Koffer packen wie ein Baumeister
Eine unserer Gastautorinnen, Heidemarie Blankenstein, ist vermutlich an der Zahl ihrer Reisen nicht zu toppen. Als uns aus “gut unterrichteten Kreisen” mitgeteilt wurde, die Dame reise dabei meist nur mit einem Koffer, der sei aber perfekt gepackt, wollten wir das genauer wissen. Herausgekommen ist dieses Gespräch, das Elke aufgezeichnet hat.
Die Anschnallzeichen der Iberia-Maschine leuchten noch nicht, aber Musik säuselt schon zur Beruhigung. Passagiere strömen herein. Viele von ihnen tragen handliche Koffer. Die zwängen sie in die oberen Fächer. Wer noch Nerz oder Frack verstauen muss, der darf von sich behaupten, er reise mit „Hab und Gut“. Unsereins packt Koffer, einen richtigen 15 Kilo schweren Koffer, den ich am Schalter abgebe, denn ich belaste mich ungern mit Handgepäck.
So beginnt ein Artikel, den Heidi in ihrer Berliner Schreibwerkstatt verfasst hat. Wir möchten von der weitgereisten Journalistin und Diplomatengattin in ihre Kunst eingeweiht werden – in die Kunst, das Volumen eines Koffers so sinnvoll auszunutzen, “dass selbst die kleinsten Dinge darin ihren festen Platz haben”. So pflegt sie es selbst zu sagen.
Elke: Wie geht das ganz konkret?
Heidi: Vor jeder Reise beneide ich berühmte Globetrotter wie Chatwin, Nooteboom, Lotti oder Thesiger. Wie mögen sie gepackt haben? Wilfred Thesiger zum Beispiel schrieb vor 60 Jahren: „In der Wüste hatte ich eine Freiheit gefunden, die kein Besitz behinderte, da alles, was nicht lebensnotwendig ist, eine Last bedeutet…!“ Vor Wochen hörte ich einen Luftfracht-Arbeiter in Frankfurt stöhnen: „Mein Gott, was die Leute in ihren schweren Koffern alles um die Welt schleppen…“
Elke: Meinte er etwa Sie?
Heidi: (lacht) Keine Ahnung, aber gepasst hätte es… Denn immer frage ich mich: Was nehme ich bloß mit? Zuerst bedenke ich mein Reiseziel und das Klima dort. Schon Tage vorher türme ich neben dem leeren Koffer entsprechende Kleidung, Schuhe, Kosmetik, Medikamente, Ladegeräte und wichtige Dokumente mit Hilfe einer Checkliste. Habe ich etwas vergessen? Am Tag vor der Abreise wird dann der Koffer gefüllt: Oben die Blusen und Kleider, unten die Unterwäsche, dazwischen Nacht- und Sportkleidung, die Strümpfe. An den Seiten die härteren Gegenstände sie Waschutensilien und Schuhe.
Elke: Wenn alles in einem Koffer ist – wie ist das, wenn er mal abhanden kommt?
Heidi: Mir ist das auf einem Flug zwischen Madrid und Teneriffa passiert. Der spanische Schriftstellerverband hatte mich eingeladen.
Während die Kollegen sich auf dem Zimmer frisch machten, stand ich wie ein Penner unter Bossen, zerknirscht und in zerknitterter Reisekleidung.
Nachts träumte ich vom Pyjama, der irgendwo zwischen Madrid und Mallorca, zwischen den Kleidern und der Kosmetik im Koffer liegen musste.
Elke: Momente, in denen man überlegt, demnächst doch besser Handgepäck mitzunehmen, oder?
Heidi: Genau. Das grinsende Mitleid der Kollegen am nächsten Morgen beim Frühstück wäre mir mit Handgepäck erspart geblieben. 🙂
Elke: Aber Sie bleiben dabei, auch wenn Sie über Wochen verreisen?
Heidi: Ja, eine Herausforderung. In solchen Momenten vergleiche ich mein Kofferpacken gern mit dem Können eines Baumeisters, der in einem Camper von 8 qm noch ein Schwimmbad unterbringen muss.
Elke: Sie haben sicher jeden Kontinent bereist. Haben Sie mal zusammen gerechnet, wie viele Länder es waren?
Heidi: Das stimmt, tatsächlich waren bisher alle fünf Kontinente nicht sicher vor meiner Person. Aber durchaus fehlen mir noch einige Sehnsuchtsorte wie Norwegen, Island, Schottland, China, Süd-Afrika, Chile, Pakistan… In Kabul hatte die Gepäckabfertigung der afghanischen Ariana-Air ein fettes, weißes Kreuz auf meinen Koffer gepinselt. Zum Glück war ich nie mit Designer-Koffern unterwegs.
Elke: Haben Sie denn, wie ich, einen Lieblingskoffer?
Heidi: Dieser Koffer, ja, das kann man so sagen. Nur dass sich dieser Kabul-Koffer leider über die Jahre aufgelöst hat.
Er war ein Erinnerungsstück an Kabuls Flughafen, an dunkle Gänge, abgeschälte Wände mit offen liegenden Leitungen und Rohren, an ein keuchendes Band, das die Gepäckstücke durch ein Loch in der Wand in die überfüllte Wartehalle gespuckt hatte;
Erinnerung an lauter hundertjährige Gesichter, abgearbeitete Hände, die Pakete oder selbst gebastelte Koffer oder geraffte Bündel trugen. – – Irgendwann haben mir unsere Kinder dann doch einen stabileren Samsonite geschenkt, den ich jetzt komfortabel rollen kann.
Elke: Sie zitieren gern Blaise Pascal, der vor 360 Jahren schrieb: „Das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht in einem Zimmer bleiben können“. Sind Sie langsam doch etwas reisemüde?
Heidi: Es ist als hätte Pascal in ferne Zukunft geschaut, als hätte er die negativen Auswüchse unserer heutigen Mobilität vorausgesehen: Staus auf Autobahnen, Verschmutzung der Weltmeere, der Luft… Außerdem muss ich gestehen, dass ich höchst ungern Flugzeuge betrete. Befinde ich mich 10 km über dem Pazifik, denke ich an den freien Fall des Schneiders von Ulm, wie er sich mit ausgebreiteten Armen vom Kirchturm schwang.
Elke: Was fühlen Sie genau beim Fliegen?
Heidi: Wenn ich tief unter mir das nächtliche Meer weiß, spüre ich die eigene Schwerkraft. Es sind Augenblicke, an die ich mich auf dem Sterbebett nicht erinnern will. Es ist eine in die Länge gezogene Zeit, die wie ein Lumpen auf mir lastet und mich tatsächlich „reisemüde“ macht.
Doch bewegt sein, sich bewegen – ist das Gegenteil von Tod. Unsere Kinder, die in Australien und Mexiko leben, und mein Beruf werden mich weiter auf Trab halten, werden dafür sorgen, dass ich mobil bleibe, mich bewege, Sehnsuchtsorte aufsuche… und Koffer packe.
Ein, wie schreibt man hier, ohfamooser Gedanke 🙂
Elke: Vielen Dank für das Interview und weiterhin: Sicheres Reisen!
Fotos: privat