Jugendstudie: Junges Europa
Sonja macht sich Gedanken, wie denn die Jugend in Europa in diesem Jahr die Weltkrisen einschätzt. Mit denen werden wir ja jeden Tag in den Medien konfrontiert. Eine Jugendstudie der TUI-Stiftung gibt Antworten.
An manchen Tagen fällt es mir echt schwer, etwas Positives zu schreiben. Es ist mein letzter Ferientag auf Zypern. OK, das ist nicht weiter schlimm, aber der Blick in die Zeitung heute morgen ist deprimierend: Die Deutsche Bahn hat eine Funkstörung und der Schnellverkehr in fast ganz Norddeutschland kommt zum Erliegen, die Krim-Brücke ist gesprengt, die Coronazahlen steigen in Deutschland sprunghaft an und den Ukrainekrieg gibt’s immer noch.
Junges Europa – was machen Krisen mit jungen Menschen?
Während ich am Flughafen sitze und auf meinen Flug warte, recherchiere ich und stoße auf die diesjährige Jugendstudie der TUI- Stiftung „Junges Europa 2022“.
Seit 2017 beauftragt die TUI-Stiftung das internationale Meinungsforschungsinstitut YouGov mit einer Befragung junger Menschen in Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Polen, Spanien und Großbritannien. Für die Jugendstudie 2022 wurden im April 2022 insgesamt 6228 junge Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren online befragt. Die Studie 2022 untersucht im Besonderen, wie junge Europäer über die Weltkrisen denken. Themen wie Klima, Krieg und Corona, die mich ja heute auch etwas aus dem Tritt gebracht haben.
Der Ukrainekrieg
Die Mehrheit der jungen Menschen in Europa begreift den Krieg in der Ukraine als Zeitenwende. Vor allem in Polen, Deutschland, Italien und Griechenland empfinden junge Menschen den Überfall Russlands auf die Ukraine als persönliche Bedrohung, während diese Ängste am wenigsten in Großbritannien ausgeprägt sind.
Auch die Furcht vor einem Krieg in einem EU-Land nimmt unter Jugendlichen zu:
Fast die Hälfte (46 Prozent) der jungen Europäer halten einen Krieg in einem EU-Mitgliedsland in den nächsten zehn Jahren für möglich.
Vor zwei Jahren waren es nur 37 Prozent.
Klima
Dennoch, trotz Krieg und Pandemie bleibt der Klimawandel das Thema Nummer eins für junge Europäer.
Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) glaubt, dass durch den Krieg in der Ukraine die Energiewende in Europa beschleunigt wird. Gleichzeitig aber zeigen sich die Jugendlichen wenig ideologisch: Um von russischer Energie unabhängig zu werden, sollten Atomkraftwerke länger in Betrieb bleiben, sagen 44 Prozent der Befragten. Bei Kohlekraftwerken fällt mit 37 Prozent die Zustimmung deutlich geringer aus.
Und mehr als zwei Drittel finden, dass Erfolge im Klimawandel nur erzielt werden können, wenn Politik und Gesellschaft kompromissbereit sind. Junge Menschen sind sich nicht nur des Problems Klimawandel bewusst, sondern sehen auch die Zielkonflikte, die sich beispielsweise aus der Energiekrise ergeben.
Kampf gegen den Klimawandel
Mehr als jeder Zweite findet, dass die EU-Länder den Kampf gegen den Klimawandel höher priorisieren sollten als Energieunabhängigkeit und das Wirtschaftswachstum.
Jedoch zeigt sich hier im Zeitvergleich in fast allen Ländern ein rückläufiger Trend. Während etwa in Deutschland im vergangenen Jahr noch 47 Prozent der Befragten dem Klimawandel den Vorrang gaben, tun dies 2022 nur noch 36 Prozent. „Was bei dieser Priorisierung überrascht: Weder Geschlecht, Bildungsstand, Wohnort, noch der Lebensstandard des Elternhauses machen einen wesentlichen Unterschied bei der Bewertung von Klimaschutzmaßnahmen.“, erklärt Marcus Spittler von der Humboldt Universität Berlin, der die europäische Jugendstudie wissenschaftlich beraten hat.
Er erklärt weiter: „Junge Europäerinnen und Europäer sind sich der Dringlichkeit bewusst, mit der Lösungen für das Klima gefunden werden müssen. Es sind allerdings neue Konfliktlinien zu erkennen: Während in Deutschland, Frankreich und Großbritannien Umwelt und Klimaschutz zu den wichtigsten Aufgaben sowohl der EU und der einzelnen Mitgliedsländer gehören, sehen junge Menschen in Spanien, Polen, Italien und Griechenland ausschließlich die EU am Zug. In diesen Ländern sind Themen wie Arbeitslosigkeit und Sozialpolitik für junge Menschen deutlich wichtiger. Aus der Jugendstudie wird klar, dass die Frage des Klimaschutzes weniger zwischen den sozialen Klassen einzelner Gesellschaften strittig ist, sondern vielmehr zu Spannungen zwischen den EU-Mitgliedern führt, deren Lebenssituationen und wirtschaftliche Kraft stark voneinander abweichen.“
Bewertung der Europäischen Union
Obwohl durch den Krieg in der Ukraine die militärische Bedrohung in Europa gestiegen ist, wird die EU laut Studie „von den Jugendlichen nicht als militärische Allianz wahrgenommen“. Für 68 Prozent ist es vor allem ein wirtschaftlicher Zusammenschluss. Auch an der Wahrnehmung der EU als eine Institution, die den Frieden zwischen den Staaten Europas sichert, ändert der Krieg in der Ukraine nur wenig: Im Jahr 2017 sagten 63 Prozent der befragten 16- bis 26-Jährigen, dass die EU dazu „absolut notwendig“ sei, im April 2022 waren es 62 Prozent.
„Für junge Erwachsene in Europa ist die Europäische Union vor allem ein Wirtschaftsbündnis und ein Verbund von Ländern, in dem man frei reisen, wohnen und arbeiten kann. Diese Zuschreibungen ändert auch der Krieg in der Ukraine nicht. Die Bewertungen der EU bleiben stabil: 23 Prozent der Befragten halten das aktuelle Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedsländern für „genau richtig“, 42 Prozent der jungen Europäer wünschen sich, dass die Verbindungen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU enger werden.
Auch hier gibt es kaum Veränderungen zu den Ergebnissen in 2020. Während wir in Deutschland die geringsten Zustimmungswerte für die EU-Mitgliedschaft des eigenen Landes seit Start der Jugendstudie im Jahr 2017 messen, würden in Polen mit sieben Prozent so wenige junge Menschen wie noch nie für den Austritt ihres Landes aus der EU stimmen,“ sagt die Geschäftsführerin der TUI Stiftung, Elke Hlawatschek. (heißt sie so?)
Corona – Die Stimmung trübt sich
Rund ein Drittel der Befragten gibt an, dass sich ihre Lebenssituation durch die Pandemie verschlechtert hat. Ihr Anteil ist jedoch im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken (2021: 52 Prozent, 2022: 36 Prozent).
Auf ohfamoos haben wir das Thema schon einmal aufgegriffen.
Die Mehrheit der Befragten in jedem Land – mit Ausnahme von Griechenland – gibt an, die Lebenssituation sei durch die Pandemie gleichgeblieben. Dies ist einerseits auf die Lockerungen der Maßnahmen zurückzuführen, könnte andererseits aber auch dafür sprechen, dass sich junge Menschen an die Situation gewöhnt und sich mit den Auswirkungen auf das öffentliche Leben besser arrangiert haben.
Allerdings sind junge Menschen im Jahr 2022 weniger optimistisch, was ihre Zukunftsaussichten angeht. Mit Ausnahme der 16- bis 26-Jährigen in Spanien und Italien steigen in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Polen und in Großbritannien die pessimistischen Einstellungen in Bezug auf die die persönliche Situation jeweils auf Rekordwerte.
Negative Perspektiven
Seit 2017, dem Beginn der Studie, wurden die eigenen Perspektiven von jungen Menschen noch nie so negativ bewertet. Die Stimmung trübt sich ein. Vor allem die psychische Gesundheit, mehr als drei von fünf Befragten (62 Prozent) geben an, dass die Pandemie ihre psychische Gesundheit beeinträchtigt hat. Besonders häufig sagen dies Befragte aus Griechenland (72 Prozent). Dort hatte die Pandemie auch starken Einfluss auf die finanzielle Lage (73 Prozent) und berufliche Chancen (63 Prozent) junger Menschen.
Fast genau vor einem Jahr, habe ich schonmal über eine Jugendstudie berichtet. Die hat sich jedoch nur mit der Jugend Deutschlands befasst. Die TUI-Studie ist umfassender und ich finde die Ergebnisse speziell in Bezug auf die EU höchst interessant.
Hier findest Du die komplette Studie Junges Europa 2022 als PDF mit Grafiken und Vergleichen.
Über die TUI Stiftung: Die TUI Stiftung fördert und realisiert Projekte rund um das Thema „Junges Europa“. Ihr Ziel ist es, den Europagedanken zu stärken. Deshalb investiert sie langfristig in regionale, nationale und internationale Projekte mit den Schwerpunkten Bildung, Ausbildung sowie individuelle und berufliche Entwicklung. Sie hat ihren Sitz in Hannover und ist als eigenständige und unabhängige Stiftung dem Gemeinwohl verpflichtet.
Noch eine Studie:
Foto: Canva, Grafik: Statista