Als wäre alles nur ein böser Traum
Auch wenn Bund und Länder nun vorsichtige, schrittweise Lockerungen der strikten Eindämmungsmaßnahmen gegen die Coronavirus-Epidemie zulassen – die Realität fühlt sich für viele surreal an. So wie für Gastautorin Sabrina Juschka, der trotz Frühlingswärme oft der Atem stockt.
Die Sonne scheint mir ins Gesicht und lockt meine Sommersprossen aus ihrem Winterschlaf. Ich höre die Nachbarskinder im Garten spielen und der Geruch vom gegrilltem Fleisch steigt mir in die Nase. Mir läuft unwillkürlich das Wasser im Mund zusammen.
Mit geschlossenen Augen nehme ich den Frühling in mir auf. Ich atme tief durch und fühle mich gut. Doch dann ist da dieses Wort, dass mich wie ein Sog mit sich zieht, hinein in die Realität, die sich noch nie so surreal angefühlt hat wie jetzt. Als wäre alles nur ein böser Traum. Ich öffne meine Augen, das Sonnenlicht ist im ersten Moment zu hell. Doch dann wird meine Umgebung wieder schärfer. Es sieht alles so friedlich aus, trotz Corona.
Ich muss an Harry Potter denken und an den Namen, der nicht genannt werden darf „Lord Voldemort“. Ich habe beim Lesen oft gedacht, welch ein Irrsinn es doch ist, einen Namen nicht auszusprechen. Was soll denn schon passieren.
Doch jetzt habe ich das Gefühl es zu verstehen. Denn gerade gibt es für mich Begriffe, die ich am liebsten aus meinem Gedächtnis wie auch Leben streichen möchte. Ich glaube, in den Büchern ging es nicht um den Namen an sich, sondern welch‘ unglückselige Geschichte damit verknüpft ist und welche Gefühle damit einhergehen.
So verhält es sich auch in der Wirklichkeit. Ich höre und sehe die Namen Corona und COVID-19 überall, sie bestimmen unseren Alltag und ich mag sie mittlerweile weder hören noch sehen. Denn sie lösen in mir Zwiespalt und Ängste aus, die mir manchmal fast den Boden unter den Füßen wegziehen.
Dennoch ist es mir nicht möglich, mich dem Thema zu enthalten, so sehr ich es auch möchte. Tatsächlich steht mir viel mehr der Sinn danach, die Worte, wie in den Harry Potter-Büchern, zu verbieten. Zeigen sie mir doch, wie verletzlich ich bin.
Der Vergleich David gegen Goliath keimt in mir auf. Was, wenn Goliath sinnbildlich für uns Menschen steht und der Corona Virus David und seine Steinschleuder verkörpert?
Goliath, der am oberen Ende der Nahrungskette steht, der Tonnen von Metall in die Lüfte emporsteigen lassen kann, Tiere klont und Bauwerke erschafft, die bis über die Wolken ragen und dem es sogar möglich ist, Krankheiten zu heilen. Der, der sich aber gleichwohl über die Naturgesetzte hinwegsetzt, Tierarten ausrottet und Weltmeere in Kloaken verwandelt.
Wie kann das sein, dass ein mikrobisch kleiner Virus die ganze Welt erschüttert und fast zum Erliegen bringt?
David schleudert seinen Stein und Goliath stürzt zu Boden.
Mir stockt der Atem. Die Frühlingswärme, ich fühle sie auf meiner Haut; trotzdem fröstle ich. Ich fühle mich hilflos.
Als Kind gibt es in der Regel Eltern, die den Kleinen sagen, dass alles wieder gut wird und damit Sorgen nehmen. Doch als Erwachsener, auf wen verlässt man sich da? Wer sagt mir jetzt, dass alles wieder gut wird? Jetzt, wo ein Virus vielen von uns das Fürchten lehrt?
Ich würde gerne die Politiker*innen für meine Machtlosigkeit zur Verantwortung ziehen. Doch ich vermute, ihnen geht es ähnlich wie mir, stehen sie doch genauso wie ich vor einem in diesem Ausmaß noch nie da gewesenem Problem. Nichtsdestotrotz will ich, dass sie es in den Griff bekommen, damit meine Lieben und ich wieder beruhigt schlafen können.
Ich will, dass sie mir sagen, dass alles wieder gut wird und mich nicht länger vertrösten.
Doch ich merke, dass nicht nur ich hin und her gerissen bin. Täglich, wenn nicht stündlich, gibt es neue Informationen, Wiedersprüche stapeln sich und manch‘ ein Machthaber versucht, der Gefahr mit selbstgefälliger Ignoranz zu trotzen. Keiner kennt scheinbar den wirklich korrekten Weg aus der Krise. Und so gibt es viele Theorien, Ansätze, Möglichkeiten – und doch kaum eine richtige Einheit, einen gemeinsamen Weg. Dabei sitzen wir doch alle im gleichen Boot.
Dadurch schwindet so langsam meine anfängliche Euphorie, die mich zu Beginn mitgerissen hat, dass wir es gemeinsam schaffen. Zu groß werden meine Zweifel, ob die Menschen wirklich bereit sind aus ihren Fehlern zu lernen.
Was, wenn die Coronakrise vorbei ist?
Wenn sich womöglich zeigt: Mit dem derzeitigen Gesundheitssystem schaffen wir es doch relativ gut durch die Krise. Werden Politiker ihre Versprechen dann noch in die Tat umsetzen und Pflegepersonal aufstocken, Gehälter erhöhen und Pflegeberufe attraktiver gestalten?
„Wir schaffen das, bleibt zuhause!“ Ein Slogan, dem ich mittlerweile nur noch gemischte Gefühle entgegenbringen kann. Wird dieser doch von Menschen in die Welt getragen, die sich prominent nennen und denen es, zumindest augenscheinlich, gut geht.
Auch ich fühle mich in gewisser Weise privilegiert. Denn für meine kleine Familie und mich, die wir in Moment nicht am Hungertuch nagen, ein Dach über den Kopf haben und uns respektvoll begegnen, ist das Zuhausebleiben erträglich. Doch wenn ich lese, wie Mitarbeiter*innen von Zufluchtsstätten um ihre Schutzbefohlenen bangen, die in schwierigen Lebensverhältnissen verkehren, dann wird mir sehr mulmig zumute. Zwar fällt es mir jetzt nicht schwer, dem Zuhausebleiben Folge zu leisten; doch es gab eine Zeit in meinem Leben, da wäre es für mich die Höchststrafe gewesen, die eigenen vier Wände nicht verlassen zu dürfen.
Mein Eindruck ist: Die Corona-Krise zeigt die Stärken wie auch Schwächen der in der Welt herrschenden Systeme gnadenlos auf. Sie verdeutlicht, wo wir als Gemeinschaft zusammenwachsen und wo wir noch sehr viel Nachholbedarf haben. Wir klatschen in die Hände, malen Regenbögen und es gibt viele, die ihre Angebote über soziale Medien kostenlos anbieten. Konzerte finden plötzlich in Wohnzimmern vor dem Laptop statt und Museen öffnen ihre virtuellen Pforten.
Verkannte Berufe stehen plötzlich im Mittelpunkt und obwohl sie schon immer systemrelevant waren, erhalten sie erst jetzt in der Krise den Respekt, der ihnen immer schon zugestanden hat.
Ich sitze im Garten, höre lachende Menschen, summende Bienen und Essgeschirr klappern, während mir eine warme Brise zart über den Arm streicht. Der Grillgeruch kommt mittlerweile aus einem anderen Garten, duftet aber nicht minder appetitlich. Alles wirkt weiterhin friedlich und doch quillt mein Kopf über vor Fragen, Sorgen und Gedanken. Wie wird es wohl sein, die Zeit nach Corona? Wird sich dann grundlegend etwas zum Positiven ändern? Oder verfallen die Menschen alle wieder in ihrem gewohnten Trott?
Ich habe gelesen, dass es mindestens drei Wochen braucht, bis der Kopf sich nachhaltig auf eine Veränderung einlassen kann. Besteht da also vielleicht Hoffnung, einen Silberstreifen am Horizont?
Meinem Glauben verdanke ich die innere Einstellung, das Alles seinen Sinn hat – auch wenn er sich mir nicht sofort zeigt. Dementsprechend hoffe und bete ich, dass wir gestärkt aus dem Ganzen raus gehen und dass die guten Vorsätze nicht wie Seifenblasen zerplatzen. Niemals darf in Vergessenheit geraten, wie wichtig ein jeder ist, in seinem Sein, in seiner Tätigkeit und dass unabhängig vom Beruf ausnahmslos jeder Mensch „systemrelevant“ ist. Ich hoffe, dass dieses Bewusstsein im hoffentlich bald wieder normalen Leben integriert wird.
In Moment bin ich einfach dankbar für jeden Tag an dem meine Familie und ich gesund sind und gemeinsam Zeit verbringen können. Dieses Privileg war mir selten so bewusst wie im Hier und Jetzt.
Sabrina Juschka lebt mit ihrem Mann und beiden Söhnen in Pulheim. Ganz nach ihrem Credo „Schreiben ist viel mehr, als nur das Aneinanderreihen von Wörtern. Schreiben ist ein Weg zu mir selbst, aus mir raus und zu anderen hin.“ fängt sie ihre Sicht auf das Leben und dessen Facettenreichtum gerne in Texte ein.
Um ihre Freude am sozialen Miteinander und ihre Leidenschaft zum Schreiben miteinander zu verbinden und weiterzugeben, absolvierte sie das Studium „Kreatives Schreiben“ und begann die Weiterbildung „Integrative Poesie- und Bibliotherapie“ an der EAG in Hückeswagen.
Fotos: privat und Unsplash
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