Dieser Zirkus für Kinder darf nicht sterben!
Ein Projekt, ein Unternehmen der Extraklasse: Etwa 150.000 Kinder lernen im Circus for kids Jahr für Jahr das, was viele Schulen nicht vermitteln: Mut, Stolz und Selbstvertrauen. Doch genau diese Artistenfamilie, die Tausende Familien seit 1994 so zuversichtlich stimmt, kämpft ums Überleben. Wir von ohfamoos kämpfen – macht Ihr mit?!
„Mama, da steht ein Mann vor der Tür.“ Der Mann von DHL? Nein, aber das Gesicht kommt mir sofort bekannt vor. Als der Mann „Circus for kids“ sagt, schreit sogar Sohnemann aus dem Wohnzimmer: „Ach jaaaa!“ Und auch bei mir fällt sofort der Groschen: René Ortmann, der Zirkusdirektor, den ich schon vor zwei Jahren, als der Zirkus bei uns in Köln-Widdersdorf gastierte, interviewen wollte.
Denn was dieser Mann und seine 16köpfige Artistenfamilie stemmen, ist unglaublich gut; etwas, was man nur glaubt, wenn man es sieht. Da fliegen Schulkinder durch brennende Reifen, Siebenjährige hängen unter dem Zirkusdach am Trapez und kleine Clowns, die normalerweise das Einmaleins lernen, begrüßen das Publikum wie Profis. Alles ohne Angst, voller Zutrauen, richtig viel Gaudi. „Wir stellen Kinder dar“, sagt René, „wer einmal diese leuchtenden Augen gesehen hat, der vergisst das nie!“ Eine Woche haben Kinder keine normale Schule, gehen dafür in diese Zirkusschule, den circus for kids. Schulen, auch Förderschulen, in vier Bundesländern sind die Auftraggeber der Ortmanns. Denn jedes Kind kann nach der Philosophie dieser Artistenfamilie in seine Stärke kommen, egal ob in NRW, Bayern, Rheinland-Pfalz oder Hessen – „Es ist „nur“ Vertrauen“, weiß René.
Genau dieses so einzigartige Projekt ist jetzt in akuter Gefahr.
Wir alle wissen: Schulen sind arg gebeutelt und fast noch schlimmer: Corona & Kunst, auch da gibt es Riesendefizite. Wie sagte kürzlich die Autorin Sibylle Berg der Welt in einem Interview: „Kapitalismus braucht keine Kultur“. Die Zeitung machte das Zitat zu einer großen Überschrift. Denn das steht tatsächlich zu befürchten und genauso sieht René Ortmann auch aus, als er vor unserer Tür steht. Bedröppelt, um es noch positiv auszudrücken. „Ich könnte jeden Tag heulen“, sagt dieser stolze Mann, der in guten Zeiten etwa 300 Kinder pro Woche mutig macht, das Beste aus jedem Kind herausholt.
Davon könnte er nun selbst eine Portion brauchen…
Reinkommen mag er nicht, er hat zu tun. Er ist nur heute in Köln, weil er mit einer Schule wenigstens eine Popcorn-Aktion durchführt. Er ist schon wieder halb auf dem Weg Richtung Gießen, denn seine Frau und er leben in Hessen. Nachts arbeitet er in einer Lagerhalle.
13 Enkelkinder haben seine Eltern, die in Berlin leben und deren Geschäft er übernahm und zu diesem Unternehmen ausbaute: „Früher waren wir eher ein normaler Zirkus“, berichtet er, „seit 1994 aber arbeiten wir hauptsächlich mit Kindern und seit 2000 sind wir so gut wie immer ausgebucht.“ Das bedeutet eine 7-Tage-Woche, und nur eine Woche Urlaub genehmigt man sich. „Mehr brauchen wir nicht, wir lieben unsere Arbeit.“
Und das soll jetzt alles den Bach runter gehen?
„Ich helfe Ihnen“, sage ich René noch im Türrahmen. Erfahre später, dass bereits eine Elterninitiative in Bad Nauheim, wo der Zirkus zuletzt gastieren konnte, versucht Spenden einzutreiben. Mit „ausnahmslos positiver Resonanz“ berichtet mir Maren Kammer, eine der Unterstützerinnen. Deren Ziel: „Dem Circus Rondel eine Brücke in die Zeit nach Corona bauen zu können.“
Und als ich in eine große Kölner Facebook-Gruppe schreibe, in welcher Gefahr dieser Superzirkus ist, hagelt es Likes und KEINE einzige negative Stimme ist zu lesen (schon überraschend genug in diesen polarisierenden Zeiten). Vielmehr Fragen, wohin man denn bitte spenden könne.
Jeder, der den Circus for kids kennt, ist ein Fan
Soviel Leidenschaft steckt im Circus for kids, dass jeder ein Fan ist. Da ist soviel Mut. Überall Artistenflair und die Erinnerung an die guten alten Zeiten. „René“, höre ich mich später am Telefon sagen, „das wird nicht untergehen, wir finden eine Lösung.“
Aber wie soll die nun aussehen? Die Fakten sind erdrückend: Monatliche Kosten im fünfstelligen Bereich können nicht alleine gestemmt werden, wenn die Aufträge wegfallen. Im vergangenen Jahr, als noch alles so rund lief, hatte man neue Zelte gekauft, auch eine „niet- und nagelneue Tribüne“. Versicherungen für den großen Fuhrpark müssen bezahlt werden, nicht jeder Wohnwagen (alle leben wie früher in eben diesen Wohnungen) ist abbezahlt, die professionelle Licht- und Tonanlage muss gepflegt werden. Man stelle sich die Dimension vor: Durchschnittlich 36 Meter umspannt das Hauptzelt mit Seilen. Für den Auf- und Abbau der Zelte, den die Ortmanns immer zusammen mit Eltern, deren Kinder im Zirkus lernen, stemmen, benötigt man eine Grundfläche von 600qm. Die Maste sind 14 Meter hoch.
Momentan stapeln die Artisten jedoch in ganz anderen Höhen. „Wenigstens tut sich gerade in einigen Städten was“, erzählt René. In dieser Woche dürfen die Artisten in der Fußgängercity von Bad Nauheim Ballons verkaufen. „Darüber freuen wir uns sehr.“ Natürlich tun René und seine Familie das dann auch, genauso, wie sie in Köln an einer Schule eine Aktion starten und Popcorn für den guten Zweck verkaufen. „300-400 Tüten Popcorn bringe ich dann zur Schule“, ist René dankbar, überhaupt etwas tun zu können. Momentan ergreift er jeden Zipfel Hoffnung.
„Wir haben, nachdem schon der Sommer für uns ausfiel, so auf den Herbst gehofft. Nun ist bis Ende März 2021 wieder alles gestrichen“, betont René. „Früher hatten wir jede Woche einen Auftrag – bis auf die eine Woche im Jahr, wo wir selbst mal Urlaub machen. Jede andere Woche galt sonst unserem Zirkus. Wir haben auch Ferienprogramme unterstützt – da die so umfangreich waren, brauchten wir davor diese eine Woche für uns, um aufzutanken.“
Wo ist die Perspektive für den Circus for kids?
René hat, neben dem Problem, dass Schulen ihn nicht mehr buchen, zwei immense Herausforderungen zu bestehen. Zum einen diese: Offenbar „erkennt der Staat uns nicht als Kultur an“, erzählt er mir und natürlich habe man bereits im Mai bei der KfW einen Kredit aufgenommen. Aber wo sei die Perspektive? „Wir dürfen ja noch nicht einmal in einer Fußgängerzone als Artisten auftreten.“ Wie kommt diese Familie also über den Winter? Zum anderen ist die Psyche dieser stolzen Menschen angeschlagen. „Wir dürfen nicht aufgeben“, sagt René ein fürs andere Mal, aber er verbirgt nicht, wie oft die Tränen bereits geflossen sind.
Dabei geht es ihm glaubhaft noch nicht einmal um ihn selbst. Realistisch formuliert er: „Wir sind nicht auf den Kopf gefallen. In unserem Alter können wir etwas anderes machen. Meine Frau hat BWL studiert. Ich könnte woanders mehr verdienen für weniger Arbeit. Es gibt natürlich Möglichkeiten, aber genau diese wollen wir eben bewusst nicht. Wir lieben unsere Arbeit und sie ist wichtig!“ Eine kleine Pause. Ist er noch am Telefon? „Und unsere Idee würde für immer sterben.“
Ein Lichtblick zum Schluss
Und da wir auf ohfamoos nie ohne Lichtblicke enden, dieser zum Schluss: Am 28. November 2020 wurde der jüngste Ortmann geboren: Renés Neffe, der auf den starken Namen Jonathan hören wird. Nicht nur auf das Baby kommen spannende Monate zu.