Lieber Friedrich Merz, wo ist IHR Mut?
Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern? Sie hatten sich, lieber Friedrich Merz, in den 90er Jahren dafür interessiert, mich in Ihr Team zu holen. Damals habe ich, nachdem ich fast sechs Jahre für Peter Hintze habe arbeiten dürfen und dann Sprecherin der Konrad-Adenauer-Stiftung war, abgelehnt. Ich wollte und habe in München ein Start-Up gegründet.
Die CDU verfolge ich seitdem aus der Ferne. Jetzt war ich in Leipzig auf dem Bundesparteitag und habe viel Stimmung getankt. Es tat gut und war spannend, mit altvertrauten Delegierten zu sprechen. Und natürlich habe ich erneut mit großer Offenheit das Werk „der Medien“ beobachtet. Ich bin da immer wieder hin- und hergerissen. Einerseits bewundere ich die Journalisten, die sich nicht korrumpieren lassen und sich gut informieren. Andererseits sind da so viele Heckenschützen unterwegs, sitzt auch in diesen Reihen so viel Eitelkeit und die Untugend, im Zweifel Alles besser zu wissen.
Ihre Rede war prägnant, aber wo ist Ihr Mut?
Sie, lieber Herr Merz, haben eine prägnante Rede gehalten. Ich konnte sie nicht live sehen, habe sie jedoch im Zug via CDU-TV mitverfolgt und seitdem noch zweimal angeschaut. Ich erkenne Sie wieder, Sie sind rhetorisch gut aufgestellt, schlau, Sie können mitreißen. In meinem Freundeskreis sind einige, die Sie sofort wählen würden. Männer, die gern Tacheles reden. So wie Sie.
Ich musste und wollte Freitag zurück nach Köln, weil die Klasse unseres Sohns die vorgezogene Weihnachtsfeier hatte. Dort habe ich – was für ein Kontrastprogramm – zusammen mit einer befreundeten Mutter eine Weihnachtsgeschichte von Astrid Lindgren gelesen: „Gute Nacht, Herr Landstreicher“, heißt sie. Darin geht es darum, dass ein Landstreicher eine Gruppe von Kindern verzaubert – mit seinen ehrlichen Worten, seinem empathischen Wesen, seiner Kreativität. „IST DAS MÖGLICH?“, rufen die Kinder mehrfach voller Erstaunen, dass so ein Typ, vor dem die Mutter warnt, so viel Haltung zeigt.
Heute möchte ich Sie fragen: IST DAS MÖGLICH? Wo sind die Talente, die sich in der CDU engagieren könnten, ja müssten? Denn die Noch-Volkspartei CDU hat alle Talente nötig. Sie muss versuchen, jede Frau und jeden Mann, die für sie eintreten wollen, an sich zu binden. Denn wer will heute noch Verantwortung übernehmen? Gerade Quereinsteiger, oft als Fremdlinge empfunden, sind häufig die, die einen Prozess weiterentwickeln.
Sie sind kein Fremdling, aber Sie fremdeln…
Sie sind seit 1972 in der CDU, also ganz und gar kein Fremdling. Im Europäischen Parlament waren Sie genauso wie im Bundestag. Seit diesem Jahr sind Sie im Wirtschaftsrat der CDU führend tätig, daneben wurde Ihr Job in der Wirtschaft immer wieder an die große Medienglocke gehängt – ob zu Recht oder nicht, spielt hier keine Rolle. Was ich jedoch befremdlicher finde: Sie wirken trotz ihrer diversen Parteiaktivitäten immer wieder als einer, der fremdelt. Warum?
Ich fände es großartig, wenn Sie das umsetzten, was Sie schon nach Ihrer Rede auf dem Hamburger Parteitag, an dem AKK an Ihnen vorbeizog, ankündigten: Sich wieder verstärkt in die Parteiarbeit einzubringen, sich einbinden zu lassen. Ist das – wirklich – erfolgt? Ich meine nein, oder übersehe ich etwas? Mein Eindruck ist: Die Arbeit in der freien Wirtschaft ist Ihnen wichtiger.
Und doch appellierten Sie nun in Leipzig wieder: Sie würden mitmachen, wenn das gewünscht wäre. WIE IST DAS MÖGLICH, dass das nicht funktioniert? So viele in der Partei wollen Ihren Rat, loben Ihre Eloquenz, beklatschen Sie. Wo klemmt es, bitte schön? Was steht im Weg, dass Sie nun endlich – wirklich – mitmischen?
Und ich frage Sie auch: Warum werfen Sie der SPD vor, „strukturell illoyal“ zu sein?
Ja, klar: Klappern gegen den Konkurrenten gehört zum politischen Geschäft, das ist mir klar. Und natürlich kann man von der ehemals großen linken Volkspartei halten, was man will. Ich kenne jedenfalls einige Sozialdemokraten, auf die Ihr Vorwurf in keiner Weise zutrifft! Und, ja, ich weiß, Sie meinen nicht alle Sozialdemokraten, sondern haben die Partei an sich adressiert. Aber ist diese Partei nicht in Regierungsverantwortung mit Ihrer Partei? Und die CDU lässt sich mit einer strukturell illoyalen Partei ein? Das wäre tatsächlich „grottenschlecht“ wie unehrlich.
Lieber Herr Merz, als Sie sich 2018 zurückgemeldet haben auf der politischen Bühne, da habe ich gejubelt. Klasse, der Mann ist zurück. Eine befreundete WDR-Journalistin wunderte sich damals sehr, fragte besorgt und kämpferisch, was denn mit mir los sei. Ich kann Ihnen das erklären: Nicht nur ich habe Sie als Mann in Erinnerung, der klar auf einen Bierdeckel schreiben wollte, was in einer immer komplexer werdenden Welt kein Mensch mehr begreift. Das fand ich enorm.
Aber haben Sie in den letzten Monaten keinen solchen gefunden, um Ihre Programmatik endlich mal aufzuschreiben? Mir reicht es nicht, dass Sie, wie jetzt auch wieder am Ende Ihrer Leipzig-Ansprache, anbieten mitzuarbeiten und wir da draußen davon dann nichts mitbekommen. Wo, bitte, ist Ihre Handschrift nachzulesen? Oder wo, bitte, werden Sie das jetzt tun?
Wann, bitte, krempelt nicht nur die „liebe Annegret“ ihre Ärmeln hoch, wann legen SIE los?
Ich halte es für dringend nötig, dass die CDU eine neue Vision entwickelt. So wie ich mir das übrigens von allen demokratisch legitimierten Parteien wünsche. Am liebsten wäre mir, die Parteien täten das g e m e i n s a m . Die Herausforderungen sind doch wahrlich groß genug. Aber ich weiß, das klingt naiv und vielleicht ist es auch besser so, Alternativen zu haben. Und deshalb hätte mich auch Ihre Alternative so interessiert!
- Wie genau stellen Sie sich die moderne CDU vor?
- Was wären Sie bereit für diese Partei aufzugeben? Zum Beispiel Ihren Job? Um sich voll und ganz in die Mühlen der Partei zu stürzen?
- Wen wären Sie bereit in Ihr Team zu holen? Gewissenhafte Frauen, talentierte Männer, jung und alt, arm und reich?
- Wann beweisen Sie den Mut, den Sie mit Recht einfordern, um Deutschland wieder nach vorne zu bringen?
Mir ist das, was ich in Ihren Worten in Leipzig lese, viel zu nebulös. Ich komme nicht umhin, erneut mit Astrid Lindgren zu fragen: IST DAS MÖGLICH? Ist das möglich, dass ein so schlauer Mann wie Sie immer wieder wirkt, als fände er das Gaspedal nicht? Wann, frage ich Sie, treten Sie los und machen?
Die Frage, wer die CDU als Kanzlerkandidat/in in die nächste Bundestagswahl führt, bleibt im November 2019 offen. Ich finde das nicht dramatisch, denn diese Partei hat Vieles nötig. Mit einigen guten Freunden denken auch wir laufend darüber nach, was die CDU braucht, um wieder mehr Vertrauen bei den Menschen zu gewinnen. Wir haben und wollen keine Parteiämter, aber wir sind gerne bereit an einer neuen Vision für Deutschland mitzuarbeiten und haben das bereits parteiintern angeboten. Eine neue Vision zu entwickeln, braucht viel Mut. Und Zumutung. Beides haben Sie ja auch angesprochen. Deshalb bitte nochmals:
Wann beweisen Sie den Mut und auch die Haltung, Ihrer Partei ehrlich zu sagen, was Sie für unser Land wollen und für den Zusammenhalt in unserem Land und in der CDU tun würden?
Diesen Mut wünsche ich Ihnen und uns und würde mich sehr freuen, eines Tages sagen zu dürfen: Wow! D A S ist also möglich!
Beste Grüße aus dem Rheinland, Elke Tonscheidt
Wer die Rede von Friedrich Merz in Leipzig anschauen/hören möchte:
Wie der Berliner Tagesspiegel die CDU nach Leipzig beurteilt.
Wie die Zeit 2018 Friedrich Merz einschätzt.
Fotos: Via CDU, Pixabay und privat