Ein Booster für die Seele…
Ein Booster für die Seele – das ist der fast tägliche frühmorgendliche Spaziergang durch den Nymphenburger Schlosspark mitten in München für unseren Gastautor Dieter R. Fuchs und seine Frau Ulla. Ein Ritual mit Tiefenwirkung, wie er im folgenden Gastbeitrag eindrucksvoll beschreibt:
Klar, dass gelegentliche Spaziergänge im Wald einen hohen Gesundheitswert haben. Und auch, dass sie dem geistigen Wohlbefinden zuträglich sind. Das ist allgemein bekannt. In Japan hat „Waldbaden“ inzwischen fast Kultstatus erreicht!
Aber auch bei uns: Gerade während der von Corona-Risiken und -Einschränkungen geprägten vergangenen fast zwei Jahre sprach vieles dafür, statt der Innenstädte lieber Parks oder Wälder zum Bummeln aufzusuchen. Wenn ein Großteil des gewohnten Kultur- und Soziallebens und auch das Reisen stark eingeschränkt sind, gilt es im Alltag umso mehr, dies zu kompensieren.
Also brauchen wir neben der immer angesagten Pflege von Zärtlichkeit und Liebe, neben Innehalten und Selbststärkung durch Meditation oder Yoga, neben noch bewussterem Genießen der kleinen, unspektakulären Freuden des Lebens und neben noch mehr Disziplin beim körperlichen Fithalten … vielleicht auch ganz neue, belebende Routinen, die uns nachhaltig gut tun.
Ein Booster für die Seele
Als regelrechtes Ritual haben meine Frau und ich hierfür mit Beginn der ersten Corona-Welle einen ganz besonderen, täglichen Gang durch das Biotop des weitläufigen Nymphenburger Schlossparks etabliert. Immer der gleiche Rundweg, immer beginnend während der Blauen Stunde, also noch deutlich vor Sonnenaufgang. Warum? Um quasi ein integraler Teil der erwachenden Natur zu werden – und sich auch so zu fühlen. Es ist fast magisch, in diesen ein bis zwei Stunden dort mit wachen Sinnen das aufzunehmen, was sich zunächst im Dunkeln, dann in der Dämmerung und schließlich im jungen Tageslicht abspielt.
Warum immer der gleiche Weg?
Weil wir immer vertrauter werden wollten mit unserer Umgebung dort, aufnahmefähig für weitere Details – und das macht nur die häufige Wiederholung möglich. Die Wahrnehmung verändert sich deutlich, wenn man nicht mehr durch den Weg und die sich täglich wiederholende Szenerie vereinnahmt wird. Wir nehmen anders wahr, wenn wir uns zunehmend neuer Kleinigkeiten, aber auch des harmonischen Zusammenwirkens derselben zu fast physisch spürbaren Stimmungen, bewusst werden.
Ein wenig ist es inzwischen für uns so, als bewegten wir uns nicht mehr nur in einer zugegebenermaßen romantischen Kulisse, sondern wie in einem impressionistischen Gemälde derselben!
Wir verhalten uns leise, sprechen wenig miteinander. Gerade während der ersten Stunde, wenn es noch dunkel ist und man sich instinktiv am liebsten unsichtbar und unhörbar machen möchte. Was einem das langsam erwachende Leben ringsum dankbar vergütet:
Inzwischen flüchten die sonst scheuen Rehe kaum noch vor uns, fast so als würden sie uns als ihresgleichen akzeptiert haben.
Was für ein herrliches Gefühl, dann stillzustehen. Und wenige Meter von uns entfernt einer Ricke mit ihrem Kitz beim Äsen zuzuschauen, dem Knacken und Knistern beim Kauen oder Wiederkäuen zu lauschen. Oder zu einem Waldkauz auf dem Ast vor seiner Baumhöhle hochzuschauen und den Augenkontakt zu ihm zu halten, während er dort nach seiner nächtlichen Jagd die Dämmerung zu genießen scheint, bevor er sich für den Rest des Tages zurückzieht. Oder einen Eisvogel zu beobachten, der über einem Bächlein auf Beute lauert.
Spektakuläre Erlebnisse
Sicher, manchmal bekommt man auch spektakuläre Erlebnisse geschenkt: Wenn plötzlich ein Hermelin in seinem schneeweißen Winterfell wenige Meter vor einem über den Weg huscht.
Oder ein Biber, vertieft in seine Holzfällerarbeit, die aufkommende Helligkeit nicht mitbekommt und so abgelenkt ist, dass wir uns ihm bis auf wenige Meter nähern können. Oder drei Ästlinge entdecken, also noch flugunfähige Eulenküken, die vor der Nisthöhle – die für die Wonneproppen in ihrem voluminösen Flaum längst zu eng geworden ist – nebeneinander auf einem Ast kuscheln und auf ihre Eltern warten, die ihnen Atzung bringen.
Ganz besondere Momente wie Balsam für die Seele
Aber nicht solche ganz besonderen Momente sind es eigentlich, die nachhaltig wie Balsam auf die Seele wirken. Vielmehr ist es das vermeintlich Unscheinbare, das aber über die Zeit so wohltuend und glücksspendend nachwirkt:
- Das von Tautropfen schwere Spinnennetz im Gebüsch, das in der aufgehenden Sonne wie von tausend Diamanten funkelt.
- Der in den ersten Sonnenstrahlen tauende Nachtreif auf den Wiesen, der wie Samt wirkt.
- Das leise Schnattern einer Schar durchziehender Wildgänse, die am Ufer rasten.
- Das Knistern des dünnen Eises , wenn ein grade erwachender Schwan zum Abheben ansetzt.
- Der mehr erahnte, als wirklich gehörte Flügelschlag eines Habichts, welcher ganz nah an uns vorbei durch den Wald jagt.
- Und natürlich diese erhabenen, tief bewegenden Momente: Wenn die Sonne den Horizont übersteigt und wie ein Heiligenschein durchs Laub eines lindgrünen Frühlingswaldes bricht.
Ich gönne es jedem, eine solche Morgenroutine hinzubekommen!
Ich weiß, nicht jeder ist ein Frühaufsteher und nicht jeder kann es zeitlich einrichten, eine solche Morgenroutine hinzubekommen. Aber dennoch würde ich es jedem gönnen und wünschen, ein solches oder ein vergleichbares Ritual in der Natur für sich zu entdecken und zu etablieren. Glaubt mir: Es ist es wirklich wert!
Mehr über unseren Ohfamoosen Gastautoren Dieter Fuchs erfahrt Ihr auf unserer Autorenseite! Ein sehr beliebter Beitrag von Dieter beschreibt übrigens ganz und gar nicht die Idylle am Boden, sondern die speziellen Turbulenzen auf Flugreisen. Ebenfalls lesenswert.
https://www.ohfamoos.com/2017/06/wien-gruene-stadt/
Sehr schöner Beitrag.
Für alle, die nicht einen Wald „um die Ecke“ haben gibt es noch etwas für die Ohren.
Bei ALEXA einfach“ Waldspaziergang eingeben und ein Buch lesen. 🙂