Der Siegeszug der Soft Skills
Fachkräftemangel, kriegerische Auseinandersetzungen, künstliche Intelligenz – wenige Stichworte zeigen: Wir leben in Zeiten, deren Gewissheiten enorm beanspruchen und vor allem eins erfordern: Neue Antworten. Wie gehen Unternehmen damit um, was kommunizieren sie wie? Jacqueline Schäfer weiß: Schweigt die Führungskraft, suchen sich Mitarbeitende eines Tages neue Arbeitsplätze. Will man es darauf ankommen lassen? Hier ihr Gastbeitrag über Führungskräfte im Wandel.
Fakten, die nach neuen Antworten verlangen:
- Fast 13 Millionen Menschen werden in den nächsten Jahren in Rente gehen
- Rund 40.000 Unternehmen suchen jährlich einen Nachfolger.
- Durch Künstliche Intelligenz (KI) werden sich Arbeitsplätze verändern, wegfallen sowie völlig neue entstehen.
- Weltweite Krisenherde und Kriege lösen Ängste aus, beeinflussen unsere Wirtschaft und Zusammenleben.
Gewissheiten, die Unternehmen, aber auch jedem Menschen ein Leben lang als Leitplanken gedient haben, fallen weg. Die einzige Gewissheit, die wir haben, ist, dass sich alles permanent verändert.
Doch wie gehe ich als Führungskraft damit um?
„Erstmal muss eine Unternehmensstrategie her und die wird dann implementiert“, sagte mir ein Unternehmer. Wie er dies denn machen wolle, fragte ich nach und blickte in ein irritiertes Gesicht. „Es wird angeordnet und die Führungskräfte müssen dafür sorgen, dass die Belegschaft es umsetzt“, war die Antwort. Schulungen, so erfuhr ich auf Nachfrage, würden selbstverständlich angeboten, wenn beispielsweise der Umgang mit einer neuen Software diese erforderlich mache. Ansonsten sollten die Leute einfach tun, was man ihnen sage – sie würden schließlich dafür bezahlt.
Schweigen Führungskräfte, suchen sich Mitarbeitende eigene Antworten
Auch in Zeiten des Fachkräftemangels ist eine solche Haltung leider immer noch verbreitet. Die Entwicklung einer Unternehmensstrategie, die ohne Zweifel wichtig ist, um das Geschäft Veränderungen anzupassen und es zukunftsfähig zu machen, geschieht im kleinen Kreis, ohne dass die Belegschaft davon etwas mitbekommt. Natürlich braucht es den geschützten Raum, in dem die Geschäftsführung offen diskutieren, Vorschläge erörtern und verwerfen kann, ohne dass alles direkt öffentlich zerredet wird. Aber die Mitarbeitenden komplett im Unklaren zu lassen, ist eben auch keine Lösung.
Denn was passiert, wenn beispielsweise wegen eines Krieges Lieferwege nicht passierbar sind und die Produktion mangels Materials stillsteht? Wenn Probleme sichtbar sind, aber die Unternehmensleitung unsichtbar bleibt? Jeder einzelne macht sich Gedanken, Ängste brechen sich Bahn, Gerüchte wabern über den Flurfunk.
Wer Menschen in schwierigen Zeiten im Unklaren lässt, riskiert, dass sie sich selbst Antworten oder gleich einen neuen Arbeitsplatz suchen, sich nicht wertgeschätzt fühlen – „uns sagt ja niemand was!“ – und sich in die innere Kündigung verbschieden. Werden dann die erforderlichen Neuerungen angeordnet, trifft dies auf eine Belegschaft, die nur noch bedingt motiviert ist und sich möglicherweise überfahren fühlt. Wer glaubt ernsthaft, dass in so einer Situation ein erfolgreicher Kick-off möglich ist?
Veränderungsprozesse kommunikativ begleiten
Wie es anders gehen kann, zeigte zu Beginn der Pandemie ein Kunde von mir, der mich ab der Stunde Null – der Verhängung des Lockdowns – ins Boot holte. Natürlich hatte das Unternehmen noch keine Maßnahmen zum Umgang mit der Pandemie entwickeln können. Wir einigten uns darauf, von Anfang an regelmäßig mit den Mitarbeitenden über den notwendigen Veränderungsprozess zu sprechen. Erstens, um der Belegschaft so viel Sicherheit zu geben, wie zu dem Zeitpunkt möglich war. Und zweitens, um nie die Interpretationshoheit zu verlieren.
Die wichtigste Regel dabei: ehrlich und empathisch zu sein.
Dafür entwickelten wir Kanäle. Um nur zwei zu nennen: Regelmäßige angekündigte Rundgänge durchs Werk, bei denen der Firmenchef in Kurzansprachen die Belegschaft auf den neuesten Stand brachte, aber sie auch ermunterte, Fragen zu stellen sowie Adhoc-Aushänge an den Schwarzen Brettern. Entscheidend dabei: die Tonalität.
So wurde bei den ersten Kurzansprachen offen kommuniziert, dass eine Task Force ab sofort die Arbeit aufnehmen würde, man jedoch aufgrund der undurchsichtigen Lage zunächst situativ auf die politischen Entscheidungen reagieren müsse. Natürlich sei es dem Chef bewusst, dass er damit viel von seinen Leuten fordere. Aber wie auch sein Großvater und sein Vater sei auch er davon überzeugt, dass der größte Schatz des Unternehmens die Mitarbeitenden seien und er vertraue darauf, dass man diese schwere Zeit gemeinsam bewältigt.
„Ich brauche Sie und ich verlasse mich auf Sie“ war eine Formulierung, die ehrlich und wertschätzend gleichermaßen war. Er könne sich vorstellen, wie verunsichernd die Situation für die Mitarbeitenden sei und sie sollten sich nicht scheuen, dies anzusprechen. Das Versprechen, über den jeweiligen Stand der Entwicklung zu informieren, sobald belastbare Zwischenergebnisse vorlägen, wurde konsequent eingehalten. Dies trug wesentlich dazu bei, dass die Mitarbeitenden das Vertrauen in die Unternehmensführung nicht verloren.
Die Führungskraft als Primus inter Pares
Auch außerhalb einer Pandemie sind kommunikative Fähigkeiten spielentscheidend. Wichtig ist dabei, dass es sich nicht um eine Einbahnstraße handelt.
Führungskräfte müssen mit ihren Leuten reden, aber vor allem müssen sie zuhören.
Klar, nimmt das Zeit in Anspruch. Aber es hilft vor allem, Konflikte zu lösen oder gar zu vermeiden. Es sorgt dafür, dass Mitarbeitende motiviert bleiben. Und vor allem kann es auf diese Weise gelingen, die Schätze im eigenen Unternehmen zu heben:
Auf einmal sieht man die 50jährige Kollegin, die bislang unauffällig war, als kreative Problemlöserin, weil sie die Chance hatte, ihre Ideen im Gespräch zu äußern. Oder der ältere Kollege, dem man schon die Frührente nahelegen wollte, entpuppt sich mit seiner Erfahrung als derjenige, der Konflikte im Team bereinigen kann, weil man ihm die Möglichkeit dazu gibt.
Die Führungskraft von heute ist ein Primus inter Pares, ein Moderator, der durch einen zugewandten Führungsstil in der Lage ist, das Potenzial seiner Mitarbeitenden zu erkennen, zu fördern und zu nutzen. Jemand, der nicht, die Stirn runzelt, wenn Kollegen kurz beim Kaffee plauschen, sondern der gezielt Kommunikationsmöglichkeiten im Unternehmen schafft, weil sie der Teambildung nützen.
Die moderne Führungskraft: präsent und verlässlich
Die moderne Führungskraft ist in ständigem Dialog. Sie wendet sich nicht nur dann an die Belegschaft, wenn es Negatives zu vermelden gibt, so dass allein die Ankündigung einer Rede oder einer Gesprächsanfrage Ängste auslöst. Sie redet aber auch nicht nur, wenn es gute Nachrichten gibt und duckt sich bei Problemen weg. Die moderne Führungskraft ist präsent und verlässlich.
Die Zeiten, in denen Vorgesetzte drohen konnten „für jeden von euch finde ich zehn, wenn ich mich nur einmal auf den Kudamm stelle und laut rufe“ sind vorbei. Gottseidank. Die geburtenstarken Jahrgänge verabschieden sich in den Ruhestand und die jungen Leute fordern ein, was die Boomergeneration sich immer gewünscht hat: Wertschätzung, Sinnhaftigkeit und eigene Gestaltungsmöglichkeit bei der Arbeit.
Um das zu gewährleisten, brauchen Führungskräfte vielfältige kommunikative Fähigkeiten. Soft Skills, die früher als nice to have abgetan wurden. Heute bilden sie eine Schlüsselkompetenz für Führungskräfte. Möge sich diese Erkenntnis durchsetzen!
Gastautorin Jacqueline Schäfer arbeitet seit 2007 freiberuflich als Autorin (Ghostwriting) und Unternehmensberaterin – mit den Schwerpunkten Führungskräftekommunikation, (Krisen)Kommunikation, Mediencoaching und Öffentlichkeitsarbeit. Sie ist zudem als Redenschreiberin für Politik und Industrie tätig und moderiert Podcasts, Pressekonferenzen und Veranstaltungen. Journalistisch arbeitete Jacqueline u.a. bei „Die Welt“ sowie bei „Deutsche Welle“ tv, dort zuletzt als Parlamentskorrespondentin und Chefin vom Dienst in Bonn und Berlin. Von 2012 bis 2022 wirkte sie im Präsidium des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS), deren Präsidentin sie sechs Jahre lang war. Seit 2022 Host Masterclass Führungskommunikation bei GoodHabitz.
Fotos: Laurence Chaperon
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Auf den Punkt! Der Artikel wendet sich primär an Führungskräfte in Unternehmen. Die Ausführungen lassen sich meines Erachtens aber auch auf Führungskräfte im Bereich des öffentlichen Dienstes übertragen, in dem regelmäßige Mitarbeitergespräche zwar verpflichtend vorgeschrieben sind, aufgrund defizitärer Soft skills aber nicht selten höchst suboptimal verlaufen…