Was wird aus dem nächsten Schuljahr?
Eltern sind deutschlandweit alarmiert. Ministerien und Lehrer*innen stehen unter Druck. Mit einer Petition fordern Eltern aus Nordrhein-Westfalen einen „Masterplan Beschulungskonzept NRW“ ein. Die Landeselternschaft (LE) der Gymnasien NRW – der mitgliederstärkste Elternverband in Deutschland – unterstützt die Petition. Die LE vertritt über 70 % der gymnasialen Schulpflegschaften in Nordrhein-Westfalen und legt noch eins drauf mit folgender Warnung: Selbst als best case-Szenario gebe es auch nach den Sommerferien keinen Regelunterricht wie zuvor. Wie aber soll es weiter gehen? Gibt es trotz Digitalpakt nicht genug Mittel? Wie gut kann Politik in einer Pandemie informieren und wie flexibel zeigt sich die Lehrerschaft?
Wir haben mit Kerstin Dropmann gesprochen – sie hat die Petition gestartet und ist Schulpflegschaftsvorsitzende des Gymnasiums Dionysianum in Rheine. Und mit Teresa De Bellis, die im Rat der Stadt Köln sitzt und sich in der Schulpolitik gut auskennt. Beide Frauen haben Kinder, die Gymnasien besuchen.
Frau Dropmann, mit Ihrer Petition fordern Sie den Landtag NRW auf, beim Ministerium für Schule und Bildung (MSB) darauf hinzuwirken, dass das MSB kurzfristig einen Masterplan Schulöffnung für das Schuljahr 2020/21 zur Beratung und Beteiligung vorlegt. Wie weit ist man hier drei Monate nach Schulschließung?
Kerstin Dropmann: Da gibt es leider nicht viel zu sagen, es gibt bis heute keinen Masterplan wie es im nächsten Schuljahr weiter gehen soll. Wir Eltern werden mit Plattitüden, wie, nach den Sommerferien geht es mit dem Regelunterricht weiter, beruhigt. Mehr Informationen liegen nicht vor.
Frau De Bellis, haben Sie andere Erkenntnisse und wenn ja, warum werden diese offenbar unzureichend kommuniziert?
Teresa De Bellis: Ich weiß, dass im Hintergrund an einem Masterplan gearbeitet wird. Ein solcher kann jetzt, wir sind immer noch in einer Pandemie, noch nicht veröffentlicht sein oder werden. Wir sind zwei Wochen vor den Sommerferien. Wir müssen jetzt die Erkenntnisse abwarten, wie es sich bis zu den Ferien und in den Ferien entwickelt. Dass man das hätte besser kommunizieren können, das glaube ich auch, aber der Knackpunkt ist für mich: Es ist leider – wie in vielen anderen Bereichen auch – abhängig von der Schulleitung, wie vor Ort agiert wird. Mittel und Unterstützungsleistungen, insbesondere jetzt in Hinblick auf die Digitalisierung, sind beschlossen und werden ausreichend zur Verfügung gestellt.
Auch mein Eindruck ist, dass es erheblich darauf ankommt, mit welcher Motivation und digitaler Kenntnis Schulen selbst in der Krise agieren. Manche Schulleitungen gehen deutlich besser mit der Herausforderung Digitalisierung um als andere.
Teresa De Bellis: Ein paar Fakten zum Verständnis: Der Bund stellt 500 Millionen € zusätzlich für digitale Endgeräte zur Verfügung, bislang durch den Digitalpakt (5 Milliarden €) nur 25.000 € pro Schule, jetzt wurde noch einmal „draufgesattelt“. Momentan läuft, um ein kommunales Beispiel zu nennen, im Rat der Stadt Köln ein Prüfantrag, um eine auskömmliche Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten zu beschließen. Dies würde bei der Ausstattung aller 140.000 Schülerinnen und Schülern in Köln rund 52 Mio € kosten. Hinzu kämen noch Kosten für Support und die Schaffung der technischen Voraussetzungen. Dies setzt aber auch voraus, dass die Schülerinnen und Schüler zu Hause über einen Internetanschluss verfügen. Die Prüfung wird noch im Sommer, vor Schuljahresbeginn, abgeschlossen sein, damit es zu einer zügigen Umsetzung kommt!
Dennoch, was muss jetzt geschehen, Frau Dropmann?
Kerstin Dropmann: Es müssen einheitliche Standards geschaffen werden und vom Schulministerium auch an die Schulen gegeben werden, d.h. die Schulen müssen mit einer einheitlichen Technik ausgestattet werden. Schüler*innen und auch Lehrern müssen die gleichen Geräte zur Verfügung gestellt werden, ohne dass die Lernmittelfreiheit über Bord geworfen wird. Es kann nicht sein, dass nun Schüler*innen und deren Eltern sich um die Geräte kümmern müssen. Jeder weiß, wie schlecht es für eine IT-Infrastruktur es ist, wenn unterschiedliche Geräte mit unterschiedlichen Standards in einem Netzwerk zusammen eingebunden sind. Den Schulen muss es möglich sein, jetzt schon digitale Bücher/Software zu bestellen. Das alles bedeutet für den Schulträger und auch fürs Ministerium, welche für die Lehrerausstattung zuständig sind, einen nicht unerheblichen finanziellen Aufwand. Viele Bundesländer sind hier erheblich weiter.
Warum können private Schulen seit März online unterrichten, während andere Schulen wie der Ochs vorm Berg zu stehen scheinen und welche Folgen hat das?
Kerstin Dropmann: Hier sind die Auswirkungen noch viel schlimmer, wieder gibt es keine einheitliche Bildung der Kinder. Natürlich ist das Defizit an Schulen ohne technische Ausstattung viel höher als an Schulen, die bereits technisch ausgestattet sind. Diesen Schüler*innen war es zumindest möglich, weiter unterrichtet zu werden und nicht nur eine Zettelwirtschaft am Anfang der Woche zu erhalten, um dann alleine die Lösungen, die am Ende der Woche zugesandt wurden (im besten Fall), zu kontrollieren.
Die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW hat die Schulleiter der Gymnasien in einer Umfrage aktuell befragt, was sie für das nächste Schuljahr brauchen und wo es hakt. Laut Presseinfo heißt es: Die Schulen seien „für das kommende Schuljahr weder mit ausreichend Personal noch mit der erforderlichen Hardware ausgestattet“ und hinsichtlich erforderlicher Räumlichkeiten und Lernplattformen hätten die Schulen „Teilerfolge erzielt, aber ein signifikanter Anteil ist nach zehn Wochen Corona immer noch in einer Orientierungsphase“. Ein schlechter Scherz, oder?
Kerstin Dropmann: Was meinen Sie, warum wir diese Petition ins Leben gerufen haben? Bereits seit Ostern ist uns klar, dass es hier eklatante Missstände gibt. Ohne klare, zentrale Regelungen des Schulministeriums ist es für die Schulen schwierig vor Ort die Anforderungen umzusetzen. Die Pläne des MSB bilden die Grundlage für so viele Punkte, wie z.B. Einstellen von neuen Lehrkräften, technischer Ausstattung an Schulen, rechtliche Absicherung des Online-Unterrichts, etc.
Teresa De Bellis: Auch hier noch mal ein paar Fakten, die ich fatal finde: In NRW haben 30 % der Lehrer*innen erklärt, sie gehören zur Risikogruppe. Das gibt es in keiner Berufsgruppe! Ich habe großes Verständnis, wenn man krank ist, keine Frage. Aber was nicht geht, ist, bei vollen Bezügen Videounterricht zu verweigern, wenn man beispielsweise über 60 Jahre alt ist. Wie unglücklich das läuft, sollte nicht vergessen werden. Das regt mich total auf. Ich erwarte auch von Lehrern Flexibilität in der Krise. Viele machen das ja auch vorbildlich, es gibt diverse Schulen, die ich in Köln und Umkreis kenne: Die sind längst im Online-Unterricht, da läuft es. Dafür brauchen Schulleitungen die Rückendeckung von ihrem Schulträger, zum Beispiel den Kommunen – wenn es diese gibt, geht’s.
Warum kann es selbst als best-case-Szenario auch nach den Sommerferien keinen Regelunterricht geben? Oder wird hier schwarz gemalt, um den Druck zu erhöhen?
Kerstin Dropmann: Wenn Regelunterricht bedeutet, dass Unterricht so erteilt wird wie noch im Januar, dann hat das Schulministerium durch seine Corona-Starre dafür gesorgt, dass die Vorbereitungszeit fehlt. Es fehlen Lehrer, Stundenpläne, Raumkonzepte, digitale Hilfsmittel. Keiner weiß, was nach dem Sommer noch in Bezug auf das Corona Virus passieren wird. Aber die Schulen sollten auf alle Fälle darauf vorbereitet sein, dass es unter Umständen wieder zu einem Lockdown kommt. Selbst wenn im besten Fall nur eine Klasse in Quarantäne muss, sollte es Pläne geben, wie mit dem damit einhergehenden Unterrichtsausfall umgegangen wird. Oder wie der Unterricht dann online durchgeführt werden kann.
Warum können Schulen das nicht aus eigener Kraft stemmen?
Teresa De Bellis: Können sie doch! Die Ausstattung mit digitalen Medien ist in den vergangenen Jahren bereits in großem Rahmen erfolgt. Sie wurde und wird über das Programm „Gute Schule 2020“ weiter vorangetrieben und die Mittel des Digitalpakts NRW werden den Prozess fortsetzen. Die Verwaltung ist dabei einen Medienentwicklungsplan zu entwickeln sowie die Einrichtung eines Medienzentrums voranzutreiben. Es ist und bleibt jedoch von der Schulleitung abhängig bzw. dass die Lehrer*innen auch weiter unterrichten und sich nicht zurückziehen. Hier erwarte ich, dass man eine bestimmte Elastizität und auch mehr Mut aufbringt – so wie viele andere Berufsgruppen in Deutschland es auch getan haben. Wir können doch jetzt nicht allen Ernstes an den Schulen auf den Masterplan warten. Wie gesagt, der ist in Erarbeitung – aber in der Zwischenzeit muss gearbeitet werden.
Kerstin Dropmann: Schulleitungen können die Informationen weitergeben, die sie vom MSB erhalten haben. Eine Umfrage der Landeselternschaft der Gymnasien NRW hat ergeben, dass 80% der Schulleitungen, die an der Befragung teilgenommen haben, sich vom Dienstherrn im Stich gelassen fühlen und bemängeln die unbefriedigende Kommunikation mit dem Ministerium. Informationen erhalten die Schulleitungen teils aus der Presse, bevor das MSB an die Schulen die Informationen heraus gibt. Es gab Situationen, da haben die Schulen die Informationen freitags erhalten und sollten diese bis Montag umsetzen. Als oberste Landesbehörde hat das MSB den Datenschutz sicherzustellen, bisher gibt es aber keinerlei Aussage dazu, welche Softwareprodukte datenschutzrechtlich zulässig sind. Das nenne ich keine ausreichende Unterstützungsleistung. Auch das Ausarbeiten eines Masterplans im stillen Kämmerlein macht keinen guten Eindruck, erwartet das MSB wirklich, dass die Eltern geduldig bis nach den Ferien auf ein Konzept warten? Eltern sind auch Arbeitskräfte/Arbeitgeber, da muss Planungssicherheit herrschen und das nicht kurz vor oder nach dem Beginn des nächsten Schuljahres, sondern jetzt!
Teresa De Bellis: Ich glaube, dass viele Informationen leider gar nicht alle erreichen und man auch deshalb Beschlüsse nicht nachvollziehen kann. Ja, es könnte besser laufen, aber es kann auch schlechter laufen, wie beispielsweise in Frankreich, Italien oder Spanien… Ich erinnere immer wieder daran: Wir sind in einer Pandemie und in einer völlig neuen Situation.
Vielen Dank für Ihre Informationen!
Wissenswertes:
Momentan läuft dieser Schulhackathon #wirfürschule, eine Art deutschlandweite digitale Arbeitsgruppe zum Thema Schule.
Hier geht es zur Seite der Landeselternschaft der Gymnasien in Nordrhein-Westfalen e.V.
Elke hat kürzlich auch diese Schulleiterin einer Kölner Grundschule interviewt.
Fotos: via Unsplash, Pixapay und Nohrfotografie