe definitiv mehr gesehen, tiefer erlebt und so gut wie nichts verpasst. Was daran liegt, dass die anderen vier ihre Handys aber auch intensiv nutzten 🙂 So berichtet mir mein Sohn Ostermontag, dass der Papst gestorben sei. Auf meine Frage, woher er das wisse, kommt: „Von Stefano.“ Sein deutsch-italienischer Freund habe das, natürlich digital, mitgeteilt. Und auch unsere Mitreisenden beschäftigen sich schon bald mit diesem Thema.
Und als mich mein bester Freund nach meinem Urlaub fragt, welche Rückschlüsse ich nach dem Detox ziehe, antworte ich: Ich war erstaunt, so wenig zu vermissen. Keine der über 500 Emails, die in meinem Postfach schlummerten, habe ich wirklich verpasst. Gut, die Osterzeit ist natürlich eine ruhige. Aber es freut mich immer, wenn sich Dinge erledigen, ohne dass ich etwas beitragen muss 🙂
Und Facebook habe ich null,null vermisst. Es vergeht fast eine ganze Woche, bis ich dieses Netzwerk überhaupt wieder öffne. Ich habe mich sogar gefragt, ob ich es wieder beginne … es ist aber beruflich gut brauchbar, weshalb ich da nicht auszusteige, entscheide ich für’s Erste.
Gut vernetzt ist eben die halbe Miete.
Anders LinkedIn: Ich würde zwar nicht sagen, dass ich es vermisst habe. Dennoch ist der Faktor, über diese Plattform gute Interna zu bekommen (und das oft frühzeitiger als woanders), groß. Dass z.B. Stefan Kornelius Regierungssprecher wird – ich kenne ihn aus Bonner Studententagen –, „erzählt“ mir Axel Wallrabenstein, einer der konservativen Politik-Influencer, als Erster, noch bevor es andere Medien wissen. Außerdem gebe ich LinkedIn-Schulungen, natürlich bleibe ich in diesem Netzwerk!
Nochmal zurück zu Kevin Kühnert. Er hat der ZEIT erzählt, wie groß seine Verzweiflung über die Politik bzw. die Gesellschaft am Ende war. So sei seine Freude an der Politik irgendwann in Verzweiflung gekippt, Zitat:
„Was nützt es, in mühsamen Diskussionen einzelne Wähler zu überzeugen, wenn es den Verächtern des Systems gelingt, mit einem einzigen TikTok-Video ein ganzes Heer von Wählern aufzuwiegeln?“ (Kevin Kühnert)

Ich weiß, man glorifiziert alte Zeiten gern. Aber in diesem Fall ist es so: Die Handys haben die Kommunikation echt radikal verändert.
Die Frage von Kühnert ist sehr berechtigt. Und genau das gab es zu meiner Pressesprecherinnen-Zeit eben nicht. Da haben wir mit Journalisten noch GESPROCHEN! Am Telefon oder im Restaurant. So richtig old-school 🙂 Wir haben eine Zigarette zusammen geraucht (oder 2), auf Hochzeiten getanzt und auch auf politischen Festen wurde gequatscht und nicht doof aufs Handy geglotzt.
Bestimmt. Es ist ein Gefühl von Befreiung, es intensiviert das Leben. Ich bin als Frühaufsteherin bekannt – wie schön ist es, morgens am Strand nur mit sich selbst zu spazieren, ohne auf so ein Ding zu gucken?! Denn seien wir ehrlich, irgendein Grund ergibt sich ja immer, drauf zu schauen: Das Wetter, die Suche nach einem Restaurant oder die Frage, ob nicht doch „die Soundso“ geantwortet hat oder „der Soundso“ eine Info geschickt hat – die man in der Regel auch super nach dem Urlaub lesen kann.
PS: Einwände, dass Spitzenmanager, Spitzenpolitiker oder andere wichtige Menschen sich einen Detox nicht leisten können, lehne ich ab! Es kommt „nur“ darauf an, richtig zu delegieren. Und im Ernstfall kann ein Anruf ja notwendige Aufklärung herstellen. Das ganze Getippe und Gestarre braucht kein Mensch! 🙂
PSS: Während ich diesen Artikel schrieb, wurde Friedrich Merz zum Kanzler gewählt, bekanntlich im 2. Wahlgang. Und ich denke: Wie hätte ich diesen so spannenden Krimi wohl ohne soziale Medien erlebt? Nur am Fernsehen? Ich bin unsicher …
Fotos: privat, u.a. Yvonne Hayward, Titelbild Kevin Kühnert: Laurence Chaperon
