„Leider ersetzt das keine Umarmung“ – Dubai im Krisenmodus
Nun bin ich wieder in Dubai, nachdem Wien erneut zu einem Corona Risikogebiet erklärt wurde. Mit einem PCR-Test, der nicht älter als 96 Stunden ist, darf jeder wieder einreisen. Aber was ist passiert, seit ich das letzte Mal in Dubai war? Wie ist es meinen Freunden während der Coronakrise in Dubai ergangen? Bei einem Kaffee mit meiner Freundin Melanie Müller erfahre ich das Neueste im Interview.
Melanie, wie ist die Situation derzeit in Dubai?
Die Urlauber sind pünktlich zum Schulanfang wieder zurück im Land. Jeder kann, wie Du ja auch, mit einem negativem Testergebnis in Dubai einfliegen, leider nicht in Abu Dhabi. In der Hauptstadt gelten andere Bestimmungen als in Dubai. Jeder Stadtkreis entscheidet selbst, welche Regeln in dieser Ausnahmesituation eingehalten werden sollen. Aber das ist ja nichts Neues. Und auch, dass am Tag vor Schulbeginn noch nicht ganz klar war, wie es laufen soll, fordert von allen wieder die viel geübte Flexibilität.
Gibt es Regeln wie in Deutschland?
Für alle gilt nach wie vor Maskenpflicht, sobald man das Haus verlässt. Man darf sich nicht mit mehr als 5 Leuten versammeln. Personenwagen dürfen nicht mehr als 3 Personen transportieren. Öffentliche Verkehrsmittel sind in Betrieb, leider werden hier die ‘Social Distancing’ Regeln nicht immer durchgesetzt. Aber die meisten halten sich an die Vorgaben, denn die Strafen sind finanziell schmerzhaft. 3.000 Dirham (690€) für eine fehlende Maske kann sich ein Arbeiter, der durchschnittlich 800 Dirham (185€) verdient, nicht leisten.
Wie schaut es in der Geschäftswelt aus?
Viele Firmen bieten ihren Angestellten Mischlösungen an, einen Teil der Woche im Büro und den anderen Teil weiterhin von Zuhause aus zu arbeiten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind gefragt, so flexibel wie möglich zu sein, da auch die Schulen immer noch home-schooling anbieten. Laut Regierung heißen die Schulen ihre Schüler zwar willkommen, aber das Angebot wird nicht von allen Schulen umgesetzt. Universitäten unterrichten remote.
Viele Läden und Restaurants mussten schließen und man sieht in den Malls immer mehr verlassene Ladengeschäfte. Bei dem gewohnten Wachstum in dieser Stadt hat man sich an Bauzäune gewöhnt.
Nach Corona ist dieses Feature zum ersten Mal nicht mehr direkt mit Wachstum verbunden, sondern viel mehr mit Verfall.
Wir haben hier in Dubai ja viele Hotels, von denen manche über den Sommer eine gute Auslastung mit ‚staycation‘ Angeboten hatten. Aber die Zukunft wird zeigen, ob sie alle weiterbestehen können, zumal Expo 2020 ja auch um ein Jahr verschoben wurde.
Welche Maßnahmen wurden von der Regierung während Corona ergriffen?
Mit der Kampagne #weareresponsible rief die Regierung alle Einwohner auf, den Hygieneregeln Folge zu leisten. Das sind die gleichen wie in Europa. Beim Eintreten in eine Mall oder ein Geschäft wird deine Temperatur gemessen und deine Kooperation ist gefragt. Während des Lockdowns mussten wir über eine App den Ausgang beantragen und genehmigen lassen, einkaufen war nur alle 3 Tage erlaubt, Arzt Besuche und Notfälle konnten separat beantragt werden. Die App gibt innerhalb von 15 Minuten die Antwort. Bei Fragen steht eine Hotline zur Verfügung, die in 4 Sprachen kompetent weiterhilft. Ich muss ehrlich sagen, ein Kompliment an die Organisation und das Set-up, ich musste ein paarmal anrufen, das hat super funktioniert.
Gab es Hamsterkäufe?
Die Gesellschaft in Dubai ist es gewohnt sich Dinge bringen zu lassen. Die bereits existierende Lieferinfrastruktur in Dubai hat sicher von dem Lockdown profitiert und wurde über die vergangenen Monate noch stark ausgebaut. Daher war aus meiner Perspektive die Versorgung stabil und alle essentiellen Dienstleistungen standen zur Verfügung. Lediglich am Anfang der Pandemie gab es ein paar Tage, an welchen Regale in den Supermärkten ein paar Löcher zeigten. Zu keiner Zeit aber gab es Anzeichen, dass die Einwohner auf die gewohnte Warenvielfalt verzichten müssten, geschweige denn dafür, dass die Grundversorgung nicht gewährleistet werden könnte. Und, wir hatten immer Toilettenpapier. Chapeau – an alle, die beteiligt waren, das zu bewerkstelligen.
Wie sah es auf den Straßen aus?
Während des Lockdowns hat Dubai die Stadt desinfiziert, ganze Straßenzüge und auch die öffentlichen Verkehrsmittel. Während Ramadan regelte eine nächtliche Ausgangssperre die Isolation. Dicht besiedelte Stadteile wurden abgeriegelt und alle darin lebenden Menschen auf Corona getestet. Die Messehallen hat man zu Covid 19 Quarantäne Krankenhäusern aus- und umgebaut.
In Dubai braucht ja jeder Ausländer ein Visum. Da gab es doch bestimmt Probleme, wenn man an die Reisebestimmungen währen der Coronakrise denkt?
Sicherlich, eine der wichtigsten Regelungen war, dass bis zum Jahresende alle Visa-Aktivitäten eingefroren wurden. Leider wurde diese Regelung schon während des Sommers wieder aufgetaut. Das bedeutet, dass alle, die in der Coronazeit ihr Visum nicht rechtzeitig erneuern konnten oder ihren Job verloren hatten, nun eine Strafe für ‘Overstay’ bezahlen müssen. Auf den ersten Blick scheint das nicht so schwerwiegend zu sein. Es trifft aber am härtesten die vielen Geringverdiener, die über die letzten Monate ihre Arbeit verloren haben und wegen des Reiseverbots das Land nicht verlassen konnten.
Noch nie habe ich in Dubai soviel Armut erlebt wie nach dem Lockdown.
Wie hast Du Dich dabei gefühlt?
Un-frei! – Mit dem Lockdown und der Ausgangssperre habe ich das erste Mal in meinem Leben erfahren, wie es ist, von der Regierung eingesperrt zu sein. Die Freiheit, wann und wohin reisen zu können, fehlt mir bis heute.
Verantwortlich – Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, dass sich das Virus nicht exponentiell verbreitet. Und jeder muss in seinem Wirkungskreis die Verantwortung für das Leben anderer mittragen.
Achtsam – Die Einschränkungen und ständig ändernden Verhaltensrichtlinien haben mich achtsamer werden lassen. In erster Linie in meinem sozialen Umfeld, mit wem ich Zeit verbringe und wie wir die Zeit gestalten. Und auch generell gegenüber den Dingen, die wir im Leben für selbstverständlich halten. Vieles Materielle hat sicherlich an Wichtigkeit verloren.
Dankbar – Jeden Tag finde ich mehr in meinem Leben, wofür ich dankbar sein kann.
Was hat sich in Dubai verändert?
Es ist ruhig geworden in Dubai. Weniger Menschen verbringen die Zeit im Freien oder in den Malls. Die Straßen sind nicht mehr so voll, vor allem nachts. Neben New York war Dubai für mich immer die Stadt, die nie schläft. Jetzt ist nachts auf Sheikh Zayed Road, der Hauptschlagader von Dubai, Platz.
Menschen sind verzweifelt und man spürt es.
Dubai ist teurer Lebensraum mit einer Gesellschaft von Besuchern. Wer hier keinen Job mehr hat und damit kein Visum, darf wieder nach Hause gehen. Viele Menschen haben hier während der letzten Monate ihre Existenzgrundlage verloren und konnten das Land nicht verlassen. Kein Ausweg in Sicht treibt zu verzweifelten Handlungen – die Medien berichten nicht über Bettler auf den Supermarkt-Parkplätzen, Einbrüchen oder Selbstmorden.
Wie hast Du die Zeit verbracht?
Ich hatte Glück im Unglück. Da mein Bruder in Dubai gestrandet war, verging die Lockdown Zeit und Ausgangssperre nicht gar so einsam. Sobald es möglich war, haben wir den sozialen Kontakt wieder auf einen Kern-Freundeskreis ausgeweitet und auch die gemeinsame Zeit intensiviert. Alles im Rahmen der hiesigen Versammlungsregelungen versteht sich.
Wir haben uns darauf fokussiert unser Immunsystem zu fördern.
Neben gesundem Essen, Bewegung und ausreichend Schlaf, tragen für uns Gedankenhygiene, gemeinsam Spaß haben und nacheinander schauen ganz genauso dazu bei.
Die viele gemeinsame Zeit gab auch reichlich Möglichkeit, über neue Geschäftsideen nachzudenken und Wege auszuloten, meine Coaching Arbeit zu intensivieren und mich in dieser Richtung weiter zu bilden.
Mit wem hattest Du Kontakt während Corona?
Wie Du weißt, ist das von Dubai aus echt schwer. Früher schon und jetzt erst recht. Direkten Kontakt hatte ich tatsächlich nur mit einer Hand voll Freunden. Virtuell – mit so vielen wie möglich und so oft wie möglich. Leider kommen meine Eltern nicht immer mit dem Installieren neuer Applikationen hinterher, dann rufe ich konventionell an. Mittlerweile sehen wir uns hauptsächlich über Zoom. Die anderen Applikationen wie Skype, FaceTime, WhatsApp call oder Totok funktionieren hier leider nicht und alle anderen kosten Geld. Bandbreite ist hier spitze und neu und man muss sie teuer bezahlen. Leider ersetzt das alles keine Umarmung!
Melanie Florence Müller lebt seit 2006 in Dubai. Die begeisterte Taucherin liebt ihren Garten, fühlt sich aber auch in der Wüste ganz zuhause. Wenn sie nicht gerade als Sales- und Marketing-Expertin arbeitet, reist sie gerne und viel. Am besten gefällt Melanie die multi-kulturelle Gesellschaft Dubais. Beruflich sucht sie jetzt eine neue Herausforderung.
Fotos: Melanie Müller, Sonja Ohly